Ingolstadt
Die Mühen der Energiewende

Wo steht Ingolstadt ein Jahr nach Fukushima? OB Lehmann über Initiativen, Chancen und Fehlschläge

11.03.2012 | Stand 03.12.2020, 1:44 Uhr

32 Meter ist die „Welle“, das Herzstück der Bioabfallvergärungsanlage in Stammham, lang. Sie wurde im Juli in den sogenannten Fermenter eingesetzt, in dem nun aus den Bioabfällen der Ingolstädter Strom erzeugt wird. Der Bau von Biogasanlagen wie dieser ist Teil der geplanten Energiewende der Stadt. - Foto: Archiv/Rössle

Ingolstadt (DK) Sechs Meter pro Sekunde durchschnittliche Windgeschwindigkeit in 140 Meter Höhe. Das ist das Minimum. Als der DK zum Interview ins OB-Büro kommt, hat Alfred Lehmann eine Karte der Region vor sich, ganz frisch vom Gutachter eingetroffen. Wenige rote Flecken zeigen, wo Windkraftanlagen sinnvoll wären. Damit kann die eigentliche Arbeit beginnen. Reimund Herbst wollte von Lehmann wissen, wie weit die Energiewende in Ingolstadt ein Jahr nach Fukushima vorangekommen ist.

Herr Oberbürgermeister, bis zur Katastrophe von Fukushima war für jeden gestandenen CSU-Politiker klar: Die Atomkraftwerke sind sicher. Hat der GAU in Japan auch Ihr Weltbild verändert?

Alfred Lehmann: Das war schon ein Schock, die Bilder aus Japan zu sehen. Ich hab das eigentlich nicht für möglich gehalten. Das Überraschende war ja, dass das Unglück in einem Hochtechnologieland passieren kann. In irgendeinem Entwicklungsland hätte man das vielleicht befürchten können. Deshalb haben wir in Ingolstadt den neuen Kurs in der Energiepolitik aus Überzeugung unterstützt. Wir versuchen, vor Ort alles zu tun, um unseren Beitrag zur Energiewende zu leisten. Wenn man sich in der Welt umschaut, ist es ja auch nicht so, dass alle zum gleichen Ergebnis kommen bei der Einschätzung dieses Unfalls. Es werden ja weiterhin Atomkraftwerke gebaut.

Kurz nach Fukushima hat die Stadt zur Energiekonferenz geladen. Was ist seitdem passiert?

Lehmann: Wenn Sie jetzt fragen, was es an konkreten Investitionen gibt, muss ich sagen: So schnell sind Planungen in unserem Land nicht umzusetzen. Allein ein Bebauungsplan hat eine Laufzeit von einem Jahr. Wir sind aus einer relativ guten Position heraus gestartet. Bei den Haushaltskunden ist der Anteil des Atomstroms in Ingolstadt relativ niedrig. In der Vergangenheit haben wir schon vor Fukushima viel getan, Stichwort Fotovoltaik, Fernwärme.

Werden die Stadtwerke künftig stärker in die Energieerzeugung einsteigen?

Lehmann: Die Stadtwerke haben in Unterstall ein Biogaskraftwerk errichtet, das sehr gut angelaufen ist. Wir tragen uns mit dem Gedanken, das zu erweitern. Wir wollen beim Thema Windkraft tiefer einsteigen. Wir haben Analysen, wie es mit der Windsituation aussieht. In Ingolstadt selbst gibt es nur einen potenziellen Standort, den Hohenloher Berg im Westen. Wir wollen im Umland schauen: Was sagt die Gemeinde? Wem gehören die Grundstücke? Wir sind auch bereit, uns außerhalb unseres traditionellen Gebietes an Investitionen zu beteiligen.

Wo gibt es noch Hindernisse?

Lehmann: Wir haben versucht, mit dem Müllzweckverband auf einer Deponie in Großmehring sehr großflächig eine Fotovoltaikanlage zu installieren. Das wäre ein tolles Projekt gewesen, ist aber am politischen Widerstand in Großmehring gescheitert. Da sieht man, wie schwierig die konkrete Umsetzung ist.

Im Norden gibt es große Waldgebiete. Ingolstadts Stadtwerkechef hat sich bei seinem Amtsantritt für den Bau eines Holzkraftwerks ausgesprochen. Was ist daraus geworden?

Lehmann: Wir sind in Gesprächen mit Waldeigentümern, insbesondere mit dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds. Aber das sind große Investitionen, die einen erheblichen Vorlauf brauchen.

Wer könnte dieses Holzkraftwerk bauen?

Lehmann: Wir wollen uns zusammentun mit einem Holzproduzenten, um damit das Risiko zu teilen, aber auch die Chancen gemeinsam zu nutzen. Das soll eine Win-win-Situation werden.

Die Stadtwerke haben über 20 Millionen in den Wärmeverbund mit Petroplus investiert. Ist das Geld in den Sand gesetzt, wenn die Raffinerie als Wärmelieferant ausfällt?

Lehmann: Wir bekommen im Moment noch Fernwärme von Petroplus. Ich bin ganz optimistisch, dass Petroplus einen Investor findet, weil es für manche Investoren die ideale Ergänzung ist – wenn sie über die notwendigen Rohstoffe verfügen, aber keinen Kontakt zum Endverbraucher haben. Für die haben wir mit Petroplus ein ganz tolles Angebot, nämlich die Kette weiterzuführen bis zum Endverbraucher. Deshalb beliefert Petroplus im Moment richtigerweise die Kunden weiter. Sie produzieren kein Benzin, aber handeln damit. Damit halten sie Kontakt mit dem Endkunden und bringen ihn ein in die Verkaufsverhandlungen.

Die Staatsregierung will als Übergangslösung einige große Gaskraftwerke bauen lassen. Wäre der Raum Ingolstadt ein geeigneter Standort?

Lehmann: Wo der Freistaat das machen will, weiß ich nicht. Mir sind standortbezogene Pläne nicht bekannt. Das Problem ist, dass die Gaskraftwerke nur eine Reservekapazität bilden sollen. Das heißt, die haben eine geringe Auslastung und sind unwirtschaftlich. Das macht die Investition so schwierig.

Für die Stadtwerke also eine Nummer zu groß?

Lehmann: Es ist schon die Frage, ob das nicht besser die ganz Großen machen sollen, die das mit in eine Mischkalkulation nehmen können.

Es gab bei der Stadt auch die Idee, Fotovoltaik und Lärmschutz zu kombinieren, etwa an der Umgehung Gaimersheim oder der Autobahn. Wird das noch weiterverfolgt?

Lehmann: Das ist in der Priorität eher wieder zurückgefallen. Es gibt viele Gegenargumente. Die Einspeisevergütung wird runtergefahren. Es ist auch eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Nach unserer Einschätzung ist das im Moment nicht rentabel zu machen. Wenn man der Sache nachgeht, stellt man fest, dass mehr dagegen als dafür spricht.

Umweltreferent Wolfgang Scheuer hat die Gründung einer Energieagentur angekündigt. Wann ist es so weit?

Lehmann: Ich bin für eine regionale Energieagentur. Die Landkreise haben aber noch Vorbehalte. Wir wollen über Irma (Initiative Regionalmanagement) die Vorstufe einer Energieagentur in Gang bringen. Sollte das nicht zu einem Ergebnis führen, werden wir irgendwann eine lokale Energieagentur gründen. Sinnvoller wäre es aber, das für die ganze Region zu machen.