Ingolstadt
Der Tod kam auf der Mailinger Brücke

Bei einem der schwersten Verkehrsunfälle der Region starben vor 50 Jahren neun Menschen

21.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:19 Uhr

 

Ingolstadt / Neustadt (DK) Vor 50 Jahren kam es in Mailing zu einem grauenvollen Verkehrsunfall, der neun Menschenleben forderte. Unter den Toten aus Neustadt war auch die Mutter von Alfred Süßbauer, der dieses Ereignis nie vergessen wird.

Eine richtige Schlagzeile war das nicht, was da vor einem halben Jahrhundert im Lokalteil des DK zu lesen war. Eher eine sachliche Bestandsaufnahme, die das Unfassbare in nur fünf Worte fasste. „Neun Tote und zwei Schwerverletzte“ lautete auf den Tag genau vor 50 Jahren die Überschrift über einen fast seitenfüllenden Artikel. Detailliert und zugleich einfühlsam wird geschildert, wie es zu einem der schwersten Verkehrsunfälle kam, der sich jemals in der Region ereignet hat. Der Anhänger eines Lkw war ins Schlingern geraten und auf der damaligen B 16, genau auf der Brücke über den Mailinger Bach, gegen einen entgegenkommenden Auto-Union-Werksbus geprallt. Neun Menschen, alle aus Neustadt und dem damals noch selbstständigen Ortsteil Mühlhausen, verloren ihr Leben. Zwei Fahrgäste wurden schwer und zwölf weitere leicht verletzt.

Unter den Toten ist auch die Mutter von Alfred Süßbauer. Der damals Zwölfjährige hat noch heute die grauenvollen Bilder jener Tage vor Augen. „Zwei unserer Nachbarn, die auch in der Auto Union gearbeitet haben, sind blutüberströmt heimgekommen“, erzählt er. „Neustadt war damals nicht groß, das hat sich sofort rumgesprochen.“ Wochenlang ist der Unfall das Gesprächsthema in der ganzen Gegend. Die Toten aus Neustadt, das weiß er noch genau, werden gemeinsam im alten Leichenhaus aufgebahrt und dann einer nach dem anderen beerdigt. „Sie hatten eine separate Nische am Friedhof“, erzählt Süßbauer. Heute ist dort nur noch das Grab seiner Mutter, die heuer 100 Jahre alt geworden wäre – alle anderen Gräber dort sind bereits aufgelöst.

Jetzt, ein halbes Jahrhundert nach diesem grauenvollen Unfall, kann Süßbauer darüber reden. „Die zeitliche Distanz macht es natürlich leichter“, sagt er. Doch damals hat ihn und seine Geschwister der Tod der Mutter natürlich in den Grundfesten erschüttert. „Richtig begreift man das in diesem Moment gar nicht“, erinnert er sich. Umso grausamer erwischt ihn später die Realität, als er das Geschehen verarbeiten kann. „Die Mutter fehlt einem immer“, weiß Süßbauer. Er klammert sich an die ältere Schwester in Lenting, bei der er aufwächst, und meistert sein Leben. „Hilft ja nichts“, sagt er.

Wer mit Alfred Süßbauer spricht, erlebt einen positiven, sympathischen Menschen. Die Unfallbilder von damals hat er nach Jahrzehnten schließlich doch weggeworfen. Was seinerzeit eigentlich genau zu dem Zusammenstoß geführt hat, ist bis heute ungelöst und verschwindet allmählich im Dunkel der Geschichte. „Die Schuldfrage wurde nie geklärt, es gab nie ein Urteil“, sagt Süßbauer. Es ist keine Anklage, mehr eine Feststellung.

Ein Teil der Ereignisse von damals hat sich rekonstruieren lassen. Der Werksbus ist mit 43 Fahrgästen besetzt, und der mittlerweile verstorbene Fahrer kennt die Strecke, auf der er schon drei Jahre lang täglich unterwegs ist. Auch einige seiner Fahrgäste sind ihm seit Jahren persönlich bekannt: Er stammt ebenfalls aus dem kleinen Dorf Mühlhausen. Die Fahrt verläuft völlig planmäßig, bis der Bus die Ortsgrenze von Mailing erreicht.

Dort kommt ihm ein Lkw von der Baustelle des Bayernwerks in Großmehring entgegen, der rund 13 Tonnen geladen hat. 50 Meter vor dem Bus gerät der Anhänger ins Schlingern, der Unglücksfahrer traut sich kurz vor der Brücke nicht mehr zu bremsen aus Angst, sein Zug könnte ins Rutschen geraten. Ein Fahrgast bemerkt das sich nahende Unheil, im Bus bricht Panik aus. Der Busfahrer versucht noch zu bremsen, doch vergebens: Auf der Brücke prallt der Lkw-Anhänger hinter dem Fahrersitz auf den Bus und reißt ihn bis hinten auf einer Seite komplett auf. „In dieser Sekunde waren schon sechs Menschen tot“, so der DK damals: „Das Innere des Omnibusses war ein Trümmerfeld.“

Wenige Minuten später treffen die ersten Rettungskräfte ein, alle umliegenden Krankenhäuser werden informiert. Doch für drei weitere Schwerverletzte kommt jede Hilfe zu spät, sie sterben kurz danach. Unter den Toten sind auch ein 18-Jähriger aus Neustadt und eine 25-Jährige aus Mühlhausen, die erst zehn Tage zuvor bei der damaligen Auto Union zu arbeiten begonnen hatten.

50 Jahre später denkt Alfred Süßbauer immer noch an seine Mutter, an Weihnachten etwa oder an Geburtstagen. Und bisweilen nimmt sie auch wieder Gestalt an. Wenn er beispielsweise mit seiner Tochter über ihre Großmutter spricht, die sie nie kennenlernen durfte.