Ingolstadt
Das getanzte Gefühl

Noch bis September verwandeln Tangobegeisterte mittwochs den Rathausplatz in eine Milonga

28.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:58 Uhr

Im Dreivierteltakt durch den Abend: In eine Milonga – eine argentinische Tango-Tanzdarbietung – verwandelt sich noch bis September jeden Mittwoch ab 19 Uhr der Platz vor dem Café Moritz gleich neben dem Rathaus - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Schummriges Licht, schwülwarme Luft, Akkordeonmusik, die im Dreivierteltakt über den Rathausplatz hallt – den nostalgischen Charme alter Schellackplatten verbreitend.

Dazu die Tänzerinnen und Tänzer, die den Platz vor dem Café Moritz, sich sanft wiegend und ästhetisch umschlungen, mit Leben füllen. All das versetzt jeden Mittwochabend von 19 bis 22 Uhr das Ingolstädter Zentrum kulturell für wenige Stunden quasi nach Buenos Aires, schimmernde Metropole und Hauptstadt Argentiniens.

Freiluft-Milonga nennt sich die Tanzveranstaltung, die der Verein Tango in Ingolstadt hier aufführt. Tango getanzt wird normalerweise im Neuburger Kasten. Weil es im Sommer aber seinen Reiz hat, draußen das Tanzbein zu schwingen und bei einem kühlen Drink die südamerikanische Atmosphäre zu genießen, treffen sich die Tangofreunde noch bis September in der sonst wenig einladenden und zu dieser Jahreszeit tagsüber höchstens Schatten spendenden Passage zwischen Rathaus- und Sparkassengebäude. Je nachdem, wie das Wetter mitspielt. Das sagt Werner Schneider, der die Milonga mitorganisiert. Die Genehmigung für das Tanzspektakel habe er schnell bekommen, so Schneider. Und auch der Besitzer des Cafés – er lässt für die Milonga extra länger auf – gab sein Einverständnis. Die Tanzpaare kommen an diesem Abend bis aus Regensburg und Pfaffenhofen in die Schanz. Die meisten aber stammen aus Ingolstadt.

Schneider tanzt seit zehn Jahren Tango Argentino, den ausdrucksstarken, emotionalen und kreativen Tanz, der durch seine harmonische Dynamik und vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten fesselt und seit 2009 sogar immaterielles Weltkulturerbe ist. „Der Tango ist anspruchsvoll, aber nicht anstrengend“, sagt er. Es komme darauf an, wie man sich hineinversetzt. „Von der Haltung her kann man nicht einfach vom Standardtanz auf den Tango umsteigen“, ergänzt seine Tischnachbarin, die heute nur fasziniert zuschaut, aber nicht selbst tanzt. „Hier zu sein, das ist immer ein Gewinn“, verrät sie. Für sie sei der Tango „das getanzte Gefühl“. Die Musik sei nicht für jeden zugänglich. Wenn man den Zugang zu ihr jedoch gefunden habe, dann könne man „total abschweben“.

Schneider macht eigentlich nur der chronische Männermangel zu schaffen, unter dem der Tango in Ingolstadt ein wenig zu leiden hat. Mit fünf bis sechs Frauen an einem Abend zu tanzen, das sei schon viel, gibt er zu und entschuldigt sich höflich: Die nächste Tanzpartnerin wartet bereits. Erika aus Ingolstadt ist unter anderem über die Musik von Quadro Nuevo zum Tango gekommen. Für sie ist der Tanz eine „ganz gefühlvolle Sache“, erzählt sie. Es ist ihr sechster Abend. „Ich bin gerade am Erlernen.“ Sie schätzt die Improvisation am Tango. „Mit jedem Partner ist das Tanzen anders. Das ist gerade für mich als Anfängerin sehr hilfreich.“ Einziger Wermutstropfen: dass der Abend so kurz sei. „Eine richtige Milonga dauert bis in die Nacht“, schwärmt Erika.

Auch die zahlreichen Zaungäste, die über den Abend verteilt vorbeikommen, zieht der Tango offenbar in seinen Bann, und sie lassen sich mitreißen vom magischen Dreivierteltakt. Sogar Livemusik ist an diesem Abend geboten. Viele bleiben minutenlang stehen und schauen den Tanzenden einfach nur zu. Dann, gegen 22 Uhr, verklingt der letzte Takt, die Tänzer ziehen sich zurück, Stühle werden aufeinandergestapelt, Gläser und Tische abgeräumt. In Windeseile verwandelt sich das Tanzparkett wieder in graues Pflaster. „Adiós Buenos Aires. Servus Ingolstadt“, heißt es für heute. Doch die Tangoleute kommen wieder. Spätestens nächsten Mittwoch. Weitere Termine des Jahres: Am 4. September wird im Klenzepark zur Open-Flair-Milonga eingeladen und am 14. November in den Spiegelsaal im Kolpinghaus zu Konzert und Milonga.