Ingolstadt
"Das Wort Sterben gefällt mir überhaupt nicht"

Apokalypse und Licht: Der Österreicher Josef Atzmüller berichtet im Canisiuskonvikt über seine Nahtoderfahrung

01.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr

Ingolstadt (DK) Es ist tiefer Winter, als Josef Atzmüller in einem Krankenhaus nahe Wien liegt. Um den 16-jährigen Schüler steht es nicht gut. Die Diagnose: Blinddarmdurchbruch. Als seine Eltern ihn besuchen, wundert er sich darüber, dass der Vater am Bettende stehen bleibt und nicht zu ihm kommt. Ein Priester, der das Zimmer betritt, zündet Kerzen an. Was Atzmüller nicht realisieren kann in diesem Moment, der sich aus seiner heutigen Sicht zwischen Diesseits und Jenseits abspielt: Der 16-Jährige ist bewusstlos und wird wenig später für klinisch tot erklärt.

50 Jahre ist diese Nahtoderfahrung her. Josef Atzmüller (Foto) lebt bis heute in Wien und berichtet regelmäßig über seine Reise hin zum Sterben, die er zu Beginn als „Apokalypse, als völligen Zusammenbruch des Universums“ erlebt hat, wie er sagt. Am vergangenen Freitagabend gastierte er auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung im Canisiuskonvikt. Mehr als 100 Zuhörern ließen keinen Platz unbesetzt. Atzmüllers Erkenntnis, die er aus dem Erlebten zieht: „Das Wort Sterben gefällt mir überhaupt nicht.“ Ewiges Leben treffe es besser. Und: Der Prozess des Sterbens sei für ihn in erster Linie eine Zeit der Versöhnung gewesen mit jenen, die ihm Unrecht getan haben und jenen, denen er selbst Unrecht zugefügt hat. Das alles klingt sehr nach einer Aufarbeitung des Lebens, wie der christliche Glaube es lehrt. Und das ist es letztlich auch. Der gläubige Katholik Atzmüller spricht nicht nur vom Versöhnen und seiner Sehnsucht, im Sterben liegend beichten zu wollen, er beschreibt die Wirkung der Sakramente als schmerzlindernd („Das körperliche Leiden war mir nach der letzten Ölung egal“), fordert dazu auf, jeden Stolz abzulegen („Er kann nicht in den Himmel einziehen“) und bezeichnet Selbstmitleid als fürchterlichen Fehler („Man bringt die Seele damit um“). Den Vortrag beginnt und beendet er mit einem Gebet, in das er das Publikum einbezieht. Auch das ein exponiertes Zeichen seiner Frömmigkeit.

Der Vater zweier erwachsener Söhne erlebt das Verlassen des eigenen Körpers als „Wirbelsturm, der einen aufsaugt“. Etwa vier Stunden befindet er sich in diesem Prozess. Genau kann er es heute nicht mehr sagen. Was folgte, war Finsternis und Stille. „Es war nicht angenehm, ich hatte aber keine Angst, sondern war neugierig“, sagt er. Ein Film mit „bräunlicher Färbung“ läuft vor seinen Augen ab – mit Szenen seines Lebens. Dann taucht in der Ferne ein „Lichtpunkt mit gewaltiger Wirkung“ auf. „Ich wusste, dort will ich hin, von dort bin ich gekommen. Es war unbeschreiblich schön“, schwärmt Atzmüller. Auf dem weiteren Seelenweg ereilt ihn ein Schlüsselerlebnis, das sich später als Brücke zum Diesseits herausstellt: Er sieht einen Unfall mit vier Personen, den er verhindern möchte. Das aber kann er nicht. Kurz vor dem Licht spricht eine Stimme zu ihm: „Kehre zurück in deinen Körper.“ Für den Sterbenden ein Ruf von Jesus. „Doch die Rückkehr war kein Befehl“, erinnert er sich. Dennoch folgt er ihm. „Obwohl ich wusste, welches Chaos mich erwartet.“ Am 24. Dezember 1964 schlägt der junge Mann die Augen auf. Ende Januar 1965 wird er, nach einer erneuten Operation, wie er erläutert, geheilt aus dem Hospital entlassen und lebt wieder bei der Mutter. Später liest er in der Zeitung von dem Unfall, den er gesehen hat. Und kann Details schildern, die Außenstehende nicht kennen können. Heute ist er sich gewiss: „Ich habe keine Angst vor dem Tod.“

Die Mutter jedoch bemerkt seinerzeit, dass ihr Sohn nicht wirklich glücklich ist darüber, dass er zurückkommen durfte und zerbricht seelisch wohl auch an dieser Erkenntnis. Sie nimmt sich einige Jahre später das Leben, erzählt Atzmüller.