Ingolstadt
Doktor Rhenium

Ein Radioisotop hilft gegen erneuten Arterienverschluss – Modellprojekt von Klinikum und AOK

29.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:14 Uhr

Im Angiografie-Raum wird der Eingriff durchgeführt. Professor Dierk Vorwerk, Chefarzt des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie am Klinikum, erklärt, wie das Radioisotop Rhenium-188 über den Applikator in die Arterie eingeführt wird - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Wenn Menschen vor einem Schaufenster stehen bleiben, hat das nicht immer mit dem Interesse für die ausgestellte Ware zu tun.

Viele leiden an der sogenannten Schaufensterkrankheit, einer schmerzhaften Gefäßverengung im Bein, die sie dazu zwingt, stehen zu bleiben. Anton Faulhaber kann ein Lied davon singen. Der 59-Jährige litt unter extremen Schmerzen in der Wade. Seit 2008 hatte er immer wieder Beschwerden. „Ich konnte keine 50 Meter gehen“, sagt er. „Wenn man keine Pause macht, fühlt es sich an wie Ameisen“, erzählt der Ingolstädter. Grund für seine Schmerzen, die kaum mehr auszuhalten waren, war ein Arterienverschluss – und zwar nicht der erste. Im schlimmsten Fall können Gefäßverengungen und -verschlüsse eine Beinamputation zur Folge haben. Faulhaber hörte von einer neuen Therapiemethode, einer Behandlung mit dem Radioisotop Rhenium-188. Unter örtlicher Betäubung wurde im Ingolstädter Klinikum ein mit radioaktiver Rhenium-Lösung gefüllter Ballonkatheter in die verengte Arterie eingeführt. Faulhabers Krankenkasse, die AOK Bayern, hat die Behandlung bezahlt. Sie bietet als erste gesetzliche Kasse Versicherten, die an einem erneuten Arterienverschluss (Restenose) im Bein leiden, diese Bestrahlung an. „Gelinge es damit, den Anstieg bei Fuß- und Beinamputationen zu bremsen, bliebe den Betroffenen viel Leid erspart“, so AOK-Direktor Ulrich Resch.

An dem Modellprojekt, das zunächst auf vier Jahre befristet ist, nimmt neben drei weiteren Kliniken in Würzburg, Augsburg und Erlangen auch das Ingolstädter Klinikum teil. Es wird von der Universität Regensburg wissenschaftlich begleitet. Vertragspartner ist auch die Herstellerfirma aus Garching.

Ganz neu ist der Einsatz des Radioisotops Rhenium-188 zur Erweiterung von Gefäßverengungen nicht, erklärt Professor Dierk Vorwerk, Chefarzt des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie am Klinikum. Das Klinikum arbeitet seit einem Jahr damit. Bislang wurden etwa 60 Patienten erfolgreich damit behandelt, so Vorwerk. Durch die Rhenium-Behandlung verdoppele sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Gefäß sich nicht wieder verschließt, so Richard Henkelmann, Geschäftsführer der Herstellerfirma ITG.

Gefäßverengungen und -verschlüsse gehören zu den Hauptursachen für Fuß- und Beinamputationen. Durch die Behinderung des Blutflusses durch schädliche Ablagerungen in den Gefäßen kommt es zu einer dauerhaften Unterversorgung des betroffenen Gewebes. Im Volksmund als „Schaufensterkrankheit“ bezeichnet, können unerkannte und unzureichend therapierte Gefäßengpässe zu einem Verschluss führen. Meistens wird die notwendige Ausdehnung der betroffenen Gefäße mithilfe eines herkömmlichen Ballonkatheters erreicht. Doch bei 40 Prozent der behandelten Patienten käme es zu einem erneuten Verschluss, betont Vorwerk. Bleibt die Arterie verschlossen, droht die Zerstörung des darunterliegenden Gewebes. Dann bleibt manchmal nur noch die Amputation.

Rund 60 000 Amputationen werden in Deutschland pro Jahr durchgeführt. In etwa 90 Prozent der Fälle werden sie durch eine Diabetes ausgelöst. Das Modellprojekt Rhenium umfasst ausschließlich Restenosen. Nur bei dieser Indikation wird die Behandlung von der AOK bezahlt – um zu erfahren, wie sie bei einem wiederkehrenden Verschluss wirkt.

Restenosen, wie sie Anton Faulhaber hatte. Er ist mit der Behandlung weitgehend zufrieden. Zwar hat er immer noch Schmerzen, „aber sie sind leichter als vorher“. Jetzt sagt der Ingolstädter: „Man kann mit den Schmerzen leben.“