Ingolstadt
Gerecht, gerechter, am gerechtesten

Jugendhilfeausschuss übt sich in sozialphilosophischen Betrachtungen der Kita-Gebühren

23.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:55 Uhr

−Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Es läuft klar darauf hinaus: Die Gebühren in den städtischen Kindertagesstätten sollen erst 2019 erhöht werden. Die Verwaltung ändert die Beschlussvorlage. Der Jugendhilfeausschuss diskutierte gestern derart konstruktiv über dieses Reizthema, dass am Ende alle stolz aufeinander waren.

Gabriel Engert ist Mitglied der CSU, was man ihm aber oft gar nicht anmerkt. Jürgen Siebicke war früher mal Kommunist und ist im Zuge einer erfolgreichen Verbürgerlichung bei der Bürgergemeinschaft Ingolstadt gelandet. Der Kulturreferent und der Stadtrat der BGI bilden zwei politisch-weltanschauliche Pole, in deren Spannungsfeld sich im Jugendhilfeausschuss eine bemerkenswerte Aussprache mit nahezu sozialphilosophischer Dimension entfaltete: Wie setzt man die Gebühren in den Krippen und Kindergärten so gerecht wie möglich fest? Wie definiert man überhaupt soziale Gerechtigkeit? Und wie viel darf sie maximal kosten?

CSU-Mann Engert und seine Parteifreundin Dorothea Deneke-Stoll bezogen entschlossen eine Position, mit der sie sicher auch an jedem Jungsozialistenstammtisch groß rauskommen würden: Reiche dürfen nicht entlastet werden! Oder "Begüterte", wie die Stadträtin sie nannte. "Warum sollte ein Millionär auf Kosten der Allgemeinheit von Kita-Gebühren befreit werden? Das ist für mich keine soziale Tat!" Das hatte Engert vor zwei Wochen postuliert, nachdem bekanntgeworden war, dass die Elternbeiträge ab 1. September dieses Jahres um durchschnittlich 4,9 Prozent steigen sollen. In diesem Zusammenhang wurde auch wieder die Forderung nach der generellen Abschaffung der Gebühren laut. Der Zeitpunkt der Anhebung ist nach Protesten aus Elternschaft und Politik schon wieder vom Tisch. Der Gebührenanstieg soll auf den 1. September 2019 verschoben werden. Die Verwaltung will die Beschlussvorlage entsprechend ändern. Und da sich in diesem Punkt alle einig sind, blieb den Ausschussmitgliedern viel Zeit und Luft für eine kleine Grundsatzdiskussion über große Fragen der Gesellschaft.

Auftritt Siebicke: "Es geht um Gerechtigkeit! Da muss man sich anschauen, wen die Gebühren genau treffen und wen nicht. Zwei Gruppen treffen sie sicher nicht: Die ganz Armen, weil ihnen die Gebühren Gott sei Dank von der Stadt erlassen werden, und die ganz Reichen, weil es ihnen egal ist, wie hoch die Gebühren sind. Die würden auch 500 Euro pro Monat zahlen. Die Gebührenerhöhungen treffen vor allem die Bürger mit den ganz normalen Haushaltseinkommen! Da kann eine Erhöhung schon darüber entscheiden, ob die Familie einen Urlaub streichen muss oder ob sie beim Musikunterricht für die Kinder sparen muss. Und das ist nicht gerecht!"

Widerspruch Christina Hofmann (CSU): "Bitte niemals verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielen! Es ist unser Ziel, für alle Bürger ein möglichst gerechtes Angebot zu schaffen." Mäßige Erhöhungen in geregelten Abständen seien "ehrlich" und daher in Ordnung. "Das Wichtigste für junge Familien ist Planungssicherheit!"

Siebicke sind die Signale für das Volk wichtiger: "Wir freuen uns, dass Ingolstadt wächst, und dass hier so viele Kinder geboren werden! Aber was ist unsere Antwort darauf? Wir erhöhen die Kita-Gebühren. Das ist nicht das richtige Signal für ein kinderfreundliches, bezahlbares Ingolstadt!" Barbara Leininger (Grüne) sieht das ähnlich. Sie lenkte den Blick auf höhere Ebenen: "Gratis-Kitas werden ein großes Thema in den Koalitionsverhandlungen in Berlin und im bayerischen Landtagswahlkampf sein. Wieso also jetzt die Gebühren erhöhen? Lasst uns doch einfach abwarten!"

Siebicke (2015 aus der Linkspartei geflohen) beharrt darauf: "Bildungseinrichtungen sollten prinzipiell gebührenfrei sein! Und auch Kitas sind Bildungseinrichtungen." Gegenrede Engert: "Kindergärten sind - auch - Betreuungseinrichtungen. Die Krippen sind reine Betreuungseinrichtungen. Die Betreuung der Kinder ist Aufgabe der Eltern. Und wenn sie einen Teil davon dem Staat übertragen, sollten sie dafür einen Beitrag zahlen." Deneke-Stoll wiederholte: "Es ist nicht unsozial, was wir tun." Sie betonte, dass die Stadt die Gebühren für arme Familien reduziere oder sie ihnen ganz erlasse - nach Richtlinien, die sie mit dem schönen Wort "Befreiungstatbestände" bezeichnete; sie ist im Hauptberuf Amtsgerichtsdirektorin.

Am Ende blickte Engert fast erleichtert in die Runde: "Ich danke Ihnen für diese absolut sachliche Diskussion und die konstruktive Kritik! Und das bei einem Thema, bei dem andere gerne polemisch werden."

Da klopften alle Ausschussmitglieder auf ihre Tische. Gegenseitiger Applaus sozusagen. Muss auch mal sein.

Verpflegungskonzept wird geprüft

Veronika Peters mag keine Tiefkühlkost. Die SPD-Stadträtin sieht mit Missfallen, dass die Ingolstädter Krippen- und Kindergartenkinder mit Gerichten verköstigt werden, die schockgefroren geliefert und aufgewärmt werden (Cook-&Freeze-Verfahren). Sie setzt sich energisch dafür ein, dass frisch gekocht wird, am besten in den Einrichtungen oder wenigstens in einer zentralen Küche für die Ingolstädter Kitas und Schulen. Hauptsache frisch. Und deshalb ist Peters erschrocken, als sie gestern im DK lesen musste, dass die Stadt die Pläne für eine Zentralküche nicht weiterverfolge.

Sie rief sofort Maro Karmann an, den Leiter des Amts für Kinderbetreuung. „Nach dem Gespräch habe ich mich wieder beruhigt“, erzählte sie im Jugendhilfeausschuss. Die Stadt hat das Thema zentrale Küche nämlich nicht verworfen. Es handelte sich um ein Missverständnis, das in einem Telefonat zwischen dem DK und Karmann entstand. Wie berichtet, hat eine Prüfung ergeben, dass eine Zentralküche nicht günstiger käme als das Tiefkühlkostverfahren. „Aber die Prüfung des Versorgungskonzepts ist noch nicht abgeschlossen“, betonte Karmann. „Dieser Prozess wird ordentlich und ergebnisoffen weitergeführt!“ Gabriel Engert ergänzte: „Finanziell gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Jetzt gehtes nur noch um die Qualität. Also um die Frage: Wie bekommen wir das beste Essen?“ sic