Ingolstadt
Durchgeladene Waffe im Hosenbund

Weist das Landgericht einen 70-Jährigen dauerhaft in ein psychiatrisches Krankenhaus ein?

16.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr

Die Zastava M57 war die Standardpistole der jugoslawischen Armee. Der Angeklagte, der aus Mazedonien stammt, will sein Modell irgendwo in Serbien gekauft haben. - Foto: Surv1v4l1st/Wikipedia

Ingolstadt (DK) Tief im albanischen Milieu Ingolstadts bewegt sich die 5. Strafkammer des Ingolstädter Landgerichts seit gestern. Ein Familienvater hatte sich mit durchgeladener Waffe offenbar auf die Suche nach dem unerwünschten Liebhaber seiner Tochter gemacht. Wegen einer Erkrankung droht dem 70-Jährigen nun sogar die Unterbringung in der Psychiatrie.

Der Fall wäre juristisch zunächst einmal gar nicht so spektakulär und eigentlich schnell abzuhandeln: Da wurde jemand mit einer illegalen Pistole und Patronen erwischt. Das Waffengesetz kennt den "vorsätzlichen unerlaubten Besitz" und das "vorsätzliche unerlaubte Führen" einer halbautomatischen Kurzwaffe. Und das auch in Tateinheit mit dem Besitz von Munition. So weit wäre es fast ein Standardfall und bei einem geständigen Angeklagten - und das ist er - vor Gericht ein Routineverfahren mit kurzer Dauer.

Doch der Prozess gegen einen früheren Schweißer aus Ingolstadt (mit mazedonischem Pass und albanischen Wurzeln) beschäftigte die 5. Strafkammer gestern bis in die frühen Abendstunden; und tut es auch heute noch, denn der Vorsitzende Richter Thomas Denz wird erst am Vormittag das Urteil verkünden. Denn anders als augenscheinlich ist der Waffenfall viel komplizierter, was zunächst einmal mit der Intention des Angeklagten zusammenhängt. Der 70-Jährige spazierte heuer Ende Januar nicht einfach gedankenverloren mit der Pistole herum oder hatte sie als Altbestand daheim irgendwo liegen. Vielmehr hatte er die funktionsbereite Halbautomatik mit neun Schuss vollgeladen und auch schussbereit gespannt, wie gestern die Polizisten berichteten, die ihm die jugoslawische Militärwaffe vor einer Pension im Ingolstädter Nordwesten abnahmen.

Dorthin hatte die Tochter des Albaners damals die Polizei am späten Abend per Notruf geschickt; aus Sorge um ihren geliebten Vater, wie sie gestern ausschweifend dem Gericht erklärte. Sie musste davon ausgehen: Er wollte offensichtlich dort ihren Liebhaber aufsuchen und zur Rede stellen. Der Vater traf den unerwünschten Lebensgefährten aber nicht an und ließ sich dann ruhig von der Polizei entwaffnen.

Zu seinem Plan wollte der Angeklagte gestern keine Angaben machen. Das Gericht hatte aber bereits genügend Akten aus früheren Jahren bereitliegen, um sich selbst ein gutes Bild vom bewegten Familienleben zu machen. Der Liebhaber soll die 37-jährige Tochter des Angeklagten wiederkehrend misshandelt und auch vergewaltigt haben. Das ist zumindest das Bild, das der 70-Jährige möglicherweise von der Beziehung haben musste. Denn das soll ihm die Tochter ("Ich habe ihm immer die Wahrheit gesagt") berichtet haben, die auch wiederholt Anzeige erstattete. Immer wieder liefen aber Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft diesbezüglich ins Leere.

Was genau nun von den alten Geschichten stimmt und was erfunden ist, interessiert die 5. Strafkammer aber weniger. Für sie ist zentral, was die Tochter nach dem Januar-Zwischenfall der Polizei zu Protokoll gab: Ihr Vater habe sich in den vergangenen drei Jahren stark verändert, sei aggressiver geworden, streitlustiger. Es fiel von ihr aber auch der Begriff der "fortschreitenden Demenz". Er sitze stundenlang teilnahmslos daheim herum, verliere sogar den Bezug zur Realität. Auch wenn die Tochter das alles gestern plötzlich wieder ganz anders erzählte, steht fest: "Da hauen Sie jemandem den Stempel drauf", verdeutlichte Richter Denz, als er die Dimension des Verfahrens gegen den Vater aufzeigen wollte. Denn aus den ersten Angaben hatten die Behörden nach der Festnahme des Rentners eine psychische Erkrankung herausgelesen. Seit Ende Januar ist der Angeklagte vorläufig in München-Haar untergebracht. Vorgutachten gingen davon aus, dass er Wahnvorstellungen zur Bedrohungslage in der Familie hatte.

Das ließ sich jetzt vor Gericht so nicht mehr halten. Die von der Kammer bestellte psychiatrische Gutachterin bejahte aber die Unterbringung des Angeklagten, der in der Familienfehde nach ihrer Einschätzung immer wieder so handeln und Straftaten begehen würde. Sie stützte sich in der Gesamtbewertung auf medizinische Untersuchungen, die eine organische Persönlichkeitsstörung (beginnende frontotemporale Demenz) ergeben hatten.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft forderte aufgrund des Gutachtens die Einweisung und beantragte zudem wegen der Waffengeschichte zwei Jahre und drei Monate Gefängnis, die nach dem Klinikaufenthalt noch abzusitzen wären.

Die Verteidigerin des Albaners lehnte die Unterbringung mit scharfen Worten ab und kritisierte das Gutachten der Sachverständigen ("großer Blödsinn"). Sie beantragte eine Bewährungsstrafe, deren Höhe sie ins Ermessen des Gerichts stellte. Die Auflösung folgt heute.