Ingolstadt
Das ist die Höhe

Eine Etage rauf? Oder eine runter? Diskussion über Dallwigk-Anbau verläuft ziemlich schwankend

07.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:43 Uhr
So oder ähnlich könnte der Anbau für das Kavalier Dallwigk ausschauen: Wie hoch das Gebäude genau wird, steht noch nicht fest. Der Stadtentwicklungsausschuss diskutierte am Dienstag auch über diese Frage - sehr leidenschaftlich. −Foto: Stadt Ingolstadt

Ingolstadt (DK) Neben dem Kavalier Dallwigk soll ein Anbau für das digitale Gründerzentrum und die THI entstehen. Doch wie hoch und mächtig wird das Gebäude genau? Und was sagt der Gestaltungsbeirat dazu? Viel. Jedoch: viel Unterschiedliches. Das erschwerte die Debatte im Stadtentwicklungsausschuss.

Manfred Schuhmann, Stadtratsmitglied seit fast 46 Jahren, packte geballte Erfahrungskraft in seine erste Wortmeldung: „Es hat sich einmal mehr gezeigt, wie sinnvoll es ist, dass der Gestaltungsbeirat nichtöffentlich tagt!“ An der Stelle dürften treue Livestreamhörer zu Hause wieder mal traurig auf ihr digitales Endgerät geblickt haben. Der SPD-Stadtrat begründete am Dienstag im Stadtentwicklungsausschuss betont öffentlich, wieso er es gut findet, dass das beratende Gremium ohne Publikum und Presse über die Schönheit und städtebauliche Verträglichkeit großer Projekte debattiert: „In so einem frühen Stadium“ sei es wenig hilfreich, Grundzüge einer Planung öffentlich auszubreiten. Schuhmann bezog sich auf den vergangenen Freitag, als der Gestaltungsbeirat (dem er, sechs weitere, nicht stimmberechtigte Stadträte, die Stadtbaurätin und fünf stimmberechtigte Architekten angehören) den Anbau für das Kavalier Dallwigk durchdiskutierte. Mit „frühem Stadium“ meint er wohl, dass „zu unserer Überraschung“ einige essenzielle Planänderungen angekündigt worden sind. „Ich habe nicht den Eindruck, dass das alles mit dem Gestaltungsbeirat abgestimmt ist!“ 

Kein Café im Wasserturm

Das Café im Wasserturm des Dallwigks: Kommt nicht. Es soll aus technischen Gründen im Anbau entstehen. Für den haben die Bauherren entgegen der ursprünglichen Planung mehr Raumbedarf angemeldet: Statt 4500 soll er 6500 Quadratmeter bieten. Auf vier oder fünf Etagen. Die finale Höhe steht noch nicht fest. Auch nicht die Krönung des Baus: Erhält er einen Glasaufsatz? Oder eine durchgehende Dachlandschaft? An der Stelle der Aussprache wäre es eine Hilfe gewesen, zu wissen, was die Architekten im Gestaltungsbeirat genau zu den Entwürfen gesagt haben. Aber darüber vermochten im Stadtentwicklungsausschuss eben nur jene acht Abgesandten zu berichten, die diesem Geheimkabinett angehören. Und deren Schilderungen gingen arg auseinander. Schon bald ahnten die öffentlich Nichteingeweihten: Auch die Experten im Beirat müssen weit von einer gemeinsamen Linie entfernt sein. Womit sie (ungewollt) den Genossen Schuhmann bestätigen: Vielleicht ist es wirklich besser, dass weder Presse noch Publikum die Darbietungen im Gestaltungsbeirat mitbekommen. „Wir müssen diese Änderungen dringend behandeln!“, forderte Schuhmann. „Aber bloß nicht den Zeitplan ins Rutschen bringen!“, warf Bürgermeister Albert Wittmann (CSU) ein. Stichwort Fördermittel. Da gelten Fristen. Wird der Anbau nun höher als ursprünglich geplant oder nicht, wollte Gerd Werding (UDI) wissen. Er erzählte, „dass die nicht ganz unmaßgeblichen Herren im Gestaltungsbeirat relativ erschüttert waren und gesagt haben: Wie kann man nur so planen?“ Christian Lange (BGI) erinnert das Prozedere „an die letzten zehn Jahre auf dem Gießereigelände“. Man denke nur an die Auseinandersetzungen über die Höhe des Kongresshotels. Er berichtete, dass ein Nachbargebäude für den Dallwigk mit vier Etagen auf einem Sockelbau „vom Gestaltungsbeirat nicht gutgeheißen wurde“. Einspruch von Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle: „Es ist bedenklich, was Sie hier machen! Es nützt nichts, einzelne Aussagen rauszugreifen.“ Widerrede Werding: „Dann frage ich mich, was ich hier noch soll! Ich war dabei und habe einen Eindruck gewonnen. Und den möchte ich jetzt Leuten mitteilen, die nicht dabei waren.“ Ausschusssprecher Hans Achhammer (CSU) bestätigte: „Ja, im Gestaltungsbeirat gab es unterschiedliche Meinungen. Das ist alles etwas schwierig.“ Thomas Deiser (CSU) hat als unbeteiligter Zuhörer in dem Beirat „noch nie so uneinheitliche Meinungen erlebt“. Achhammer fragt sich: „Warum trauen sich heutige Architekten nicht mehr, früheren Architekten wie den Erbauern des Dallwigks etwas entgegenzusetzen? Einen so wertvollen Baugrund wie das Gießereigelände darf man nicht minimal bebauen!“ Franz Wöhrl (CSU) sieht das genauso: „Wir sind eine Großstadt und die hat ihre Größen.“ Deshab: Mut zur Höhe! Denn was man an Etagen spare, müsse man eines Tages auf der grünen Wiese bauen. „Als Landwirt fürchte ich den Flächenverbrauch besonders.“ 
 

