Ingolstadt
Eigensinnig und rechthaberisch

Gutachter bescheinigen Messerangreifer aber "intakte Persönlichkeit"

25.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:56 Uhr

Ingolstadt (reh) Für einen kurzen Moment herrschte gestern am Landgericht etwas Verwirrung bei allen, die keine Volljuristen waren. Vizepräsident Jochen Bösl gab als Vorsitzender der Strafkammer „den rechtlichen Hinweis“, dass beim Prozess zur Messerattacke im China-Restaurant auch eine Verurteilung wegen einer schweren Körperverletzung mit der Variante „dauerhafte Lähmung“ infrage käme.

Das habe sogar Staatsanwalt Jürgen Staudt angeregt, sagte Bösl. Der Ankläger selbst? Ging denn die Staatsanwaltschaft nicht mehr von einer Tötungsabsicht des angeklagten Deutschtürken aus? In der Anklage wird dem 48-Jährigen sogar ein Mordversuch an seiner Frau vorgeworfen. Doch, doch, beeilte sich die Behörde kurz darauf für die juristischen Laien klarzustellen. Der Hinweis des Gerichts sei nur dazu da, das Verfahren absolut „revisionssicher“ zu machen. Das heißt: Dass nach einer Verurteilung des Angeklagten nicht die nächsthöhere Instanz womöglich einen Rechtsfehler erkennt, weil das Gericht die Variante mit der schweren Körperverletzung nicht genügend gewürdigt habe.

Das sind bisher nur Gedankenspiele in dem Prozess, in dem die Zeugen und der Angeklagte noch beschreiben, wie es am 18. Dezember 2013 zu der blutigen Messerattacke gekommen ist. Der Einwand hat aber ganz konkrete Folgen: Das Gericht wird nun kurzfristig einen Neurochirurgen als Sachverständigen hören. Er soll etwas zu den Verletzungen des 42-jährigen Opfers – der inzwischen geschiedenen Ehefrau – sagen. Sie wurde in dem Lokal durch drei Messerstiche ihres Mannes schwer verletzt. Einer ging in den Rücken, zwei in ihre Beine. Sie leide noch sehr darunter, sagte die Frau bei ihrer Vernehmung vor Gericht. Ein Bein sei quasi gelähmt und unbrauchbar. Das will das Gericht nun von dem Gutachter bewerten lassen. „Damit das“, wie Bösl unbewusst doppeldeutig sagte, „Hand und Fuß hat.“

Wenn möglich, soll der Arzt schon am morgigen Donnerstag, dem sechsten Prozesstag, aussagen. Danach wäre das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Bela Serly geplant, am Nachmittag könnten bereits die Plädoyers des Anklägers Staudt, der beiden Nebenklagevertreter und von Verteidiger Reinhard Kotz folgen. Die Urteilsverkündung wäre dann für den 8. Dezember geplant. Verschiebt sich die Aussage des Neurochirurgen, könnte erst am 15. Dezember – und damit fast am Jahrestag der Attacke – der erwartete Schuldspruch über den Angeklagten fallen. Nur die Strafhöhe ist wohl die Frage.

Obwohl der 48-Jährige auch gestern wieder steif und fest behauptete, er sei in dem China-Lokal „in eine Falle“ gelockt worden. Das Messer habe er nur zur Verteidigung mitgeführt. Er sei auch zuerst angegriffen worden. Wie glaubwürdig das ist, wird das Landgericht beurteilen. Schuldfähig dürfte der Angeklagte auf alle Fälle sein. Der psychologische Gutachter Günter Lauber bescheinigte ihm gestern bereits „eine intakte Persönlichkeit“. Der Angeklagte wisse genau, was die Gesellschaft von ihm erwarte. Allerdings möchte der 48-Jährige, „dass es so läuft, wie er es sich vorstellt“, sagte Lauber. Der Angeklagte sei „eigensinnig und rechthaberisch“. Das haben die Prozessbeteiligten und die Zeugen mehrfach zu spüren bekommen.