Ingolstadt
Von Chancen und Ängsten

Digitalisierung in der Arbeitswelt: Gewerkschaftsmitglieder diskutieren bei Zukunftskonferenz

12.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:13 Uhr
Zukunftskonferenz 2030 Vision Ingolstadt,IGM,Hans Blöckler Stiftung,Dr.Katarina Barley Bundesministerin,Rainer Hoffmann Vorsitzender DGB,Prof.Dr.Andreas Boes ISF München,Peter Kössler Audi,Nao Roboter von IBM,Foto Schuhmann Zukunftskonferenz Vision Ingolstadt 2030 der IG Metall −Foto: Schuhmann, Jürgen, Ingolstadt (Jürgen Schuhmann)

Ingolstadt (DK) Wie verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt? Darüber haben am Samstag rund 500 Gewerkschaftsmitglieder im Zuge der Zukunftskonferenz "Vision Ingolstadt 2030" der IG Metall diskutiert. Zu Gast waren auch Bundesministerin Katarina Barley - und Roboter Nao.

Dass es im H 6-Gebäude von Audi um Digitalisierung ging, war auf den ersten Blick zu erkennen: Ein Kameramann war in der Mitte platziert, Roboterarme schenkten in der Mittagspause Weizen aus, in einer Ecke hatte das Redaktionsteam jede Menge Technik aufgebaut. Außerdem zückten die Konferenzteilnehmer immer wieder ihr Smartphone, um über eine App abzustimmen. Sie waren aufgerufen, sich in die Diskussionsrunden einzuklinken und diese mit Anregungen zu beeinflussen. Die Ergebnisse wurden innerhalb von Sekunden auf Leinwänden präsentiert.

"Mein Eindruck ist, dass die Debatte über die Digitalisierung der Arbeitswelt aktuell sehr stark technologisch getrieben ist", hatte Johann Horn, erster Bevollmächtigter der IG Metall Ingolstadt, eingangs gesagt. Als Beispiele nannte er Industrieroboter oder 3-D-Drucker. Der Mensch dürfe allerdings nicht vergessen werden. Es gehe darum, den digitalen Veränderungsprozess in der Arbeitswelt so zu gestalten, dass die Menschen gute Arbeit haben: "Das kann keine Maschine."

Die IG Metall Ingolstadt hatte mit der Hans-Böckler-Stiftung (Mitbestimmungs-, Forschungs- und Studienförderungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes) rund 500 Angestellte aus Betrieben der Region zusammengebracht, um über Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Arbeitswelt von morgen zu sprechen. "Es ist interessant, weil das unsere Zukunft ist", sagte Waldemar Wirz, der beim Neuburger Faurecia-Zweigwerk beschäftigt ist, im Gespräch mit unserer Zeitung. Es gebe keine Bremse für die Zukunft, deshalb sei es wichtig, sich schon jetzt zu überlegen, wie der Mensch weiter beschäftigt werden kann, "wenn die Roboter kommen".

Und einer kam: Der 40 Zentimeter große Nao stellte sich im Gespräch mit Moderatorin Kira Marrs (Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München) als "emotionaler Begleiter der Menschen bei kognitiven Prozessen" vor. Thema der Podiumsdiskussion mit Reiner Hoffmann (Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds), Katarina Barley (Bundesministerin für Arbeit und Soziales) und Peter Kössler (Audi-Produktionsvorstand) war aber nicht nur, welche Rolle Roboter künftig spielen werden, sondern auch, wie Menschen sich an der Gestaltung der digitalen Arbeitswelt beteiligen können.

Laut Kössler sei die Digitalisierung ein evolutionärer Prozess. Es liege an Menschen, diesen zu gestalten. Bei Audi werde dies in Zusammenarbeit mit Belegschaftsvertretern umgesetzt. "Wir haben Bildungsangebote, um uns auf die neuen Technologien einzustellen. Es werden nicht nur Prozesse verändert, sondern auch Produkte", sagte er und bezog sich auf autonomes Fahren oder E-Mobilität. Hoffmann sprach aus Sicht der Arbeitnehmer und forderte, die lokale Demokratie zu stärken: "Dort gibt es Mitbestimmungsmöglichkeiten." Audi habe es verstanden, sich mit den Mitarbeitern auf den Weg zu machen, doch dies sei eine Ausnahme. Er setze auf Bildung und lebenslanges Lernen. Für Barley war die Zukunftskonferenz ein Paradebeispiel, das Thema anzugehen. "Das kann sich aber nicht jeder Betrieb leisten", betonte sie. Es gebe keine Patentlösung. In der Pflege bedeute Digitalisierung etwas anderes als in der Automobilindustrie. "Es muss mit den Mitarbeitern gearbeitet werden, damit Partizipation umgesetzt werden kann."

