Ingolstadt
Dichten in der Diaspora

Bei den Literaturtagen feiern zehn Nachwuchsautoren im schummrigen Licht des Maki-Club Premiere

04.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:31 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Neun junge Dichterinnen und ein Dichter haben im Rahmen der Literaturtage erstmals ihre Werke vorgestellt. Dass es dabei nicht nur auf den Text, sondern auch auf Sprachtechnik und Auftreten ankommt, haben sie zuvor von Profis gelernt. Offenbar mit Erfolg. Das Publikum war jedenfalls begeistert.

Für Annika Kringel war schnell klar, dass für ihren Auftritt bei den Literaturtagen nur das Gedicht mit der Flasche in Frage kommt. „Das kann man leicht auswendig lernen und ich muss beim Vortrag einfach die Hände bewegen“, erklärt die 15-Jährige. Einen Zettel kann sie deswegen nicht gebrauchen. Die Idee zu dem Gedicht kam ihr auf dem Weg zum Fußballtraining. „Mir ist eine Zweiliterflasche in der Tasche ausgelaufen“, erzählt sie. „Da habe ich mir gedacht: ,Jetzt schreib ich ein Gedicht über Flaschen. Es reicht.’“

Dass eine gute Idee noch lange kein guter Text ist und ein guter Text keinen gelungenen Auftritt garantiert, lernten Annika und rund 70 andere Schüler aus Ingolstadt im Rahmen eines ungewöhnlichen Projekts der Literaturtage. Bas Böttcher, der als Begründer der Poetry-Slam-Szene in Deutschland gilt, und die international bekannte Poetin Pauline Füg haben den Neunt- und Zehntklässlern in vier Workshops erklärt, worauf es ankommt. Unter anderem wissen sie jetzt, wie man vor einem Auftritt die Gesichtsmuskulatur lockert. „Es gibt das ,große Gesicht’“, sagt Daniela Motzer, reißt die Augen auf und zieht die Mundwinkel nach hinten. Neben ihr zieht Daniel Hart eine spitze Schnute. „Das kleine Gesicht“, erklärt er.

Trotz aller Vorbereitung war Katharina Ganser doch „sehr aufgeregt“, räumt die 15-Jährige ein. Als sie dann aber vor dem Mikrofon stand und ihr Gedicht über ein altes Haus vorgetragen hat, sei es doch „sehr schön“ gewesen. Zwei Gedichte hat sie in ihrem Leben schon geschrieben und es werden sicher noch mehr werden. Babsi Duna hat ihren Text eigens für den Auftritt bei den Literaturtagen geschrieben. Wie lange sie dafür gebraucht hat, lässt sich nicht sagen. „Ich habe ihn immer wieder rausgezogen und etwas verbessert, bis er sich gut angehört hat.“ Ein paar Tricks, wie man sich am besten auf der Bühne gibt, hat sie sich unter anderem von Pauline Füg abgeschaut, die sie eigens auf einem Poetry Slam besucht hat. Entsprechend gelassen sah sie ihrem ersten Auftritt entgegen. „Ich war eigentlich nicht aufgeregt“, sagt sie.

Zwischen den Jugendlichen traten abwechselnd auch Pauline Füg und Bas Böttcher auf. Zunächst war geplant, zuerst alle Schüler, dann die Profis ans Mikrofon zu lassen. „Das wollten wir aber nicht“, sagt Füg. Schließlich sollten die Auftritte der Workshopteilnehmer im Vordergrund stehen. „Wir sind heute nur die Vorband für Euch“, erklärte sie den Nachwuchsdichtern und verstand es wie Böttcher und der Moderator Gunther Dommel, den Neulingen die Sicherheit und das Selbstvertrauen zu vermitteln, das es für einen gelungen Auftritt braucht. Schließlich ist der Schritt auf die Bühne für Unerfahrene kein ganz einfacher. Etwa für Valeria. Die 17-Jährige stammt aus Sankt Petersburg und lebt erst seit zwei Jahren in Deutschland. Ihre vier kurzen Gedichte trug sie auf Russisch und zweisprachig, in Russisch und Deutsch vor. Auch wenn niemand im dicht gedrängten Publikum im Maki-Club die Texte vollständig verstanden haben dürfte, wurde doch deutlich, wie viel Herzblut die junge Russin in ihre Gedichte legt. Wie alle anderen erhielt auch sie tosenden Applaus.

In der vorletzten Reihe klatschte auch Johannes Langer, der Organisator der Literaturtage, begeistert in die Hände. „Poetry Slam ist ernstzunehmende Kultur“, betont er. „Ich finde es grandios, was etwa bei den regelmäßigen Slams hier im Maki und den Workshops im Stadttheater schon aufgebaut worden ist“, lobt er. Diese junge Form, mit Texten umzugehen, sei der richtige Weg, Kinder und Jugendliche für Literatur zu begeistern. „Ingolstadt war auf diesem Gebiet lange Diaspora, aber hier könnte sich eine richtige Szene entwickeln.“ Die ersten zehn Mitstreiter für dieses Ziel dürften gefunden sein.

Ein Interview mit Bas Böttcher lesen Sie auf Seite 18.