Ingolstadt
E-Mobilität mit Hindernissen

Menschen im Elektrorollstuhl sind auf Busfahrer angewiesen – und die sitzen auf dem Pulverfass

24.06.2012 | Stand 03.12.2020, 1:21 Uhr


Ingolstadt (DK) Eine Frage, eine Antwort – aber die wirft eine Reihe weiterer Fragen auf. Ob eine Person, die im Elektrorollstuhl sitzt, mit dem Bus fahren darf, entscheidet der Fahrer. Falls etwas passiert, muss er den Kopf hinhalten. Ein untragbarer Zustand für die Beteiligten.

Eine junge Frau, Mitte 20, macht sich am Freitag mit der Bahn von Coburg auf den Weg nach Ingolstadt, um mit anderen jungen Leuten zu trainieren. In Nürnberg steigt sie um, überwindet die Hindernisse am Ingolstädter Hauptbahnhof und erreicht mit einem Bus der INVG den Omnibusbahnhof. Dort strandet sie erst mal. Die Frau sitzt im Elektrorollstuhl; der Busfahrer am ZOB lehnt es ab, sie zur Turnhalle beim Sonderpädagogischen Förderzentrum an der Permoserstraße zu bringen. Auch der nächste Fahrer will sie nicht mitnehmen. Begründung: Das dürften sie nicht, der E-Rolli sei zu gefährlich. Erst der dritte Fahrer hat Erbarmen und lässt die Coburgerin einsteigen.

Den Fall schildert Gerhard Gmeiner, Vorsitzender des Behinderten- und Versehrtensportvereins Ingolstadt. Seine Reaktion: „Wenn ich auch keinem der Busfahrer oder denen, die die Vorschriften erlassen haben, wünsche, dass sie einmal auf einen Elektrorollstuhl angewiesen sind, so wünsche ich mir doch, dass in unserer Zeit, wo alle von Integration und Barrierefreiheit reden, ein bisschen mehr das menschliche Hirn über Vorschriften regiert.“

So lässt sich das Problem jedoch nicht lösen. Die Busfahrer sind in einer denkbar schlechten Position und werden damit auch noch allein gelassen. „Der Fahrer entscheidet, ob er eine Person im E-Rolli gefahrlos befördern kann oder nicht“, sagt Roland Kirchenbauer, Betriebsleiter beim KVB (Kraftverkehr Bayern), und klingt selbst ganz unglücklich. „Für diese Frage gibt es keine eindeutige Regelung, und das ist schlecht.“ Elektrorollstühle haben durch die Batterie ein hohes Gewicht, 250 Kilogramm aufwärts. Bei einem Ausweichmanöver, einer Vollbremsung oder gar einem Unfall können sie im Bus zu tödlichen Geschossen werden, wenn sie nicht gut gesichert sind, erklärt Kirchenbauer.

Der Busfahrer muss also in jedem einzelnen Fall abwägen zwischen seiner Pflicht, Personen zu befördern – die ist gesetzlich geregelt –, und eher schwammigen Richtlinien zur Sicherung von Ladung (ein Gesetz gibt es hier nicht). Der Gesetzgeber drückt sich bislang um klare Richtlinien. Die Verkehrsgesellschaften – das Problem ist nicht auf Ingolstadt beschränkt, sondern besteht bundesweit – hüten sich vor eindeutigen Anweisungen. „Würden sie die nämlich geben, müssten sie im Schadensfall die Haftung übernehmen“, erklärt Stadtsprecher und Jurist Gerd Treffer. Auch beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) dümpelt das Thema seit Jahren vor sich hin, weiß Treffer.

So landet der Schwarze Peter beim Busfahrer. Entscheidet er sich für den Transport und es passiert etwas, trägt er die Verantwortung. Selbst wenn sein Arbeitgeber den finanziellen Schaden übernimmt, haftet er strafrechtlich. Im schlimmsten Fall steht er wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht.

Für die Menschen im Elektrorollstuhl ist die Situation ebenso unerträglich. Sie wollen mit dem Bus fahren und können nicht sicher sein, dass sie auch mitgenommen werden, müssen auf die Risikobereitschaft der Fahrer hoffen. An Niederflurbusse und Rampen wurde längst gedacht, aber nicht daran, wie Passagiere im E-Rolli sicher unterzubringen sind. Der Verweis auf Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen hilft den Betroffenen nicht weiter. Darauf wollen sie gerade nicht zurückgreifen. Ihre E-Mobilität soll ihnen schließlich trotz Behinderung ein Stück Freiheit bewahren.