Ingolstadt
Über den Straßenrand hinausdenken

Keine Utopie: Studenten der Technischen Hochschule präsentieren Seilbahn-Konzept für Ingolstadt

16.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:47 Uhr
Das Seilbahn-Konzept −Foto: DK-Grafik

Ingolstadt (DK) Es ist eine Vision, die nun an Kontur gewinnt: eine sechs Kilometer lange Seilbahn über Ingolstadt mit fünf Stationen von der Saturn-Arena zum Westpark via Nordbahnhof und Audi. Das Konzept, das Studenten der TH jetzt präsentiert haben, fand großes Lob. Es gibt aber auch Skepsis.

Das Spektakel beginnt gleich bei der Saturn-Arena: Die Besucher kommen über die Manchinger Straße von der Autobahn, parken zwischen Eishalle und Wonnemar - dann geht es hinauf. Weit hinauf. In Gondeln über die Stadt. Mit einem wundervollen Blick auf die Donau und die Altstadt. Am Verkehrsknotenpunkt Saturn-Arena liegt die südliche Anfangs- und Endstation einer insgesamt sechs Kilometer langen Seilbahnlinie gen Norden. Und damit der Beginn eines neuen Kapitels im Öffentlichen Personennahverkehr der Stadt, wie ihn sich Studierende der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) vorstellen. Mit einer Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde geht die Fahrt weiter zur Schlosslände. Die Gondel mit ihren zehn Sitzplätzen erreicht die Station, Passagiere steigen aus und zu. Am Schloss vorbei steigt die Kabine wieder in die Höhe. Nächster Halt: das Dach des Parkhauses am Nordbahnhof. Dann: das Audi-Werk. Schließlich: der Westpark. Von hier aus führt dieser außergewöhnliche Höhentrip wieder retour.

Das Seilbahn-Konzept, das ein achtköpfiges Team - fünf Studentinnen und drei Studenten - jetzt in der TH vor einem Fachpublikum präsentiert hat, ist weit mehr als nur ein Gedankenspiel. Das zeigt schon, dass Thomas Schubert und Rudolf Beha vom Seilbahnhersteller Leitner eigens aus Südtirol angereist sind. Die Studenten und ihr Professor Harry Wagner durften während des Projekts den Sitz des Traditionsunternehmens in Sterzing besuchen und ausführlich besichtigen. Auch Christoph Bos von der Regierung von Oberbayern war in die TH gekommen, er ist für die Seilbahnen in ganz Deutschland zuständig, und mit ihm weitere Verkehrsexperten verschiedener Provenienz sowie Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle. Auf ihre Initiative hin sind Wagners Studenten ans Werk gegangen.
 

Die jungen Leute haben alle Seiten des Vorhabens wissenschaftlich-präzise untersucht, einen Finanzplan sowie ein Geschäftsszenario (Business Case) aufgestellt und die relevanten Posten durchgerechnet. Allem voran das Investitionsvolumen: Eine Seilbahn sei mit acht Millionen Euro je Kilometer unter allen Verkehrswegen am günstigsten, erklären sie. Bei einer S-Bahn koste der Kilometer ca. zehn Millionen und bei einer U-Bahn 100 bis 250 Millionen Euro. "Eine Seilbahn, die wichtige Knotenpunkte verbindet, kann den Verkehr in Ingolstadt entlasten", resümierte Dustin Lange bei der Präsentation. "Die Passagiere schweben über der Stadt, das steigert die Attraktivität, weil es so eine urbane Seilbahn in Deutschland noch nicht gibt." Das Konzept des TH-Teams besitze also auch einen "imagefördernden Faktor".

Harry Wagner ist Professor für Automotive and Mobility Management an der THI. Mobilität bedeutet in seiner Lehre, dass das Kraftfahrzeug Teil eines großen Ganzen ist. Im vergangenen Wintersemester präsentierten seine Studenten etwa detaillierte Konzepte für die Förderung der Attraktivität des Fahrradfahrens (bikeIN) und für die Effektivierung des Bussystems in Ingolstadt. Das Ziel ist stets die bestmögliche Zusammenführung und Kombination verschiedener Verkehrsmittel. Schon vor einem Jahr hatten Wagners Studenten Pläne für eine Seilbahn vorgestellt. Auch für das neueste Konzept gilt: "Sie soll keine Konkurrenz zum Öffentlichen Personennahverkehr sein, sondern eine Ergänzung", betonte Sarah Ruhland.

An den fünf Standorten, die mit einer Seilbahnstation aufgerüstet werden könnten - Westpark, Audi, Nordbahnhof, Schlosslände und Saturn-Arena - haben die Studierenden insgesamt 1127 Personen befragt: Wie bewegen Sie sich fort? Wie sind Sie mit der Verkehrssituation in Ingolstadt zufrieden? Wie schaut es mit Parkplätzen aus? Wenig überraschendes Ergebnis: schlecht. Die Interviewer wollten ferner wissen: Wie wichtig ist Ihnen der ÖPNV? Die Resultate führen das Team zu folgendem Resümee: Es bestehe Bedarf für eine Seilbahn, die Akzeptanz wäre groß.

Die Vorzüge dieses für eine deutsche Großstadt (noch) revolutionären Transportsystems bergen für die Studenten große Überzeugungskraft: "Eine Seilbahn ist sicher und umweltschonend!" 2500 Personen ließen sich nach dem Modell der TH in der Stunde fortbewegen. Zum Vergleich: Die INVG hat rund 41 000 Fahrgäste am Tag. Mit relativ geringen Investitionen ließe sich die Seilbahn zu einem "multimodalen" Bestandteil des ÖPNV ausbauen. So entstehe ein "attraktives Angebot für eine große Zielgruppe". Dabei nicht zu vergessen: staunende Besucher. "Ingolstadt könnte eine Vorreiterrolle beim Bau urbaner Seilbahnen einnehmen", so die Studenten.

Sie haben alles bedacht und durchgerechnet, was bei einem derart komplexen Vorhaben relevant ist: die Gesetzesgrundlage, die Betriebsvorschriften (samt Bergeplan), die Lärmemission (42 bis 50 Dezibel), den Schattenwurf, den Personalbedarf (gering) oder mögliche Zuschüsse (interessant). Auch den Einfluss des Windes auf die Gondeln haben die jungen Leute berücksichtigt.

Sie bekamen von den Fachleuten großes Lob. Seilbahnbeauftragter Bos ließ das Team überschwänglich hochleben. Es wurde aber auch Skepsis artikuliert: Ein Audi-Standortentwickler wies darauf hin, dass die Bahn "leider nur einen Bruchteil der Mitarbeiter erreichen würde", weil nur ein Wohngebiet angebunden sei. Und Renate Preßlein-Lehle merkte an, dass Gondelbetrieb so nah am Schloss vorbei städtebaulich sicher schwierig würde. Doch das Konzept führte allen eines klar vor Augen: Eine Seilbahn über einer Stadt ist keine Utopie.