Ingolstadt
Die zwei Gesichter der Koalition

Haushalt 2017 verabschiedet

01.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

Angriffslustig: FW-Fraktionschef Peter Springl (rechts) setzte gestern voll auf Konfrontation. Seinen Nachbarn Christian Lange (BGI) nannte er den "geistigen Führer der apokalyptischen Reitertruppe".

Ingolstadt (DK) Der 551,8-Millionen-Haushalt 2017 ist gestern vom Stadtrat verabschiedet worden. Nicht diese Tatsache war jedoch die Überraschung des Tages, sondern dass es keine einzige Gegenstimme gab. Die neue CSU-Fraktionsvorsitzende Patricia Klein baute Brücken zur Opposition.

Wer die Redebeiträge verfolgte, hätte eine solche finale Einigkeit über alle Parteigrenzen hinweg nie vermutet. In der Debatte traten noch die Gegensätze in den Vordergrund. Doch die Nachfolgerin von Joachim Genosko an der Spitze der CSU-Fraktion kam bei ihrem Debüt als letzte Rednerin an die Reihe und beantragte eine Sitzungsunterbrechung - mit dem Hinweis, dass man noch auf die SPD zugehen könne.

Bereits die Einführung von Finanzbürgermeister Albert Wittmann enthielt gewisse Signale in diese Richtung. Der Kämmerer erklärte, dass er die Haushaltssperre - einer der Streitpunkte - nun doch nicht von 10 auf 15 Prozent erhöhen werde. Er bezog sich auf aktuelle Gespräche mit VW-Vertretern, die offenbar Anlass zum Optimismus gegeben haben.

 

Achim Werner (SPD): Der Fraktionschef kritisierte in seiner Rede (vor Kleins Kompromissangebot) den "deutlichen Schwerpunkt der Kürzungen" bei den Leistungen für Kinder und Jugendliche. "Investitionen in Beton reichen eben nicht aus", sagte der Sozialdemokrat, "wir müssen auch in die Köpfe investieren." Dafür sei auch finanzieller Spielraum vorhanden. "Wir stehen immer noch gut da." In der Vergangenheit hätten sich die Prognosen des Kämmerers meist als zu pessimistisch erwiesen.

Werner prangerte den Umgang der CSU mit dem Begriff Leitkultur an und stellte einen Zusammenhang mit dem verkaufsoffenen Nationalfeiertag am 3. Oktober her. Ausgerechnet diesen "wichtigsten Feiertag, an dem sich unsere Kultur widerspiegelt", gebe die CSU frei, nur um "die Menschen in die Ein-Euro-Shops unserer Altstadt zu locken".

 

Peter Springl (FW): Der Koalitionspartner der CSU versprach nicht nur, dass dieses Rathausbündnis bis 2020 seinen "Wählerauftrag erfüllen" werde. Er rief mit seiner Rede auch die heftigsten Reaktionen auf allen Seiten hervor. Der scharfe Ton fiel völlig aus dem Rahmen, wie man selbst an den Gesichtern der FW- und CSU-Sympathisanten ablesen konnte. Springls Bemerkungen über Achim Werner glichen einer persönlichen Abrechnung.

Der SPD-Politiker habe Alt-OB Alfred Lehmann den Rücktritt empfohlen, dabei habe Werner selbst während seiner Zeit als Landtagsabgeordneter "wohl mit zu dürftigem Einkommen" bei Audi als Berater des Betriebsrates einen Nebenjob gehabt. "Aber eine Beratung ohne offenbar konkretes Tun ist die Krönung der Raffinesse." Und dennoch bringe der SPD-Mann das Kunststück fertig, "Alfred Lehmann nach dessen OB-Zeit ein freiwilliges Berufsverbot nahezulegen". In der Psychologie werde so etwas Schizophrenie genannt. "Dieser Vorgang", schimpfte Springl, "ist einmalig in diesem Stadtrat. Seine Idee wie die Formulierung sind so durchsichtig wie unanständig und scheinheilig."

 

Petra Kleine (Grüne): Die Fraktionsvorsitzende nahm für die Grünen in Anspruch, dass sie "nicht das Problem", sondern "Teil der Lösung" seien. In Anspielung auf die Schwierigkeiten ihres Umweltreferenten Rupert Ebner mit der CSU erklärte Kleine: "Aktuell könnte man meinen, Sie haben uns Grüne in die Referatsverantwortung geholt, um uns auseinanderzunehmen. Dabei wollte man doch ausdrücklich die Ökologie stärken."

In der Flüchtlingskrise, so die Fraktionschefin, habe sich Ingolstadt zwar "von seiner besten Seite gezeigt". Was jedoch "unser Ingolstadt-Bild erschüttert" habe, sei die große Türkei-Demonstration im Sommer gewesen. "Ausgerechnet aus den deutsch-türkischen Familien, die wir gut integriert glaubten, wurde deutlich, dass selbst hier Geborene sich nicht zugehörig und nicht voll anerkannt fühlen." Abschließend schrieb Kleine CSU-Stadtrat Genosko den "Satz des Jahres" zu: "Wir können doch nicht die ganze Stadt mit Landschaftsschutzgebieten zupflastern!"

 

Christian Lange (BGI): Für eine "funktionierende Bürgerbeteiligung" und ein "funktionierendes Compliance-System" machte sich der BGI-Sprecher stark. In der letzten seiner sieben Thesen forderte er eine Emanzipation der Stadt vom größten Arbeitgeber. "Die Stadt ist kein Geschäftsbereich von Audi." Ingolstadt sei "forciert auch durch Audi" viel zu schnell gewachsen. Kommunale Wirtschaftsförderung dürfe nicht als "Subventionierung von Audi missverstanden" werden. "Die Stadtgesellschaft", sagte Lange, "muss gesund weiterwachsen können."

 

Franz Hofmaier (ÖDP): Wie so manch anderer Stadtrat in der gestrigen Debatte bemühte der Ökodemokrat einen Geistesriesen per Zitat. In diesem Fall Martin Luther und dessen Wort, er würde auch im Angesicht des Weltuntergangs noch "ein Apfelbäumchen pflanzen". Hofmaier: "Gott sei Dank keine Linde, mag dazu der eine oder andere Fahrzeugbesitzer denken, während wir Stadträte uns eher an unsere Baumpflanzaktion auf dem Landesgartenschaugelände erinnern."

 

Karl Ettinger (FDP): Der Liberale hielt ein energisches Plädoyer für "Transparenz und Compliance". Aus seiner Sicht besteht "dringender Handlungsbedarf, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen". Die OB-Ankündigung, strengere Regeln durchzusetzen, sei "lediglich der zaghafte Versuch, ein klein bisschen den Vorhang zu lüften", aber sie gehe nicht weit genug. Man sollte sich die Erfahrung von Transparency International zunutze machen, empfahl Ettinger.

 

Patricia Klein (CSU): In ihrer ersten Haushaltsrede stellte die Fraktionschefin die Weichen dafür, dass dieser "wegweisende Haushalt" von einer möglichst großen Mehrheit mitgetragen werden sollte. Sie kündigte an, dass die CSU nicht nur den FW-, sondern auch den SPD-Antrag unterstütze. Demnach werden die geplanten Kürzungen bei den Sportvereinen, dem Stadtjugendring und in der mobilen Jugendarbeit zurückgenommen.

Weiterer Bericht folgt.