Ingolstadt
Ein Tag des Terrors

Vor 75 Jahren vertrieben die Nazis die Juden aus der Stadt

08.11.2013 | Stand 02.12.2020, 23:27 Uhr

Erinnerungen an die Vergangenheit: Die 88-jährige Gertraud Blaschke kennt viele Details der Stadtgeschichte und hat die Zeit des Dritten Reichs in Ingolstadt hautnah erlebt. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Beim Novemberpogrom vor genau 75 Jahren kamen in Ingolstadt zwei jüdische Bürger ums Leben. Die Nationalsozialisten schändeten außerdem die Synagoge in der Theresienstraße und den israelitischen Friedhof. Ihre Zerstörungswut traf auch jüdische Geschäfte und Wohnungen.

In den frühen Morgenstunden des 10. November 1938 ging das Inventar der jüdischen Synagoge in Flammen auf: Nationalsozialisten der SA waren in das Gotteshaus eingebrochen, das seit 1907 im Hinterhof der Theresienstraße 23 beheimatet war. Dort ließen sie ihrer Zerstörungswut freien Lauf, schichteten das Mobiliar in der Theresienstraße auf und steckten es in Brand.

Die Ingolstädterin Gertraud Blaschke erinnert sich an ein sehr großes Feuer vor der Synagoge: „Auf der Theresienstraße wurden jüdische Bücher verbrannt“, weiß die Pensionärin, die damals 13 Jahre alt war. Ein Raub der Flammen seien zudem Teppiche, Tücher, Kerzen, Thorarollen und weitere Gegenstände geworden, welche die SA-Männer aus der Synagoge geschleppt hätten, ergänzt der Ingolstädter Historiker Theodor Straub.

Der Reichspogromtag brachte allerdings weitere Schrecken mit sich: Die Nationalsozialisten machten auch vor dem israelitischen Friedhof nahe des Westfriedhofs und den jüdischen Geschäften nicht Halt: Das Textilhaus von Oskar Buxbaum in der Theresienstraße 6 sei ebenso verwüstet worden, wie der Laden von Nathan Gutmann in der Moritzstraße 13, der auch mit Stoffen gehandelt habe, berichtet Straub. „Die Geschäfte wurden regelrecht zerstört, die Fensterscheiben zerbrochen und die Tuchballen auf die Straße geworfen.“ Die beiden jüdischen Läden in der Milchstraße und in der Ludwigstraße seien aber verschont geblieben.

In den Kaufhäusern habe ihre Familie ab und zu eingekauft, erzählt Blaschke: „Für einen meiner Brüder haben meine Eltern dort zum Beispiel einmal einen Anzug zur Kommunion gekauft“, erinnert sich die 88-Jährige, deren Familie während des Dritten Reichs ebenfalls bedroht gewesen war: Ihr Vater, Michael Häckel, war Gewerkschafter und SPD-Anhänger gewesen, erzählt Blaschke. „Ihm drohte ab und zu schon das KZ in Dachau.“ Ein Nationalsozialist aus Ingolstadt habe aber schützend die Hand über ihn gehalten, weiß die ehemalige Lehrerin. Von den Gräueln der Nazis am 10. November 1938 habe sie nicht so viel mitbekommen: „Uns Kindern ist das gar nicht so bewusst geworden.“ Die Menschen hätten aus Angst nicht viel über die Situation im Dritten Reich gesprochen, erklärt sie. „Viele der jüdischen Bürger in Ingolstadt sind aber bereits in den Jahren vor 1938 geflüchtet.“ Zählte die jüdische Gemeinde 1933 noch rund 100 Personen, lebten fünf Jahre später viele davon bereits nicht mehr in Ingolstadt. „Über 43 Männer, Frauen und Kinder brach die Katastrophe am 10. November 1938 herein“, erläutert Straub. Die Leute seien damals aufgefordert worden, die Stadt zu verlassen. Ihr Hab und Gut nahmen die Nazis in Beschlag: „Die 16 jüdischen Wohnungen wurden bis zum Dachboden ausgeräumt“, berichtet der Historiker. Das Inventar sei in ein Speditionslager beim Nordbahnhof verfrachtet worden und die Wertgegenstände in das SA-Hauptquartier im Gasthof Schmalzbuckel.

Besonders tragisch: Das jüdische Ehepaar Hedwig und David Hubert überlebte den Tag nicht: „Offiziell hieß es, sie hätten in der Donau Selbstmord begangen, aber das ist zweifelhaft“, betont Straub. Der Historiker erklärt, dass vor 75 Jahren nicht der Volkszorn ausgebrochen sei. Vielmehr sei es eine gezielte Aktion des NSDAP-Kreisleiters Lambert Friedrichs gewesen, der mit den Gewalttaten die Stadt „judenfrei“ bekommen wollte.