Ingolstadt
Innenstadt von Ingolstadt: "Es wird immer extremer"

Security-Experte Atila Dikilitas und Innenstadtapotheker Stephan Kurzeder über das Thema Sicherheit

13.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:22 Uhr

−Foto: United Security

Ingolstadt (DK) Ingolstadt ist eine der sichersten Städte Bayerns. Das ist immer wieder mal zu hören. „Die Sicherheitslage ist weiterhin gut“, hatte Peter Heigl, Chef der Polizeiinspektion Ingolstadt, bei der Vorstellung der diesjährigen Kriminalitätsstatistik gesagt. Auch wenn die Zahl der polizeilichen Einsätze von 16.000 im Jahr 2012 auf 24.000 im Jahr 2016 gestiegen ist. Doch in der Innenstadt sei es vergleichsweise ruhig geworden.

Diesen Eindruck hat Atila Dikilitas wahrlich nicht. Er ist zusammen mit Marco Forster Chef von „United Security“ und sagt klipp und klar: „Ingolstadt hat ein Alkoholproblem. Ingolstadt hat definitiv auch ein Drogenproblem“. Und Apotheker Stephan Kurzeder, der seine Stadtapotheke im „Epizentrum“ nächtlicher Krawalle betreibt und das Treiben in der Stadt hautnah mitbekommt, wenn seine Apotheke Nachtdienst hat, pflichtet ihm bei: „Ich möchte in den Nächten am Wochenende in der Innenstadt nicht unterwegs sein".
Seit 1996 ist Atila Dikilitas in der Sicherheitsbranche tätig, viele Jahre als Haustürsteher einer berüchtigten Ingolstädter Diskothek und heute als Inhaber einer florierenden Sicherheitsfirma. „In Ingolstadt war es zwischen 2011 und 2013 sehr schlimm bestellt um die Sicherheit in der Innenstadt. Dann wurde es etwas besser“, sagt er. Aber auch, dass es seit einiger Zeit wieder übel geworden ist. „Das darf man nicht unterschätzen. Es passiert schon sehr viel“, weiß Atila Dikilitas, „und es wird immer extremer. Schlägereien hatten wir früher auch. Die gab es immer. Heute aber rasten die Leute wegen absoluten Kleinigkeiten aus. Und die Hemmschwelle ist sehr sehr niedrig geworden.“ Dennoch meint er: „Ich liebe diesen Job.“

Diese Liebe kann Stephan Kurzeder, der sich in seiner neuen politischen Heimat bei den Unabhängigen Demokraten Ingolstadt (UDI) um das Thema Sicherheit kümmert, nicht wirklich fühlen. „In den frühen Morgenstunden der Nächte auf Samstag und Sonntag ist das Aufkommen betrunkener junger Leute zwischen 20 und 30 Jahren in der Innenstadt unglaublich groß geworden“, so seine Beobachtung, „die sind schwer betrunken unterwegs. Und die Sicherheitslage in der Stadt hat mit Sicherheit mit dem Zustand der grölenden Horden zu tun, die da enthemmt durch die Stadt ziehen. Also ich möchte da nicht unterwegs sein.“ Für ihn ist es alles andere als verwunderlich, dass es immer wieder zu Exzessen kommt, ob nun sexueller Natur oder aber bei Raufereien.

Und all das, was Atila Dikilitas an Erfahrungen gemacht hat, unterschreibt er voll. Eines der Probleme sieht er auch in der geltenden Sperrzeit. „Die Lokale haben gerade mal eine Stunde – während der so genannten Putzstunde – geschlossen.“ Ob die Gäste vor den Lokalen bis 23 Uhr oder bis Mitternacht draußen sitzen dürfen, sei nicht das Problem. Nicht einmal, was den Lärm betreffen würde. „Ich mache in diesen Nächten, wenn ich Wochenenddienst habe, kein Auge zu.“ Eine denkbare Lösung für ihn wäre einfach mehr Polizeipräsenz. Oder auch Präsenz von Security-Mitarbeitern.

Aber das ist natürlich auch eine Frage des Geldes, wie Atila Dikilitas und Marco Forster wissen. „Sicherheit wird zwar groß geschrieben, aber kosten soll sie nichts bis wenig“, sagt Marco Forster. Über 130 Beschäftige haben die beiden in ihrer Sicherheitsfirma, 35 davon in Vollzeit. Doch nicht nur wegen der Bezahlung sei es ungemein schwer, gute Leute zu finden. „Von 100, die wir ausbilden, bleiben vielleicht 20 übrig“, sagt Atila Dikilitas. Und gut bedeutet für ihn nicht, breit, groß und kräftig, sondern smart, geschult im Umgang mit Menschen und mit der Fähigkeit versehen, deeskalierend zu wirken. Die pädagogische und psychologische Kompetenz steht für ihn an erster Stelle. „Natürlich ist je nach Auftrag auch eine gewisse körperliche Präsenz und Ausbildung wichtig. Wie sonst soll einer unser Mitarbeiter anderen Menschen helfen können, wenn er nicht einmal sich selbst helfen kann“, meint Atila Dikilitas. Rund 100 Aspiranten auf den Dienst in einer Security-Firma werden bei ihm und seinen Kollegen jährlich ausgebildet. Und weil wer weiß, wie viele schwarze Schafe es in der Branche gibt, legt er besonderen Wert auf gut geschultes Personal. „Wir brauchen keine Superhelden, sondern zuverlässige Leute mit besten Umgangsformen.“ Denn, dass das Ansehen der Branche nicht eben sehr hoch ist, weiß er auch. „Es gibt eben zu viele unseriöse Sicherheitsfirmen.“

Er selbst war viele Jahre Türsteher einer Disko – „ein ungemein fordernder und anspruchsvoller Job“ – und hat jetzt die meisten Aufträge beim Veranstaltungs- und Objektschutz. Man kann ihn sogar als bewaffneten Bodyguard anheuern. Dies jedoch sei – so Marco Forster – in Ingolstadt weniger gefragt.

„Security zu sein bedeutet, ich muss Leben schützen, deeskalierend wirken, beruhigen und einstecken können“, erläutert Atila Dikilitas, „auch wenn man immer wieder beleidigt wird in diesem Job. Das ist die Professionalität für mich.“ Trotz aller Probleme in der Branche meint er: „Ich liebe meinen Job und weiß, wie wichtig er ist. Wenn es nur einen Tag keinen Sicherheitsdienst in Deutschland gäbe, dann würde kein Flugzeug mehr starten, keine Großveranstaltung stattfinden, keine Disko öffnen, kein Fußball- oder Eishockeyspiel angepfiffen werden.“

Dennoch hat die Branche mit der notwendigen Anerkennung zu kämpfen. Und mit dem Geld. „Sicherheit hat nicht nur wegen der aktuellen Bedrohungslage in Deutschland oberste Priorität. Aber wenn es ums Geld geht, zahlen uns viele weniger als einer Putzfrau.“ Bei Ausschreibungen käme fast immer der Billigste dran. Und der gäbe den Auftrag gerne mal an Subunternehmer weiter. Und am Ende des Tages sei es dann fraglich, ob man als Letzter in der Kette überhaupt den Mindestlohn bekäme.