„Städtebaulich fragwürdig“

Die Freien Wähler wollen spontan sogar noch ein Stockwerk draufsatteln; damit wäre der Anbau so hoch wie der Dallwigk-Wasserturm. Aber nicht mit der Stadtbaurätin: „Das ist städtebaulich fragwürdig!“ Christoph Lauer (Grüne) ging ins Grundsätzliche: „Es kann nicht sein, dass wir immer reflexartig das Maximum aus einer Fläche rausholen wollen! Es kommt nicht darauf an, dass auf ein so wertvolles Gelände möglichst viel draufgebaut wird, sondern dass dieses Aushängeschild der Stadt möglichst wertig bebaut wird!“ Die Gefälligkeit sei entscheidend, nicht die Nettonutzfläche, so Lauer. Konter Wittmann: „Wer entscheidet, was gefällig ist? Nicht Sie allein! Und auch nicht der Gestaltungsbeirat. Sondern die Mehrheit des Stadtrats.“ Und zwar am 20 März. Der Stadtentwicklungsausschuss einigte sich darauf, nach weiterer Beratung in den Fraktionen die Entscheidung ganz der Vollversammlung zu überlassen. Über den Antrag der FW, den Anbau in die Höhe zu treiben, und den Antrag der Grünen, ihn niedriger zu bauen, stimmte der Ausschuss daher nicht mehr ab.

 

Kommentar

Der Ruf von CSU und Freien Wählern nach einem möglichst hohen Anbau für den Dallwigk mutet wie ein Geständnis an: Es geht ihnen hier nicht um städtebauliche Sensibilität, um die Bewahrung historischer Ensembles und Silhouetten oder gar um Mut zu anspruchsvoller Architektur, die weit über Ingolstadt hinausstrahlen könnte. Stattdessen argumentieren CSU und FW wie reine Investoren. Und wie Häuslebauer: Das Gelände war sehr teuer, also muss man das Maximum aus ihm herausholen. Es mit Baumasse zuballern bis zum letzten zulässigen Zentimeter, am liebsten ohne Obergrenze. 
Es war bezeichnend, dass in den Ausführungen der beiden Fraktionen im Ausschuss oft vom „teuren Baugrundstück“ die Rede war, das man deshalb „nicht minimal bebauen“ dürfe. Der „Wert“ eines reichen und reizvollen historischen Erbes spielt in dieser Kalkulation offenbar keine Rolle. 
Wer wie die Freien Wähler ein Gebäude fordert, dessen Höhe – direkt nebenan – an die Wasserturmspitze des Kavaliers Dallwigk heranreicht, hat von der klugen, verantwortungsbewussten Weiterentwicklung einer Altstadt nichts verstanden. Wenn so Entscheidungen fallen, kann man den Gestaltungsbeirat, der hier aufschreien müsste, getrost da hocken lassen, wo er seit Jahren vor sich hinanalysiert: im Elfenbeinturm.
Kommunalpolitiker, die planerisch wirken, sollten sich von der Vorstellung lösen, ein Klotz wirke weniger wuchtig, wenn die oberste Etage fast nur aus Glas besteht. Das ist eine missverstandene Architekturauffassung der 1980er-Jahre. Provinzpostmoderne.
Die Eigenschaften „teuer“ und „wertvoll“ entsprechen einander in diesem Fall nicht, sondern geben konträren Ansichten Ausdruck: „Teuer“ suggeriert die Erwartung einer Amortisierung der Investition (was bei einem staatlich geförderten Gründerzentrum indes schwierig werden könnte). „Wertvoll“ ist ein Ort, den man gern ansieht und besucht. Aber da ist auf dem Gießereigelände, diesem städtebaulichen Desaster, schon fast alles zu spät.