Ingolstadt
Die Suche nach der Identität einer Stadt

Versammlung des Historischen Vereins: Forschung zur Stadtmauer und drei "Erinnerungsorte"

22.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:03 Uhr

Drei Stützen des Historischen Vereins: Gerd Welker, Irmgard Gutzeit und Kurt Scheuerer (von links). - Foto: Pehl

Ingolstadt (DK) Auch 150 Jahre nach seiner Gründung hat sich der Historische Verein viel vorgenommen. Bei der Jahresversammlung wurden das 100-Türme-Projekt und eine Übertragung des Regensburger "Documente"-Konzepts auf Ingolstadt vorgestellt.

"Ad centum turres" - die Stadt der 100 Türme wurde Ingolstadt einst genannt. Genau genommen waren es zwar nur 87, die ab den Jahren 1368 bis 1430 bei der ersten großen Stadterweiterung die Stadtmauer mit ihren Zinnen krönten, aber das ist auch eine ganz Menge. An die 50 sind noch erhalten, was Oberbürgermeister Christian Lösel bei der 150-Jahr-Feier des Vereins zum Anlass nahm, sich mit diesem "Markenzeichen" Ingolstadts auseinanderzusetzen. Der OB möchte mit dem Historischen Verein ein Programm für mittelalterliche Stadttürme entwickeln, von denen fast alle in Privatbesitz sind. Das Ziel: Die Zinnenbewehrung wieder in den Vordergrund rücken und damit einen markanten Aspekt der Altstadt hervorheben.

FORSCHUNGSARBEIT

Lösel hat auch in seiner Haushaltsrede Anfang des Jahres eingeräumt, dass bis zur Realisierung dieses Ziels noch viel Wasser die Donau hinabfließen wird. Doch ein erster Schritt ist schon getan. Wie Matthias Schickel, der Vorsitzende des Historischen Vereins, sagte, lobt die Stadt jetzt einen Preis für die Erforschung der mittelalterlichen Stadtbefestigung aus. Das soll vor allem für Studierende ein Anreiz sein, sich im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit mit der Stadtmauer und ihren Türmen auseinanderzusetzen. Der Historische Verein will Kontakt zu zwei bundesweit bekannten Experten aufnehmen.

Auch bei der Übertragung des Regensburger "Documente"-Konzepts ist der Historische Verein mit seinen rund 500 Mitgliedern schon einen entscheidenden Schritt weiter. Wie berichtet, hatte der Ingolstädter Klaus Staffel Mitte Januar bei einem Vortrag im Barocksaal das Projekt vorgestellt. Sieben derartige "Documente" existieren in Regensburg: Dazu zählt eine frühere Schnupftabakfabrik an der Gesandtenstraße, wo jetzt Geschäfte, Eigentumswohnungen und ein kleines Fabrikmuseum unter einem Dach sind. Oder die romanische Niedermünsterkirche, unter deren Fundament man in die Zeit der Römer eintauchen kann. Weitere Beispiele wären der Neupfarrplatz mit seiner 2000-jährigen Geschichte oder der historische Reichssaal im alten Rathaus. Ihnen ist eines gemeinsam: die Stärkung der eigenen Identität und das Erlebbar-Machen von Geschichte außerhalb der Museen im öffentlichen Raum. Immer mit dabei ist in Regensburg auch eine multimediale Begleitung.

GROSSE RESONANZ

"Erinnerungsorte" soll das Projekt in Ingolstadt heißen, das auf große Resonanz stieß. Allein nach dem Vortrag Staffels im Barocksaal waren über 60 Vorschläge für derartige Stätten eingegangen. Der Vorstand des Historischen Vereins hat nun für den Anfang drei derartige Erinnerungsorte ausgesucht. Zum Ersten die mittelalterliche Stadtbefestigung, was zugleich eine Anknüpfung an das 100-Türme-Programm darstellt. Der zweite Bereich ist der Komplex Georgianum und Universität. Und der dritte, die Fronte Rechberg, steht für die militärische Vergangenheit speziell im 19. Jahrhundert. Die drei Erinnerungsorte sind laut Schickel ein "thematischer und exemplarischer Zugriff auf die Stadtgeschichte", der es möglich mache, Geschichte am Ort begreifbar zu machen.

KOMPONIST UND LEHRER

Ein weiterer Punkt der Jahresversammlung war ein kurzer Vortrag von Klaus Beckmann. Der Musikwissenschaftler hat schon Buxtehudes Gesamtwerk für Orgelwerke vorgelegt, wobei er zahlreiche Defizite korrigieren konnte, sowie zahlreiche Artikel und Noteneditionen. Beckmann hat sich auch mit dem Leben und Werk des Eichstätter Hofkapellmeisters Joseph Meck beschäftigt. Sein neuestes Projekt, für das er bei den Mitgliedern des Historischen Vereins warb, ist eine Biografie und ergänzte Ausgabe eines Buchs von Johannes Paul Schiffelholz. 1727 erschien in Augsburg dessen "Thesaurus Reconditus", eine Sammlung von acht Konzerten. Von diesem Buch ist nur noch ein einziges Exemplar erhalten, und zwar in der Nationalbibliothek in Budapest, und das ist auch noch unvollständig: Unikat und Fragment in einem.

Im Jahr 1685 in Heideck geboren, heiratete Schiffelholz 1704 in Ingolstadt eine Tochter des Chorregenten am Liebfrauenmünster, dessen Stelle er bei dieser Gelegenheit auch gleich übernahm und über 50 Jahre, bis kurz vor seinem Tod 1758 ausübte. Schiffelholz war auch Lateinlehrer und hat etliche Konzerte komponiert, darunter auch Werke für den Colascione, ein Instrument der Lautenfamilie, das nahezu wie eine moderne Gitarre gestimmt war, für das aber nur wenige Werke überliefert sind.

VERDIENTE MITGLIEDER

Mit der Ostermair-Medaille wurden in Rahmen der Jahresversammlung schließlich drei langjährige, ehrenamtlich aktive Mitglieder des Historischen Vereins geehrt. Der frühere Lehrer Kurt Scheuerer hat nicht nur die Internetseiten des Vereins betreut und Einträge zu zahlreichen Seiten und Stichwörtern hinterlassen. Er ist bis heute auch im Stadtmuseum aktiv. Irmgard Gutzeit ist ebenfalls seit Jahrzehnten im Verein aktiv und hat unter anderem vor 33 Jahren den historischen Stammtisch gegründet. Die Stadtführerin hat vor vielen Jahren auch durchaus mit einem gewissen Erfolg gegen den kompletten Abriss des Ickstatt-Hauses demonstriert. Seit drei Jahrzehnten ist auch Gerd Welker ein unermüdlicher Helfer im Verein und im Museum. Vor allem als ehrenamtlicher Restaurator hat er sich bleibende Verdienste erworben.