Ingolstadt
"Das ist ein Irrglaube"

INKB-Vorstand Thomas Schwaiger: Verdichtung wirkt sich nicht negativ aufs Kanalnetz aus

20.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:16 Uhr

Wischen und saugen gegen die braune Flut: Ein Starkregenereignis überflutete 2011 die Straßen und Keller im Ingolstädter Süden. Es war ein "Jahrhundertereignis". Doch diese, sagte INKB-Vorstand Thomas Schwaiger im Bezirksausschuss Südost, kommen immer öfter. ‹ŒArch - foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Ist unser Kanalnetz zu schwach, um Starkregenereignissen, wie sie sich im September 2016 und im August 2011 in Teilen der Stadt ereignet haben, standzuhalten? Eine Antwort darauf gab Thomas Schwaiger, Vorstand der Ingolstädter Kommunalbetriebe, am Mittwoch im BZA Südost. Sie lautet: nein.

Wer selbst schon mal mit einem vollgelaufenen Keller konfrontiert war, sei wahrlich nicht zu beneiden, meinte Schwaiger. Am 24. August 2011 und am 18. September 2016 ging es etlichen Leuten so, denn da hieß es vor allem in Teilen des Ingolstädter Südens Land unter. Im September vergangenen Jahres zeigte das Niederschlagsradar extreme Sturzfluten an. Innerhalb einer Stunde gingen in südlichen Stadtteilen auf einen Quadratmeter 43 Liter Regen nieder. "Wir sind hier weit im 100-jährigen Bereich", sagte der Chef der Kommunalbetriebe. Doch der Begriff täuscht: Denn solche Jahrhundertereignisse werden immer häufiger. Sie sind auf ganz engen Raum begrenzt und dadurch umso heftiger. An Sätze wie "In Manching und Kothau geht die Welt unter, in Ebenhausen regnet's nicht mal" werde man sich gewöhnen müssen.

"Es gibt in meinem Zuständigkeitsbereich kein Thema, bei dem mehr auseinanderklafft, was der Bürger meint und fühlt und was die Fachleute sagen", hatte Schwaiger sein Referat über "Starkregen und urbane Sturzfluten" in der Sitzung des Bezirksausschusses im Stadtteiltreff Augustinviertel eingeläutet. Immer wieder bekämen die Kommunalbetriebe (INKB) zu hören, das Kanalnetz sei durch ständige Verdichtung überfordert. Schwaiger weist dies zurück: "Die Bemessung des Kanalnetzes erfolgt nicht nach der Anzahl der entsorgten Einwohner, sondern nach der angeschlossenen Fläche und dem zu bemessenden Regen", erklärte er. Es sei "ein Irrglaube", zu denken, wo statt zwei zehn Leute wohnen, müsse der Kanal dicker bemessen werden. Im Gegenteil. Als Beispiel nannte Schwaiger das rund 6000 Quadratmeter große ehemalige Opel-Willner-Gelände. Das Kanalnetz hier sei durch die dichte Bebauung sogar entlastet.

Nach bundesweit gültigen Regeln ist das Ingolstädter Kanalnetz so ausgelegt, dass es fünfjährige Starkregenereignisse aufnehmen kann. Nach dem extremen Regen im August 2011 - der Deutsche Wetterdienst sprach damals von einem Jahrhundertereignis - habe die Stadt untersucht, "was wäre, wenn wir unser Kanalnetz höher dimensionieren würden". Statt der geltenden fünfjährigen Sicherheit habe man untersucht, wie die Kanalisation ausgebaut werden müsse, damit sie einem statistisch alle zehn Jahre vorkommendem Starkregen standhält. Ein solcher Ausbau "hätte 2011 und 2016 nicht das Geringste geholfen", so Schwaiger. Von den dafür nötigen 535 Millionen Euro müssten 300 Millionen aus den Gebühren finanziert werden, die Stadt hätte sich nach dem Rechenmodell mit 235 Millionen Euro beteiligt. Die Folge: "Die Gebührenlast hätte sich verdreifacht." Und es wären bei einem Jahrhundertereignis nicht weniger Keller vollgelaufen als bei dem bestehenden auf fünfjährige Sicherheit ausgelegten Kanalnetz.

Sowohl der Wetterdienst als auch verschiedene Versicherungen hätten bestätigt, dass das Kanalnetz in Ingolstadt in Ordnung sei. Eine Haftung übernimmt die Kommune bei vollgelaufenen Kellern nicht. Schwaiger riet zur privaten Vorsorge, die bei den Gebühren entsprechend belohnt werde: durch Regenwasserversickerung, durch bauliche Maßnahmen und durch eine Gebäude-Elementarversicherung. Je hochwertiger die Ausstattung des Kellers sei, umso größeren Aufwand zur Rückstausicherung müsse man betreiben.

Nach dem Unwetter 2016 gingen 136 Meldungen bei den Ingolstädter Kommunalbetrieben ein. 280 Vorfälle wurden bei der Feuerwehr registriert. Nach dem Starkregen 2011 hatten sich 92 Betroffene bei der INKB gemeldet, 318 bei der Feuerwehr. 2011 hatten 58 Prozent der Betroffenen keine Rückstauklappe in ihrem Keller eingebaut. 2016 lag der Anteil nur noch bei 27 Prozent. Allerdings hatten 18 Prozent derer, die eine solche Klappe haben, bei der Befragung angegeben, sie sei defekt gewesen oder nicht abgesperrt. Interessant: 21 Prozent der Befragten wussten nicht einmal, was ein Rückstauventil ist. Dabei heißt es in der Entwässerungssatzung wörtlich: "Gegen Rückstau des Abwassers aus dem Abwassernetz hat sich jeder Anschlussnehmer selbst zu schützen."

Neben Starkregen oder "urbanen Sturzfluten" gibt es auch viele andere Ursachen, die den Kanal im wahrsten Sinne überlaufen lassen können: Fremdwasser, Verstopfungen, Ablagerungen im Kanal, ein Rohrbruch, der Ausfall eines Pumpwerks oder kurzfristige Revisionsarbeiten. Schwaiger riet allen zu privater Vorsorge, auch durch kleine bauliche Maßnahmen wie etwa die Aufkantung der Lichtschächte. Er bot an: "Wir beraten gerne."

"Was, wenn beim Nachbarn die Sickergrube nicht funktioniert", fragte ein Zuhörer. Dafür, so Schwaiger, sei jeder, der eine solche habe, selbst verantwortlich. Er sei "schon zweimal abgesoffen", meinte ein Bewohner der Schröplerstraße. Und riet allen zum Einbau einer elektronischen Rückstauklappe. "Bei einer normalen Klappe", so seine Erfahrung, "zahlt die Versicherung nicht."