Ingolstadt
"Skandale gehören zu einer Großstadt"

Ingolstädter wollen, dass Unrechtes bestraft wird glauben aber auch, dass vieles aufgebauscht wird

25.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:46 Uhr

Ingolstadt (DK) Die Meinungen gehen auseinander: Von "Anklagen und bestrafen" bis zu "Es wird alles aufgebauscht" reichten die Kommentare der Menschen am Samstag bei einem Stimmungstest in der Ingolstädter Innenstadt. Hintergrund der Diskussionen: die Skandale der jüngsten Vergangenheit.

Befindet sich die einstige Boomtown Ingolstadt auf dem Weg zur Skandal-City? Klinikum, Alt-OB, Stadtrat, Dieselgate: Diese Themen werfen momentan kein gutes Licht auf die Großstadt an der Donau. Stefan, 62-jähriger Ingolstädter, resümiert trocken: "Skandale gehören zu einer Großstadt." Ein paar Meter weiter geht ein Köschinger, der früher in der Stadt gearbeitet hat, noch weiter: "Schau doch mal nach Regensburg. Das ist viel heftiger."

Ein Open-Air-Männerstammtisch in der Fußgängerzone diskutiert gerne mit - und zwar konträr: "Der Stadler gehört langsam weg", sagt Detlef (67), "Ich würde mir sofort wieder einen Diesel kaufen, weil der wenig Sprit braucht", entgegnet ein anderer. Die Vorwürfe der Bestechlichkeit oder Vorteilsnahme, egal durch wen, findet niemand gut: "Die gehören alle angeklagt, ohne Ansehen der Person", meint Beate (57) aus Ingolstadt. Und Alexandra (44), ebenfalls aus Ingolstadt, sagt: "Mich regt es auf, weil offensichtlich so viele korrupt sind. Ich möchte gar nicht wissen, wie groß der Sumpf noch ist, weil ich eh nichts ändern kann." Fest steht für sie und viele andere an diesem eiskalten Samstagvormittag: Den Kleinen haben sie sofort und bestrafen ihn auch, die Großen können sich irgendwie rauswinden.

Anton Kott ist der Einzige, der seinen ganzen Namen verraten will. Der Rentner aus Ingolstadt ist "einfach nur traurig, wenn man das alles hört und liest. Es sind ja keine Einzelfälle, und es liegt der Verdacht nahe, dass Macht korrumpiert." Zumindest glaubt Kott, dass eine einflussreiche Position, egal in welchem Betrieb, zu solch illegalen Machenschaften verführt. "Die Kontrollinstrumente greifen gar nicht oder viel zu spät."

Die am Freitag bekanntgewordene bevorstehende Anklage gegen Alt-OB Alfred Lehmann war noch das heißeste Eisen in den Diskussionen. "Der hat schon auf dem Wochenmarkt, wenn er samstags zum Flanieren kam, ziemlich arrogant gewirkt", schimpft ein Mann, der auch selber regelmäßig auf dem Wochenmarkt einkauft. "Und dann wissen solche eben nicht, wann sie aufhören müssen."

Junge Menschen kümmern sich - zumindest an diesem Samstag - nicht um "die Themen der Älteren", wie es ein 18-Jähriger formuliert. Erstens: "Viele von uns kennen die betreffenden Personen doch gar nicht." Zweitens: "Heute ist ,Eventtag' bei Pokemon Go." Also liefen viele der jungen Innenstadtbesucher ("In Nürnberg sind heute sicher 10 000 unterwegs.") mit dem Smartphone voran durch die Stadt - und hatten keine Zeit. Und wer Zeit hatte, bewies Desinteresse. Ein Ehepaar, das sich auf den Besuch mit Freunden im Café freute, sagte nur: "Die Medien bauschen das zu sehr auf." Und was ist mit dem Umgangston im Stadtrat? "Das ist normal, schauen sie sich mal eine Debatte im Bundestag an."

Stefan, 49, hat einen ganz anderen Gedanken: "Haben solche Menschen wie Klinikumsgeschäftsführer Heribert Fastenmeier oder Alt-OB Alfred Lehmann keinen in ihrer Verwandt- oder Bekanntschaft, der irgendwann sagt: ,Wenn sie dich erwischen, dann hast du ein massives Problem'". Etwas von Ablenkung hat das Argument von Alfred (62) aus Ingolstadt: "Klar hat Audi betrogen. Aber BMW und Mercedes haben es wohl auch getan. Damit ist es ja kein reines Ingolstädter Problem mehr."

Peter (57) sitzt im warmen Café: "Es ist niederschmetternd, dass in unserer steinreichen Region so etwas passiert. Offenbar schaut jeder nur noch auf sich selber. Und dann noch die Millionen-Affäre der Diözese Eichstätt."

Zurück zum Männerstammtisch: "Du wirst sehen, die Großkopferten lassen sie wieder laufen. Wenn ich mit dem Rad durch die Fußgängerzone fahre, muss ich sofort Strafe zahlen." Ein älterer Herr gibt zu bedenken, man dürfe niemanden vorher verurteilen, egal, um was es gehe. Ein Passant sagt: "Du muast d'Leit bscheissn kenna. Dann bist Oaner." Ein anderer ergänzt: "Du bist aber nur dann a richtig Guada, wennst liagst und dabei glei no amoi liagst." Dazu passt die Aussage eines anderen Rentners: "Ich habe bei der Steuererklärung immer Arbeitskleidung angegeben. Dabei habe ich keine gebraucht." Georg (78) weiß: "Wer es machen kann, der macht es. Und wer sagt, er hat es noch nie gemacht, der lügt." Aber das mit dem Lehmann, sagt er, "das sind ganz andere Dimensionen".

Das letzte Wort hat der Männerstammtisch: "Gibt es denn keine wichtigeren Themen als diese Skandale", fragt einer der Kritiker. "Für mich wäre es wichtiger, dass endlich mal die blöden Tauben verschwinden."