Ingolstadt
Kein Fall für die Tonne

Eine Ingolstädter Foodsaver-Gruppe rettet Lebensmittel, die sonst im Müll landen würden

21.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:16 Uhr

Ein Zeichen gegen die Wegwerfmentalität: Ingrid Kreitmayer (vorne), eine der Ingolstädter Foodsaverinnen, zeigt stolz die Lebensmittel, die in der Mülltonne gelandet wären. Mit dem geretteten Gemüse kochen die Ingolstädter eine Gemüselasagne. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Eine Delle in der Tomate, ein welkes Blatt im Salat oder eine unförmige Karotte - schon ist ein Lebensmittel nicht mehr verkäuflich und wandert in den Müll. Ingolstädter Lebensmittelretter, sogenannte Foodsaver, akzeptieren das nicht und setzen ein Zeichen gegen die Wegwerfmentalität.

Äpfel, Bananen, Melonen und Trauben. Zucchini, Tomaten, Sellerie, Paprika, Brokkoli, Spinat, Gurken, Zwiebeln, Salat, Brezen, Semmeln, Käse - der Tisch im Stadtvierteltreff des Augustinviertels ist voll. Es ist ein besonderer Tisch. Denn die Lebensmittel, die hier liegen, wären eigentlich im Müll gelandet, hätten die Ingolstädter Manuela Hertel, Ingrid Kreitmayer und andere sie nicht gerettet.

Mehrmals die Woche fahren sie und 30 weitere aktive Ingolstädter Lebensmittelretter - sogenannte Foodsaver - ehrenamtlich Bioläden, Bäcker oder Supermärkte ab, um Obst, Gemüse, Brot und vieles mehr vor der Tonne zu bewahren. Essen, das in einem einwandfreien Zustand ist, aber von den Betrieben nicht mehr verkauft werden kann, weil die Tomate eine Delle aufweist, die Banane braun ist oder der Kopfsalat ein welkes Blatt hat.

"Es fahren immer drei bis fünf Foodsaver zu den Betrieben. Die Menge der abgeholten Ware schwankt stark. Zwischen fünf und 20 Kilogramm pro Abholer sind es aber immer", erklärt Hertel, die gerade am Gemüseschnippeln ist.

Sie und andere Ingolstädter Foodsaver, die sich an einem Donnerstag zu einem Kochabend im Stadtteiltreff des Augustinviertels verabredet haben, sind Teil einer Bewegung, die immer größer wird. In Deutschland gibt es in mehr als 200 Städten schon etwa 80 000 Lebensmittelretter, die übriggebliebene Nahrungsmittel aus dem heimischen Kühlschrank kostenlos auf der Internetplattform www.foodsharing.de anbieten und sie so vor dem Müll bewahren. Unter den Registrierten sind etwa 16 000 Ehrenamtliche - Foodsaver also wie Hertel und Kreitmayer - die zudem regelmäßig Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, aber noch in einem guten Zustand sind, von kooperierenden Betrieben einsammeln.

Diese werden nach der Abholung, wie Hertel erklärt, "unmittelbar fair-teilt". Dann werden aus den Foodsavern Foodsharer, also Essensverteiler: "Die öffentlichen ,Fairteilungen €˜ finden einmal wöchentlich im Pius-, Konrad- und Augustinviertel statt", erklärt Hertel. Im Stadtteiltreff des Augustinviertels können Ingolstädter zum Beispiel jeden Donnerstag ab 18.45 Uhr Lebensmittel abholen.

Einige Foodsaver haben, wie Hertel berichtet, mittlerweile daheim eigene kleine "Fairteiler", die von Nachbarn und Freunden genutzt werden. Außerdem gibt es unter anderem in Vroni's Ratschhaus Verteiler, die Hertel und ihre Mitstreiter auffüllen. Bedürftigkeit ist keine Voraussetzung dafür, Essen zu bekommen. Darin unterscheidet sich die Aktion von der Tafel.

Zum Nachdenken ist Hertel gekommen, als sie vor ein paar Jahren "Taste the Waste" ansah. Im Dokumentarfilm ruft der Gründer des Vereins Foodsharing, Valentin Thurn, die Lebensmittelverschwendung ins öffentliche Bewusstsein. Das Problem, das der Regisseur thematisiert, ist Realität: Jährlich landen circa elf Millionen Tonnen genießbarer Lebensmittel im Müll, und das allein in Deutschland. Deshalb ist auch eines der Ziele, die Hertel und ihr Team verfolgen, "das Bewusstsein dafür zu stärken, wie viel man wegwirft", sagt die Ingolstädter Foodsaverin.

Dass so viele unterschiedliche Nahrungsmittel an diesem Tag auf dem Tisch liegen, ist nicht selbstverständlich: "Es ist ein bisschen abenteuerlich, weil wir vor dem Abholen noch nicht wissen, welche und wie viele Lebensmittel wir retten", berichtet Kreitmayer. "Wenn wir heute ausgerechnet lauter Bananen bekommen hätten, hätten wir sehr kreativ sein müssen auf unserer Foodsaver-Schnippelparty", sagt die Ingolstädterin und lacht. Dann wäre wohl aus dem Vorhaben, eine Gemüselasagne zu kochen, nichts geworden. Kreitmayer und die anderen haben aber viele unterschiedliche Lebensmittel gerettet, sodass nach zwei Stunden Schnippeln, Schneiden und Schälen eine vegane und eine vegetarische Gemüselasagne serviert werden. Weil auch Trauben, Melonen und Äpfel abgeholt wurden, gibt es als Nachspeise sogar noch einen Obstsalat.