Ingolstadt
Denn sie wissen nicht, was sie tun sollen

Ein Kripokommissar verdeutlicht bei seinem Drogen-Vortrag vor Eltern deren großes Aufklärungsdefizit

29.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:42 Uhr

Mitreißend und schonungslos ehrlich berichtete Drogenfahnder Stefan Wallner auf Einladung der Interessengemeinschaft Eltern in Ingolstadt. Bei seinem Vortrag ließ der Kriminalhauptkommissar auch typische Utensilien wie die Drogenpfeife Bong (kleines Bild) durch die Reihe gehen - Fotos: Hauser

Ingolstadt (DK) Mehr als zwei Stunden hingen sie an seinen Lippen: Die Gäste der Ingolstädter Interessengemeinschaft Eltern hörten Kriminalhauptkommissar Stefan Wallner bei seinem Vortrag über alle in der Region verfügbaren Drogen zu. Der Abend im Neuburger Kasten bewies: Viele Eltern sind ahnungslos.

AUSGANGSLAGE

 

 

„Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich vorher gehandelt!“ Kriminalhauptkommissar Stefan Wallner kennt nicht nur den Ausruf von Eltern, wenn das Kind wortwörtlich in den Brunnen gefallen ist, die Drogenproblematik also offen zutage tritt. Der Drogenfahnder kennt auch die Fragen, die den Ängsten und Sorgen entspringen: Woran kann ich es erkennen? Was mache ich, wenn ich daheim bei meinem Kind etwas finde? Wie sieht das Zeug überhaupt aus? Was gibt es überhaupt? All diese Fragen kamen auch am Mittwochabend wieder im Bürgerhaus.

 

MARIHUANA

 

„Weiche Drogen – den Begriff werden Sie von mir nicht hören, weil ich ihn nicht mag.“ Marihuana („Gras“) oder Haschisch („aus dem Harz der Cannabis-Pflanze“) sind die in der Region am weitesten verbreiteten illegalen Suchtstoffe („Auch Alkohol und Rauchen machen abhängig“). Und der Konsum ist in Bayern kein Kavaliersdelikt, selbst in kleinsten Mengen, sondern es ist mit (zumindest anfangs bürokratischem) Ärger selbst beim ersten Kontakt mit der Polizei zu rechnen. „Man kann davon ausgehen, dass jeder Polizist nicht nur einen Alkomattest, sondern auch einen Drogenkombischnelltest dabei hat“, sagt Wallner aus der Praxis des Streifendienstes. Ein Gramm Gras, also Marihuana, kostet in Ingolstadt „zehn Euro, bis 12,50 Euro, aktuell erst letzte Woche“, erklärte Wallner den Eltern. Macht Marihuana süchtig? „Ja! Kiffen macht süchtig. Punkt“, sagt der Drogenfahnder sofort. Sein „Spitzenreiter“ sei ein 65-Jähriger aus Ingolstadt gewesen, mit dem er letztes Jahr dienstliche Bekanntschaft machte. „Der baute in diesem Alter noch selbst Stoff an. Ohne Kiffen konnte der nicht.“ Der Polizist weiß um die Kritik an der vermeintlichen Panikmache und die Diskussion um eine Legalisierung: „Wer mit Marihuana einsteigt, probiert vielleicht was anderes, stärkeres. Muss aber auch nicht sein.“

 

 

KRÄUTERMISCHUNGEN

 

1400 Drogenfälle zählt die Ingolstädter Kriminalpolizei seit Jahren stabil, über alle Arten verteilt. „Es ist ein Kontrolldelikt. Je mehr gemacht wird, umso mehr kann man aufdecken.“ Doch bei den sogenannten Kräutermischungen kommen die Fahnder an ihre Grenzen. Die Polizei hechelt den Herstellern hinterher, weil einige Wirkstoffe noch nicht auf der Verbotsliste stehen. Mit Mörtelmaschinen würden irgendwelche Kräuter mit anderen Inhaltstoffen gemischt, berichtet der Fahnder. „Das Zeug, was da drin ist, ist brutal“, sagt Wallner. Für 25 Euro gibt es die Wundertüte. Und keiner weiß, wie der Konsument darauf reagiert. Bis hin zum Kollabieren.

