Ingolstadt
Ein besorgniserregendes Gefälle

Im Norden der Stadt kann nur jedes dritte Grundschulkind schwimmen im Süden sind es 100 Prozent

24.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:08 Uhr

Sie können schwimmen und toben gern durchs Wasser: Fünftklässler des Scheiner-Gymnasiums gestern im Sportband an der Jahnstraße. Laut einer Umfrage des Kulturreferats können 20 Prozent der Ingolstädter Kinder am Ende der vierten Klassen nicht schwimmen. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Das Ergebnis der Umfrage in den Ingolstädter Grundschulen scheint nur auf den ersten Blick keinen Anlass zur Sorge zu geben: 80 Prozent der Ingolstädter Kinder können spätestens am Ende der vierten Klasse schwimmen. Das hat das Kulturreferat, wie berichtet, auf Antrag der Bürgergemeinschaft (BGI) bereits im Sommer ermittelt.

Doch eine differenzierte Analyse der Umfrage - Schule für Schule - und weitere Erkenntnisse offenbaren besorgniserregende Defizite mit entsprechend dringendem Handlungsbedarf. Diese problemorientierte Auswertung stellten Maria Bürkl, die Leiterin des Schulverwaltungsamts, und Christine Czermin-Knoll, die städtische Schwimmbeauftragte, in der jüngsten Sitzung des Migrationsrats der Stadt vor. Und der hatte viele Fragen.

Die wohl wichtigste Erkenntnis: Die Schwimmfähigkeit der Kinder sinkt in der Stadt deutlich von Süden, wo nahezu 100 Prozent der Kinder schwimmen können, nach Norden. Dort, in den Grundschulen an der Pestalozzistraße und in der Grundschule Christoph Kolumbus an der Ungernederstraße, beträgt der Nichtschwimmeranteil etwa 30 bis 40 Prozent. Das ergibt insgesamt 80 Prozent, bedeutet aber: In den genannten Schulen in den Bezirken Nordwest und Nordost können also nur zwei von drei Kindern schwimmen; viele lernen es auch nicht mehr, berichtete Czermin-Knoll aus Erfahrung. "Wenn man es spätestens in der siebten Klasse nicht kann, ist es meistens zu spät." Eine lebensgefährliche Tatsache.

Man muss mit pauschalisierenden Zusammenhangsbildungen zwischen einem Stadtviertel und dem sozialen Status vieler Bewohner ganz vorsichtig sein. Der Migrationsrat der Stadt - eine sehr international besetzte Expertenrunde - näherte sich der Problemanalyse behutsam an. Es sei natürlich auch die Frage, wie sehr die Eltern da hinterher seien, dass ihre Kinder schwimmen lernen - und das variiere, zumal dann, wenn "religiöse Vorbehalte" eine große Rolle spielen, was unter Ingolstädtern muslimischen Glaubens sehr ausgeprägt sei. Frauen dürfen nach den Regeln des Islam nicht mit Männern baden, und da in Deutschland Buben und Mädchen in der Grundschule gemeinsamen den Sport- und damit auch den Schwimmunterricht besuchen (erst ab der Fünften werden die Geschlechter in der Regel getrennt), schreiben viele Eltern ihren Töchtern eine Entschuldigung, sobald Schwimmen auf dem Stundenplan steht. Da der Anteil der muslimischen Bevölkerung im Nordosten und Nordwesten am höchsten ist, dürfen hier deutlich weniger Mädchen schwimmen lernen. Diese Erfahrung vieler Lehrer bestätigte auch Christine Czermin-Knoll in der Sitzung des Migrationsrats. "Ab der dritten Klasse wird es bei den Mädchen kritisch, einige gehen dann gar nicht mehr zum Schwimmen."

Es gibt aber auch notorische Nichtschwimmer, die sich aus Desinteresse, Disziplinlosigkeit und fehlender Strenge der Eltern vor dem Unterricht drücken, gerne mit der Klassiker-Ausrede "Schwimmzeug vergessen". Gerd Werding, Stadtrat und Arzt, stört das sehr: "Wenn Kinder ohne Schreibzeug in die Schule gehen, sagt man ja auch: Das geht nicht!" Schwimmen sei eine der gesündesten Sportarten. "Die Jugend geht vielleicht in Fitnessstudios, wo die Leute viel Geld ausgeben, aber sie betreibt Sport kaum mehr als Normalbeschäftigung, das ist heute ein Symptom, und dagegen muss man was unternehmen!"

Edmund Rieger, der Leiter des Staatlichen Schulamts, hat einige Jahre lang im Dienste der Qualitätssicherung Schulen in ganz Bayern besucht, bevor er 2015 Schulrat wurde. "Ich kann deshalb sagen, dass in Ingolstadt sehr viel Schwimmunterricht gegeben wird." Ausnahmen sind der Studie des Kulturamts zufolge etwa die Schule in Oberhauná †stadt, die so weit vom nächsten Bad entfernt ist, dass es sich nicht lohnt, sie mit Schülern anzusteuern - da muss dringend eine Lösung her, forderte SPD-Stadträtin Veronika Peters -, sowie Schulen, an denen nicht genügend Kollegen über die Zusatzqualifikation für Schwimmunterricht verfügen; aus diesem Grund gingen im vergangenen Schuljahr die Kinder von der Münchener Straße gar nicht schwimmen. Das hat sich jetzt aber geändert.

Trotz des Bildungsauftrags der Schulen sieht Schulrat Rieger klar die Eltern in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder schwimmen lernen. "Mehr als das, was die Schulen bieten, ist personell und organisatorisch nicht drin! Wir haben andere Aufgaben auch noch. Die Schule soll heute alles korrigieren, was in der Gesellschaft nicht mehr geleistet wird - und da verlangt man zu viel!"