Ingolstadt
Das Internet als größter Rauschgiftdealer

Im Kampf gegen Drogen wie Liquid Ecstasy kann die Kriminalpolizei nur die Vertriebswege anpacken

04.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:35 Uhr

"Die Namen verharmlosen, das ist die Philosophie": Bei Präventionsveranstaltungen, wie hier bei der Interessengemeinschaft Ingolstädter Eltern, klären die Drogenfahnder über die Szene auf. ‹ŒArch - foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Der mutmaßliche Drogentod einer 14-Jährigen in Dietfurt hat auch im Raum Ingolstadt viele Familien geschockt. Die Ingolstädter Kriminalpolizei arbeitet seit vielen Jahren mit Präventionsterminen in Schulen und bei Eltern dafür, dass über sogenannte Modedrogen aufgeklärt wird.

Stefan Hagen ist ein Mann der klaren Worte. Anders würde er auf den Ingolstädter Straßen, wo die Drogenszene zu Hause ist, wohl auch nicht respektiert. Seit fast 20 Jahren ist der Erste Polizeihauptkommissar in der Drogenfahndung dabei und leitet das betreffende Kommissariat in Ingolstadt beim Polizeipräsidium Oberbayern Nord. Er kennt die Fragen bestens, die ihm bei Elternabenden gestellt werden - und die jetzt wieder aufkommen, nachdem eine 14-Jährige möglicherweise an einer Überdosis Liquid Ecstasy gestorben ist: Wie kann das passieren? Wo bekommen die das her? Wie kann ich mein Kind davor schützen?

Zu dem konkreten Fall in Dietfurt kann der Hauptkommissar zwar nichts sagen, da die Kollegen in Regensburg zuständig sind. Aber die bisher öffentlich gewordenen Fakten haben ihn aufhorchen lassen. Eine 14-Jährige mit Liquid Ecstasy? "Das hatten wir in der Region, soweit ich weiß, noch nicht." 1500 Drogendelikte bearbeitet seine Behörde durchschnittlich im Jahr. Der Fall sei sehr ungewöhnlich, weiß der Drogenfahnder, da Liquid Ecstasy, wie es in der Szene genannt wird, an sich kaum als Rauschmittel genutzt wird.

Wie bei anderen Drogen führt der Name in die Irre: Der tägliche Kampf ist auch einer gegen verharmlosende Namen, nett klingende Sachen, Tarnnamen. "Da werden ganz viele Sachen durcheinander geworfen. Den Begriff ,weiche Drogen' für Haschisch oder Marihuana werden Sie von mir zum Beispiel nicht hören", sagt Hagen klar. Auch "Legal Highs", wie Kräuter gemischt mit synthetischen Cannabinoiden in Internetforen genannt werden, sind alles andere als legal, sondern letztlich total illegal. Sie wurden und werden reihenweise verboten. Das ebenfalls stark kursierende Badesalz ("Die beiden Sachen machen uns derzeit die meisten Sorgen") ist nichts anderes als das altbekannte Mephedron. Auch Liquid Ecstasy "hat mit dem bekannten Ecstasy aus der Technoszene überhaupt nichts zu tun", sagt Hagen. Es ist weder aufputschend noch euphorisierend. Im Gegenteil: Es handelt sich vielmehr schlicht um K.-o.-Tropfen.

Diese in den Händen von Jugendlichen zu sehen, sei eben sehr ungewöhnlich, sagt Hagen. Als Rauschmittel ohnehin. "Es gibt ganz andere Sachen, die viel einfacher berauschen..." Denn Liquid Ecstasy sei extrem gefährlich, weil die (tropfenweise) Dosierung sehr schwierig sei. Etwas zu viel, wie möglicherweise im Dietfurter Fall, schon kann es tödlich enden. Allerdings ist der K.-o.-Stoff, das GHB (Gammahydroxybuttersäure), sehr einfach herzustellen, wie Hagen weiß. "Das findet sich in jeder Putzkammer in den Mitteln und lässt sich extrahieren." Fast ausschließlich haben die Kommissare mit K.-o.-Tropfen in der Szene der Nachtschwärmer zu tun; aber nie als berauschendes Element. Der Klassiker: Der Täter schüttet Tropfen ins offene Getränk des Opfers, um ein Sexualdelikt zu begehen oder die wehrlose Person um Handy oder Geld zu erleichtern.

Der "Knock-out" bezieht sich auf den eigenen Willen der Opfer. Während sie für Außenstehende meist nur betrunken wirken, berichten die Betroffenen später von einem völligen "Filmriss", erinnern sich an nichts mehr. Das GHB lässt sich im Körper nach kurzer Zeit zudem nicht mehr nachweisen.

Hagen rät Jugendlichen, jungen Erwachsenen, Eltern oder Lehrern in Fortbildungen deshalb stets: In der Disco oder anderswo keine offenen Getränke (Cocktails) bestellen, immer jemanden aus der Clique haben, der im Zweifelsfall darauf aufpasst. Die Drogenfahnder setzen auch sonst viel auf Prävention, denn der Drogenmarkt habe sich in den vergangenen Jahren extrem gewandelt. "Das Internet ist der Drogenhändler Nummer eins geworden", sagt Hagen. Jedermann kann sich ganz einfach "mit einem Smartphone" die Drogen nach Hause schicken lassen, "und die Mutter sitzt daneben und schaut die Lindenstraße", beschreibt Hagen die Einfachheit des Vorgangs und die Ahnungslosigkeit vieler Eltern. Den großen Unbekannten, der sich am Schulhof herumdrückt, gebe es nicht mehr. "Leider, den würden wir irgendwann packen." So können sich Drogenfahnder vorerst nur auf die Vertriebswege wie Paketdienste konzentrieren, um die Modedrogen einzudämmen. Und das ist alles andere als einfach.