Ingolstadt
Ein Gefühl für das Unvorstellbare

Realschüler und Gymnasiasten erhalten für ihre Ausstellung über Ingolstädter Schicksale im Ersten Weltkrieg großes Lob

23.06.2014 | Stand 02.12.2020, 22:33 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Eine Ausstellung der besonderen Art ist gestern im Neuen Schloss eröffnet worden: Zehntklässler der Fronhofer-Realschule und des Katharinen-Gymnasiums haben die Geschichte des Ersten Weltkriegs in Ingolstadt erforscht. Die Präsentation und das Engagement der Schüler fanden großes Lob.

Seine Majestät grüßt aus der Tiefe der Suppenterrine. Rund um das Konterfei Kaiser Wilhelms II. prangt dessen Spruch „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“ auf dem Porzellan. So hoffte der Monarch im düsteren Sommer 1914, der mentalen Mobilmachung seines Volkes zu dienen – tausendfach verbreitet über patriotischen Kitsch; selbst vor einer Suppenschüssel schreckte des Kaisers Propaganda nicht zurück. Der nationale Nippes ist Teil der Ausstellung mit dem Titel „Ihr könnt euch keine Vorstellung von diesem Schrecken machen . . .“ – ein Gemeinschaftswerk von 32 jungen Leuten der Fronhofer-Realschule und des Katharinen-Gymnasiums. Gestern wurde die Schau im Neuen Schloss eröffnet.

Jenseits des Jubeltellers sind die Schicksale vieler Menschen dokumentiert, die – um im Bilde zu bleiben – die Suppe auslöffeln mussten, die Europas Herrscher (und ganz vorn dabei: Kaiser Wilhelm II.) 1914 den Untertanen eingebrockt hatten: schwerverletzte und gefallene Soldaten aus Ingolstadt, Krankenschwestern, die sich in den Reservelazaretten der Stadt dem Leid entgegenstemmten, trauernde Angehörige und dazu Kohorten von Kriegsgefangenen, die rund um die Stadt in Lagern interniert waren.

Zu den großen Glanzlichtern der Ausstellung gehört die Rekonstruktion einer Kasematte des Forts Prinz Karl, in der französische Offiziere (darunter der spätere Staatspräsident Charles de Gaulle) vergleichsweise komfortabel untergebracht waren, im Gegensatz zu den Mannschaftsdienstgraden im Keller. Originalstücke wie ein französischer Militärmantel und eine echte Holztür aus dem Fort vermitteln einen atmosphärisch dichten Eindruck vom Leben im Kriegsgefangenenlager. „Ich habe mir lang kein Bild von den Zuständen machen können“, erzählt Raphael Kick, Zehntklässler von der Fronhofer-Realschule. „Jetzt kann man sich gut reinversetzen.“ Mit ihrem Geschichtslehrer Maximilian Schuster – leidenschaftlicher Experte für die Schanzer Landesfestung – haben die Schüler die Biografie des Offiziers zweiter Klasse Ferdinand Deleyrolle (1888 – 1940) rekonstruiert. „Er saß gut zwei Jahre im Fort Prinz Karl“, erzählt Schuster, „nicht nur wenige Tage wie de Gaulle.“

Bente Bödewadt (Schülerin des Katharinen-Gymnasiums) und Stefan Schwerdt (Fronhofer-Realschule) führten bei der Eröffnungsfeier in die Ausstellung ein. Es war das Ziel der Zehntklässler, darzustellen und zu erläutern, wie die Ingolstädter den Ersten Weltkrieg erlebt und erlitten haben. Dazu durchforsteten sie Feldpostkarten und -briefe, begutachteten die propagandistisch bearbeiteten Schulbücher und Relikte der Erinnerungskultur jener Zeit, trugen Quellen zu den Gefangenenlagern zusammen, ergründeten die Geschichte der Ingolstädter Lazarette und befassten sich mit dem Giftgaskrieg, der damals das an Qualen Vorstellbare um eine neue Dimension erweiterte. Stets ging es den jungen Leuten darum, an das Leid der einfachen Bürger zu erinnern. „Der Erste Weltkrieg darf nie in Vergessenheit geraten“, betonte Bente Bödewadt, „selbst wenn ihm bald ein noch schrecklicherer mit noch mehr Opfern gefolgt ist.“

Lob für die Schüler hagelte es von allen Seiten. Ernst Fischer, Ministerialbeauftragter für die bayerischen Realschulen, würdigte das Gemeinschaftsprojekt zweier Schularten als vorbildlich. Es sei wichtig, den Fokus auf die Opfer zu legen, „die einen Krieg aushalten mussten, den sie nicht angefangen haben“. So sieht es auch Reinhard Kammermayer, der Leiter des Katharinen-Gymnasiums: „Wir tun gut daran, den Opfern ihre Identität zurückzugeben.“ Dank des „unmittelbaren Bezugs zur eigenen Heimat“ sei das bestens gelungen. Für den Fronhofer-Chef Heinz Hinzen widerlegt die Ausstellung das böse Vorurteil, „dass Schüler nicht mehr lernen, sondern nur noch Projekte machen“, denn das historische Engagement der jungen Leute stärke deren Sozialkompetenz und bereichere den Unterricht. Ansgar Reiß, der Leiter des Bayerischen Armeemuseums, schätzt an der Ausstellung besonders, „dass sie die vielen kleinen Geschichten des Krieges erzählt“. Es gelte, „sich von einer großen Erzählung des Krieges zu verabschieden, die vorgibt, alles zu erklären“.