 

 

BADESALZ

 

„Teufelszeug“, sagt Wallner nur, wenn es um die synthetischen Drogen geht, die unter dem verniedlichenden Namen „Badesalz“ angepriesen werden. In der Designerdroge werden „irgendwelche Chemikalien zusammengepanscht“, „und die Kinder hauen sich das dann zum Teil intravenös rein, das ist unglaublich“, findet der Polizist deutliche Worte. Wie bei den Kräutermischungen warnt die Kriminalpolizei immer wieder und immer intensiver vor dem verhängnisvollen Chemiecocktail, von dem die Eltern, wenn überhaupt, nur mal einen Namen aufgeschnappt haben.

 

 

 

 

HEROIN

 

„Man liest und hört nichts mehr davon.“ Und tatsächlich sei die Heroinszene in der Region etwas in den Hintergrund getreten. „Wir hatten über Jahre ein massives Heroinproblem hier in Ingolstadt“, so Wallner. Mehr als 200 Schwerstabhängige gingen weiterhin in eine Arztpraxis zur Substitution.

 

 

CRYSTAL METH

 

Das Hauptthema des Abends sparte sich der langjährige Drogenfahnder bis zum Schluss auf. Aus gutem Grund: „Crystal Meth ist vom Inhalt und der Wirkung das Schlimmste, was im Moment auf dem Markt ist.“ Und es ist verfügbar: „Wir haben es sichergestellt, es gibt es“, sagte der Polizist. „In der Region bekommen Sie jeden Stoff, den ich hier heute aufgezeigt habe.“ Rund 50 Crystal-Fälle weist die Statistik der Ingolstädter Kripo für 2013 aus, im abgelaufenen Jahr waren es laut Wallner um die 40 in der ganzen Region. „Es ist lange nicht so groß, wie bei den Kollegen in den Grenzgebieten. Dort ist es pervers. Gottseidank sind wir noch weit genug von der großen Schwemme entfernt“, sagt der Hauptkommissar. In Tschechien wird Crystal Meth einfach, schnell und billig produziert. Um die 30 Euro kostet das Gramm dort, in Ingolstadt „70, 80, 90 Euro“, weiß Wallner. Früher wurde Methamphetamins an Bomberpiloten und andere Soldaten gegeben, damit die länger durchhalten. Die Wirkung von Crystal Meth auf den Körper ist katastrophal. „Man geht davon aus, dass man es nicht probieren kann, ohne gleich süchtig zu werden“, sagt der Experte. Dann kommt er auf den ARD-Tatort vom vergangenen Sonntag zu sprechen, in dem die Crystal-Meth-Szene eine zentrale Rolle spielte. „Schaut schlimm aus, ist aber genau so“, sagt er zu den Abhängigen. Deren kaputte Zähne und rapide gealterte Körper. Und deren Verhalten in echt: „Es gibt nur Vollgas! Die ticken richtig aus“, berichtete Wallner aus dem Dienstalltag der Ingolstädter Kripo – und erntete betroffenes Schweigen der Eltern.

 

 

WAS ALSO TUN?

 

„Sie können die Kinder natürlich nicht daheim einsperren...“ Das Wissen die Eltern selbst, wie sie nickend zeigten. Inzwischen seien Ingolstädter Schulen zu einem Umschlagsplatz geworden, merkte eine Mutter aber an. Wallner musste mit den Schultern zucken: „Wir gehen als verdeckte Ermittler in Schülerkreisen nicht mehr durch.“ Aber: „Fast alle Schulleiter sind inzwischen empfänglich geworden für das Thema“, sagte der Fahnder. Und er verspricht auch generell: „Die Kollegen in zivil kontrollieren auf Teufel komm raus.“ Armin Schätzle vom städtischen Gesundheitsamt sprang Wallner zur Seite. Er leitet dort die Selbsthilfekontaktstelle. Auch der Verein Condrobs und die Suchtberatung der Caritas sind Anlaufstellen, sagte der städtische Mitarbeiter. Der Polizist hat für Eltern im Einzelfall eine unbürokratische Lösung: Wer unbekannte Pillen daheim findet, kann sie zur Analyse zum Gesundheitsamt bringen. Denn Ärzte haben Schweigepflicht...