Schließlich waren die Teilnehmer aufgerufen, sich in Form von Gruppenarbeit zu beteiligen. In Stuhlkreisen erörterten sie, inwiefern Digitalisierung die Arbeit in Unternehmen verändern wird. Die Ergebnisse schrieben sie auf Tafeln - auf denen Chancen, aber auch viele Ängste sichtbar wurden: "Weniger körperliche Arbeit", "mehr flexible Arbeitszeiten" oder "mehr Sicherheit" war da zu lesen. Aber auch "gläserne Mitarbeiter (Überwachung)" oder "weniger Personal".

In einer Ideenwerkstatt zum Thema "Zukunftsfelder für die Region Ingolstadt" erarbeiteten die Teilnehmer zuletzt konkrete Aufgaben für die IG Metall Ingolstadt. So wünschten sich viele zum Beispiel mehr berufsbegleitende Weiterbildungen, Beschäftigungssicherheit, über Gewerkschafts-Apps auf dem Laufenden bleiben zu können oder eine Weiterentwicklung der Mitbestimmung 4.0. Horn versprach am Ende, diese Wünsche ernst zu nehmen: "Wir werden uns ansehen, wo es die meisten Votings gab, und nehmen diese als Auftrag mit."

"D I G I T A L I S I E R U N G A L S M E G A T R E N D"

Zwischen der Podiumsdiskussion und dem Mittagessen nahm sich Katarina Barley Zeit für ein Gespräch mit unserer Zeitung. Die 48-jährige Nachfolgerin von Andrea Nahles als Bundesministerin für Arbeit und Soziales ging insbesondere auf die Situation in der Stadt Ingolstadt ein.

 

Über die Digitalisierung hinaus - welche Themen werden in der Arbeitswelt bis 2030 wichtig sein?

Katarina Barley: Die Digitalisierung ist schon der Megatrend, auf den wir uns einstellen müssen. Aber natürlich beschäftigt uns auch der demografische Wandel, also die älterwerdende Gesellschaft. Dass wir mit immer weniger jungen Menschen das Sozialsystem aufrechterhalten müssen. Das ist aber durchaus im Zusammenhang zu sehen. Da wird uns auch die Digitalisierung dabei helfen.

 

Wir reden heute von Visionen. Wie realistisch ist es, dass diese umgesetzt werden?

Barley: Für Ingolstadt bin ich sehr optimistisch. Mit großen Konzernen wie Audi, die dann auch ihre Verantwortung wahrnehmen und die auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten haben, solche Visionen umzusetzen, da kann das funktionieren. Die Herausforderung besteht eben darin, die Chancen und Risiken der Digitalisierung in die gesamte Gesellschaft so zu tragen, dass sie gleichmäßig verteilt sind. Dass nicht am Ende die ganzen Gewinne bei den Konzernen landen und die ganzen Nachteile bei den Beschäftigten.

Sie haben Ingolstadt eben angesprochen. Wie wichtig ist es, das Thema Digitalisierung nicht nur bundesweit, sondern auch auf regionaler oder sogar kommunaler Ebene zu diskutieren?

Barley: Das eine ist das Regionale. Das andere sind die Branchen. Im produzierenden Gewerbe haben wir in der Regel gut bezahlte, stabile Arbeitsplätze, einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt. Aber wir haben andere Bereiche, gerade im Dienstleistungssektor wie in der Pflege, wo wir ganz schwierige Arbeitsverhältnisse haben. Da müssen wir die Digitalisierung nutzen, damit die Arbeitsplätze besser werden, damit die körperlichen und psychischen Belastungen weniger werden und damit Bürokratie durch die Digitalisierung abgefedert werden kann.

 

Das Gespräch führte Tanja Stephan./Foto: J. Schuhmann