Ingolstadt
Der Schmerz, den keiner sieht

Fachtag in der Kolping-Akademie beschäftigt sich mit der palliativen Versorgung von Demenzkranken – Angehörige berichten

23.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:30 Uhr

Wie man die Palliativmedizin auch bei Demenzerkrankungen anwenden kann, darum ging es am Wochenende auf einem Fachtag in der Kolping-Akademie. Insgesamt acht Dozenten hielten Vorträge zum Thema. - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Palliativ – was hat das mit Demenz zu tun? Diese Frage stand am Samstag im Mittelpunkt eines gemeinsamen Fachtages der Ingenium-Stiftung, der Alzheimer-Gesellschaft Ingolstadt und des Bayerischen Staatsministeriums Gesundheit und Pflege in der Kolping-Akademie.

Der Tag beschäftigte sich mit Aspekten bei der palliativen, sprich schmerzlindernden, Versorgung von Menschen mit Demenz. Eine Reihe namhafter Dozenten aus den verschiedenen Fachbereichen – darunter Ruth Nowak, Amtschefin im Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, sowie Heike von Lützau-Hohlbein, Vorsitzende der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft, diskutierten dabei ihre Erfahrungen und Erkenntnisse mit den Teilnehmern, darunter auch Besucher, die selbst ein demenzkrankes Familienmitglied pflegen. Als „revolutionären Gedanken“ bezeichnete Nowak die Idee zu der gut besuchten Veranstaltung und sah die Möglichkeit, Anknüpfungspunkte zwischen beiden Bereichen herzustellen. Denn die Palliativmedizin sei noch nicht bei den Demenzerkrankten angekommen, was auch Winfried Teschauer, Vorstand der Ingenium-Stiftung in Ingolstadt, bekräftigte. So habe Hans Förstl, Direktor der Klinik und Poliklinik der Technischen Universität München, Klinikum rechts der Isar, in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass bei demenzkranken Menschen das Schmerzempfinden möglicherweise stärker ausgeprägt sei als bei anderen Patienten. Bis vor wenigen Jahrzehnten sei man hier umgekehrter Meinung gewesen, so Teschauer. Das Problem sei jedoch, dass die Betroffenen die Schmerzen nicht artikulieren können. Um das Schmerzempfinden dennoch erkennen zu können müsse man als Pflegender sehr sensibel sein, Gesten und Mimik lesen können und die Atmung beobachten. Man wisse außerdem aus Studien, dass Menschen mit Demenz im Durchschnitt 30 Prozent weniger Schmerzmittel erhalten als andere Patienten. „Einfach deswegen, weil sie ihre Schmerzen nicht deutlich machen können“, so Teschauer.

Gesundheitliche Wagnisse gebe es laut dem Gerontologen und Diplom-Biologen auch für Angehörige, die Demenzkranke in häuslicher Pflege betreuen. Diese hätten ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst körperlich oder seelisch zu erkranken. Es gebe Menschen, die den Prozess der Pflege, der oft über Jahre andauert, bis zum Ende durchhalten. Andere zerbrechen unter der Bürde, sich innerhalb der Familie in die Hand versprochen zu haben, sich gegenseitig nicht ins Heim zu geben. Auch hier hatte der Fachtag mit einer Gesprächsrunde angesetzt, in der drei Familienmitglieder und Ehepartner zu Wort kamen und ihre persönlichen Erfahrungen schilderten. Als Motive für ihre Entscheidung gaben sie Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein, aber auch Alternativlosigkeit zur häuslichen Pflege an. So sagte eine Frau, es sei für sie undenkbar gewesen, ihre Mutter in ein System zu geben, in dem „im Minutentakt gepflegt“ und in dem „Zuwendung nicht honoriert wird“. Eine andere Teilnehmerin räumte ein, dass sie die Erfahrung der häuslichen Pflege ihrer demenzkranken Mutter, trotz vieler Krisen und dem Erreichen der eigenen Belastbarkeit, nicht missen möchte. Der männliche Teilnehmer räumte ein, er sei bei der Pflege seiner Mutter schnell überfordert gewesen. Rat habe ihm die Alzheimer-Gesellschaft vermittelt. Er wünschte sich außerdem weniger Bürokratie bei niedrigschwelligen Pflegeangeboten. Ein anderer Appell lautete, Betroffene sollten nicht zu lange warten, Hilfe zu rufen, wenn sie merken, dass sie der Pflege allein nicht gewachsen sind. So könne der oder die Kranke noch Vertrauen zu den Pflegekräften aufbauen.