Ingolstadt
Ein Wald als Museum

Ein Teil des Gerolfinger Eichenwaldes wird nach historischem Vorbild bewirtschaftet

26.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:15 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Im Gerolfinger Eichenwald hält das Forstamt die Erinnerung an historische Nutzungsformen am Leben. Davon profitieren seltene Pflanzen- und Tierarten.

Natur- und Umweltschutz waren wohl kaum die Beweggründe für die Gerolfinger, die in alten Zeiten den Wald im Ingolstädter Westen für sich nutzten. "Es ging einfach darum, möglichst viele Bedürfnisse abzudecken", erklärt Hubert Krenzler, der Leiter des Forstamtes. Seit dem Mittelalter hat sich dabei eine Nutzungsform herausgebildet, die über Jahrhunderte beibehalten wurde. So nutzten die Menschen den Wald als Viehweide, sie trieben Kühe, Pferde und Schweine in den Forst. Alle 20 bis 30 Jahre wurden Sträucher und kleine Bäume wie Kornelkirschen und Hasel "auf den Stock gesetzt". Die abgeschnittenen Äste dienten als Feuerholz. Der Strunk trieb wieder aus, um eine Generation später erneut abgesägt zu werden. Aus den roten Früchten der Kornelkirsche - im Dialekt Hierlnuss genannt - wurde Likör und Marmelade gemacht. Über allem standen die mächtigen 100 oder gar 200 Jahre alten Eichen, Eschen, Ahorne und Linden, die als wertvolles Nutzholz geerntet wurden. So mancher Stamm wurde nach Ingolstadt gebracht und auf dem Holzmarkt verkauft.

"Mittelwald" nennen Experten diese historische Form des Waldbaus. Sie prägt das Aussehen eines Forstes deutlich: Die Bäume stehen relativ weit auseinander. Dadurch sind solche Wälder lichtdurchflutet und warm. Die Bäume können große Kronen ausbilden. Die sind oft von Insekten umschwirrt, was Vögeln wie dem Mittelspecht oder dem Halsbandschnäpper zugutekommt, die sich von den Flattertieren und ihren Larven ernähren. Der Gerolfinger Eichenwald ist bei Experten für die relativ hohe Population dieser selten gewordenen Vögel bekannt. Auf den sonnenbeschienenen Grasflächen zwischen den Stämmen locken im Frühjahr Blumen und die Blüten von Wildbirnen und Wildäpfeln ebenfalls Insekten an. Solche Obstbäume wachsen sonst eher am Waldrand, in den lichten Mittelwäldern finden sie auch tief im Forst ideale Lebensbedingungen. "An jeder Baumart hängen etliche weitere Tier- und Pflanzenarten", erklärt Krenzler die hohe Artenvielfalt in den Mittelwäldern.

Mittlerweile gilt diese historische Form der Waldbewirtschaftung als wenig lukrativ. Vielerorts wurde sie aufgegeben, 1964 auch in Gerolfing. Um den vielfältigen Lebensraum zu erhalten, starteten die Ingolstädter Kommunalbetriebe im Jahr 2000 das Projekt "Mittelwald". Damit verbunden ist der Erhalt von Totholz, das unter anderem Hirschkäfern als Lebensraum dient, und der Erhalt seltener Baumarten. Wie früher holen sich so genannte Selbstwerber ihr Brennholz von auf den Stock gesetzten Bäumen und Sträuchern aus dem Wald. Durch die stetige Verbreitung von Holzöfen in Privathäusern und dem damit verbundenen Brennholzbedarf entschied die Stadt 2004, nicht nur einen Teil, sondern alle geeigneten Flächen im Gerolfinger Eichenwald wieder in Mittelwald umzuwandeln. Mittlerweile sind es rund 170 Hektar, eines der größten Gebiete im Freistaat, vermutet der Stadtförster. Insgesamt gibt es in Bayern rund 5000 Hektar Mittelwald.

Neben dem Erhalt der Biodiversität gehe es bei dem Projekt um "Kulturlandschaftspflege". Das historische Landschaftsbild soll für zukünftige Generationen erhalten bleiben: Ein Wald als Museum.

2015 wurde die Ingolstädter Initiative "Mittelwald" bereits vom Bundesamt für Naturschutz als eines von vier Leuchtturmprojekten in Deutschland ausgezeichnet. Jetzt folgte eine Urkunde des Bayerischen Biodiversitätspreises. Wer hätte das vor 500 Jahren in Gerolfing wohl gedacht.