Ingolstadt
Die positive Erinnerung bleibt

Rundgang mit Mietern durch ihre alte, von Künstlern verwandelte Wohnung im Abrisshaus

19.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:11 Uhr

Ganz in Weiß: Eleonore Schmidl sitzt in ihrer ehemaligen Küche. Sie hat von 1974 bis Mai dieses Jahres in dem Mietshaus gelebt. Schmidls Tochter, selbst Künstlerin, hatte die Idee für die ungewöhnliche Kunstaktion.

Ingolstadt (DK) Neun Mietparteien haben in dem Haus in der Stargarder Straße einen Teil ihres Lebens verbracht. Am Wochenende kamen viele von ihnen zurück, um ihre frühere Wohnung noch einmal zu sehen, bevor das Haus abgerissen wird. Manch einer hätte sie fast nicht mehr erkannt, denn das Mietshaus wurde zum Kunstmuseum auf Zeit.

Eleonore Schmidl ist im Mai als eine der Letzten aus dem Mietshaus in der Stargarder Straße 15a ausgezogen. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (GWG), die dieses und das Nachbarhaus abreißen und durch neue, moderne Wohnblocks ersetzen wird, hat der 84-Jährigen eine Alternative in der Nähe des Nordbahnhofs angeboten, im gleichen Haus, in dem auch ihre früheren Nachbarn Silvia und Sepp Meier untergekommen sind. Die GWG hat, wie auch bei den anderen Mietern der Stargarder Straße, den Umzug organisiert und bezahlt.

Bevor hier in den nächsten Tagen die Abrissbirne anrückt, wurde das Mietshaus ein Wochenende lang zum begehrten Kunstmuseum, die Räume verwandelt von Künstlerinnen und Künstlern des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK). Eleonore Schmidls Tochter Leonore Weiss, selbst Künstlerin und Mitglied im BBK, ist in dem Haus aufgewachsen. Und hatte die Idee für diese Hausbesetzung der besonderen Art. "Location occupied for time", sagt der BBK dazu. Die GWG hatte das Projekt gerne unterstützt.

1974 ist Eleonore Schmidl mit ihrem Mann und den Kindern Leonore und Rudi in die Wohnung eingezogen. Sie hat sich wohlgefühlt, in der Wohnung viel Freude, aber auch Schicksalsschläge erfahren. Am Samstag sitzt die 84-Jährige in ihrer alten Küche. Die freilich ein wenig anders aussieht als früher. Zum "Küchengespräch" mit dem DONAUKURIER nimmt die Seniorin an ihrem früheren Küchentisch Platz, der allerdings - wie alle anderen Möbel und Gegenstände in dem Raum - weiß eingefärbt ist. Der schneeweiße Anstrich stammt vom Eichstätter Künstler Georg Ludwig Fieger, alle anderen Räume in Schmidls Wohnung wurden von ihrer Tochter Leonore Weiss gestaltet. Die mit Wurzelkonstruktionen und geschickt platzierten Baumstümpfen zum Ausdruck bringt, wie sehr sie mit der Wohnung, in der sie groß geworden ist, verwurzelt ist.

Ihre Mutter Eleonore Schmidl hatte beim Umzug einige Sachen zurückgelassen. Den Kühlschrank genauso wie das Küchenregal. "Die Madonna, die darauf stand, hab' ich mitgenommen", erzählt sie. Der alte Bettvorleger dagegen blieb da - fürs aktuelle Kunstprojekt dient er, natürlich weiß eingefärbt, in der Küche als Teppich.

Die Küche war für die leidenschaftliche Köchin der wichtigste Raum. "An Weihnachten hab' ich zwischen 12 und 15 Sorten Plätzchen gebacken." Die Nachbarn hätten jedes Jahr darauf gewartet. Überhaupt sei die Hausgemeinschaft eine ganz Besondere gewesen. "Da hat man jedem im Haus seinen Wohnungsschlüssel anvertraut", sagt Schmidl.

Der Rundgang durch ihre (neu designte) frühere Wohnung habe ihr "ein gutes Gefühl vermittelt", so Schmidl. Der Abschiedsschmerz geriet in den Hintergrund. Was bleibt, sei die positive Erinnerung.

Irmgard Huber (80) ist eine freundliche, fröhliche Frau. Ihre Möbel waren deshalb auch immer hell. Die feinsäuberlich angeordneten Briketts auf dem Boden ihres früheren Wohnzimmers und die zum Teil recht düstere Wandbemalung, installiert von Susanne Pohl und Stefan Wanzl-Lawrence, betrachtet sie deshalb ein wenig skeptisch. "Das ist halt einfach Kunst", sagt sie auch über den Schlafraum, wo der Schrank, den sie stehen hatte lassen, zerlegt und mit Matratze, Lattenrost und anderen Überbleibseln in einen Chaosraum verwandelt wurde. Silvia und Sepp Meier, die früheren Nachbarn Schmidls, waren von der Verwandlung ihrer alten Wohnung begeistert. 40 Jahre haben sie in der Stargarder Straße 15a gelebt. Jetzt ist die Wohnung schwarz-weiß.

Im obersten Stock haben sich die Fotografen Christin Estel und Johannes Hauser einquartiert. Hier geben sie den Dingen einen Rahmen. Von 2004 bis 2017 hat in der Wohnung Kevin Knall gelebt. Nun steht der 24-Jährige in seinem früheren Zimmer. Zufällig kommt ein Freund dazu. Gemeinsam erinnern sich die beiden, dass der beste Platz der Balkon war. "Weil da die Sonne immer hingeschienen hat." Kevin gefällt es gut in seinem ehemaligen Zimmer. Es sei jetzt "viel aufgeräumter als früher".