Ingolstadt
"Ein echter Lichtblick"

Taktraum-Festival begeistert mehr als 4000 Besucher – Alternatives Flair erfüllt die alte Festung

02.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:57 Uhr

Pulsierende Strahler zu stampfenden Beats: Der Electro-DJ Robag Wruhme zelebrierte am Samstagabend im Reduit Tilly das Finale des Taktraum-Festivals. - Fotos: Hauser

Ingolstadt (DK) Es könnte der finale Durchbruch für das Taktraum-Festival gewesen sein. Die vierte Auflage fand am Freitag und Samstag zum ersten Mal im Reduit Tilly statt und wurde ein riesiger Erfolg. Tausende genossen das entspannte, betont subkulturelle Musik- und Kunstereignis in der alten Festung.

Spießiger geht es nicht. Diese Sofas und Sessel unter dem Baum. Moosgrün, mit Messingknäufen und Kordeln dran. Richtig schlimm. Doch die jungen Leute lieben sie, hängen in den plüschigen Polstern ab, bis nachts die Musik ausgeht. Denn wer sich auf dem Ingolstädter Taktraum-Festival niederlässt, sitzt in einem alternativkulturell durchgestalteten, ironisch-gebrochenen Gesamtzusammenhang; da werden dann auch Omas alte Möbel wieder hip.

FEST DER SUBKULTUR

Das Taktraum ist ein Fest des lässig Unkonventionellen. Der Mainstream fließt woanders; das kennt man in Ingolstadt ja sonst nicht so. Szenegrößen – DJs, Musiker, Sprayer, Künstler wie das Eichstätter Kollektiv Stadlgold, Skater, die Lichtvirtuosin Cendra Polsner und andere – kommen aus namhaften Nischen der Subkultur, sie verleihen dem Festival fast großstädtisches Flair. So wie die vielen modisch markanten Besucher – stilistisch meist so zwischen Hippie und Hipster (wie junge Leute sagen würden): die Herren mit mehr oder weniger trendigen Hütchen und coolen Kassenbrillen (jedenfalls sehen die Gestelle so aus), eine hohe Dreadlock-Dichte, ein bisschen Batik und viel Vollbart.

Michael Wirthmann erzählt begeistert von der ersten Nacht des Festivals, während langsam schon die zweite anbricht. „Es war wundervoll! Gäste aller Generationen haben friedlich zusammen gefeiert. Ohne Gewalt oder Exzesse. Es sind alles gute Leute, und sie haben alle eine gute Zeit“, schwärmt der junge Mann. „Hier trifft man Leute, die man sonst bei uns nicht so gebündelt sieht.“ Interessante Leute. Lässig. Alles angenehm unspießig, sagt eine Gruppe Jugendlicher. Sie sitzen gemütlich auf einer Decke. „Es ist so schön familiär hier. Wir sind den Veranstaltern echt dankbar dafür, dass sie das Festival durchgezogen haben – trotz allem!“

Sie wissen, dass es bei den ersten zwei der vier Auflagen finanziell sehr schwierig geworden ist, um es vorsichtig auszudrücken. Das Taktraum-Festival Nummer vier, das erste im Reduit Tilly, könnte dank der mehr als 4000 Besucher der finale Durchbruch gewesen sein. Das hofft auch Philipp Greiner. Der 24-jährige Ingolstädter lebt seit einiger Zeit in München und beobachtet seine Heimatstadt aus kritischer Distanz, aber voller Hoffnung. „Das Taktraum-Festival ist ein wichtiger Schritt, um bei uns so was wie eine Subkulturszene aufzubauen. Das ist in einer Arbeiterstadt ja nicht so ganz einfach.“ Es freut ihn immer, wenn sich Ingolstädter für ein lockeres Lebensgefühl in ihrer Stadt einsetzen. Mehr urbane Entspanntheit, weniger hässliche Riesenbauten, findet Philipp Greiner, das wäre schön. Das Taktraum-Festival, auf dem hohes künstlerisches Niveau und alternatives Ambiente harmonisch zusammenfinden, sei „ein echter Lichtblick“. Und das Reduit Tilly „macht als Location einfach den Unterschied“.

TANZ UMS DENKMAL

In einem gemütlichen Séparée vor dem Reduit, der Second Stage, tanzen die Besucher zu DJ-Sound das ganze Fest durch. Oder sitzen im Gras. Die einen entspannt, andere meditativ-angespannt, denn Eddy Gonzales (bürgerlich Eduard Vulpe) gibt neben einer barocken Buddha-Skulptur Yoga-Stunden. Da ist die Wiese jedes Mal voll. Aber am Abend langt es dann. „Jetzt sollen die Leute lieber feiern“, sagt Eddy und legt los. Die friedliche Umnutzung der alten Festung birgt viel Charme. Die Bar der Second Stage ist an das Kriegerdenkmal angelehnt. Links und rechts davon steht ein Kühlschrank, dazwischen, an der Ostwand des Denkmals, hängt die Getränketafel. Auf der Frontseite wirbeln die von Cendra Polsner gesendeten Lichter. Die Illuminationskünstlerin hat das Relief zuvor dreidimensional am PC nachgebaut und dann die Video-Loops entworfen. Sie lässt das Licht per Autopilot tanzen, später steuert sie live. „Als würde ich ein Instrument spielen.“ Die Projektionen treffen jede Schießscharte genau. Wozu Kriegsarchitektur alles gut sein kann.

ALLES SCHÖN BUNT

Auf den großen Kommerz-Festivals gibt es tonnenweise Goa-Kitsch und Ethno-Trödel zu kaufen, im Reduit Tilly dagegen originelle Kleinkunst und Batik-Shirts zum Selbergestalten. Die Farben schwimmen in Töpfen. Die fast fertigen Werke hängen hinten beim Trocknen. „Das kommt super an“, erzählt Patty Franz. Der bunte Modespaß passe prima zum Festival, findet sie. „Der Stil ist eher alternativ und Hippie. Es ist aber auch ein Familienfest.“ „Und ein Fest der Subkultur“, fügt Janice Gondor vom Batik-Team an, „denn sie ermöglicht es, dass ein Heimatgefühl entsteht.“

TAG DES ELEKTROSOUNDS

Im Gegensatz zu dem bunten Reigen ringsum blüht auf der zentralen Bühne eher eine Monokultur. Elektrosound ist schwer angesagt. Während am Freitag noch Handwerkskunst geboten wird (mit Musikern, die in Saiten greifen), kommen die Samstagsshows ganz ohne Gitarre aus. Elektro-DJs wie Argy und Rico Loop drücken auf „Play“, und ab geht’s. Techno, Trance, House, mal stampfend, mal gurgelnd, mal blubbernd. Das Duo HVBO aus Wien (mit einem echten Schlagzeuger als Gast) spielt keine Stücke, sondern entfaltet ein schwebendes Klangkontinuum, in dem variierende Rhythmen und Stimmungen ineinanderfließen. Clubmusik, zu der die Fans tanzen können, ohne ihr Bier zu verschütten. Das Taktraum-Finale zelebriert Robag Wruhme. Er sitzt allein auf der Bühne, Polohemd, Kassenbrille, und widmet sich seinem Laptop. So sehen also Festival-Headliner aus. Doch bei so einem fröhlichen Großereignis wie dem Taktraum ist die Musik ja sowieso nur eine Attraktion von vielen.