Ingolstadt
"Die Leute werden alle verrückt"

08.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:05 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Über kaum ein Thema wird so engagiert diskutiert wie über Flüchtlinge und die Situation im Transitzentrum. Dabei ist es schwierig, sich ein objektives Bild der Lage zu machen - auch weil die zuständige Regierung von Oberbayern kaum Informationen liefert. Zuletzt kritisierten Asylbewerber vehement das Sicherheitspersonal. Jetzt hat sich ein ehemaliger Mitarbeiter der Security an den DK gewandt. Er berichtet von Frust bei Bewohnern, Sicherheitsleuten und der Polizei.

Ingolstadt (DK) Mehrere Jahre hat Peter M. (Name geändert) für eine Sicherheitsfirma gearbeitet. Der ehemalige Mitarbeiter, der lieber unerkannt bleiben möchte, stammt aus der Region und war in der Oberstimmer Kaserne und in den drei Dependancen des Asyl-Transitzentrums Ingolstadt im Einsatz. Im Gespräch mit dem DONAUKURIER berichtet er über die angespannte Lage in den Abschiebelagern, unter der alle Beteiligen leiden - Bewohner wie Sicherheitsleute.

 

PETER M. ÜBER...

 

... die Organisation

Die Regierung von Oberbayern betreibt das Transitzentrun in und um Ingolstadt. Sie beauftragt ein Unternehmen, das für die Sicherheit in und um die Abschiebelager sorgen soll. Dieses wiederum vergibt Aufträge an Sub-Unternehmen, so dass Sicherheitspersonal von mehreren Firmen gleichzeitig in den Lagern patrouilliert. Eine Zeit lang habe es sogar "Sub-Sub-Unternehmen" gegeben, berichtet der ehemalige Mitarbeiter. Wie viele Unternehmen sich die Aufgabe teilen, ändere sich "von Monat zu Monat", doch meist seien über die Lager verteilt vier bis fünf Firmen beschäftigt. Die Regeln der Unterkünfte werden ebenfalls von der Regierung festgelegt, betont der Insider. Dazu gehöre unter anderem: keine verderblichen Lebensmittel, Fastfood oder Alkohol in der Unterkunft, auch Küchengeräte wie elektrische Herdplatten sind laut dem Ex-Sicherheitsmann tabu.

Auch im Umgang mit der Öffentlichkeit gibt die Regierung von Oberbayern klare Regelungen vor: "Da kriegen wir nur die Anweisung: Die Presse darf nicht rein. Wir sind rechtlich gebunden, da werden zwei, drei Zettel ausgehändigt, die wir unterschreiben müssen." Deswegen sei die Öffentlichkeit über die Zustände nur schlecht informiert. Man merke, dass viele Diskutanten "keine Ahnung haben".
 

... die Security-Branche

Der Markt der Sicherheitsfirmen ist ausgeschöpft. Security-Firmen suchen händeringend Mitarbeiter. Deswegen sind laut M. mittlerweile auch etliche "ungeeignete Leute" in der Branche tätig. Das gelte vor allem für den Einsatz in den Asylunterkünften. "Gute" Sicherheitsleute und Securityfirmen suchten sich lieber andere Aufgaben. Die meisten Anbieter aus der Region hätten sich längst aus den Transitzentren zurückgezogen. "Die Unternehmen kommen von weit her, eines sogar aus Österreich." Zeitweise seien auch Sicherheitsdienste aus dem Rockermilieu angeheuert gewesen.

Auch wegen der unzureichenden Ausbildung des Personals reagieren manche Securitys "übermotiviert und aggressiv" wo sie doch eigentlich deeskalierend wirken sollten, hat S. beobachtet. Dabei stehen die Sicherheitsleute unter enormem Druck. Die Verträge der Subunternehmer werden Monat für Monat neu verhandelt. Entsprechend hart griffen die Sicherheitsleute durch, um keine Regelverstöße zuzulassen, die ihnen als "Fehler" angerechnet würden. "Sonst hat eine Firma schnell nur noch sechs Leute im Einsatz und nicht mehr zehn oder so." Der Konkurrenzdruck ist inzwischen so groß, dass sich die Firmen Fehler gegenseitig unterschieben. "Wie im Kindergarten", sagt M. Dabei werden die Sicherheitsleute "mehr kontrolliert als die Asylbewerber". Das habe zur Folge, dass sich die Sicherheitsleute untereinander nicht mehr vertrauen. Vor allem nach einer Eskalation in der Unterkunft an der Manchinger Straße vor einigen Wochen, als Asylbewerber Sicherheitsleute angegriffen hätten und Mitarbeiter einer anderen Firma nicht zu Hilfe geeilt seien, sondern sich in Sicherheit gebracht hätten. Erst die Polizei konnte die Situation unter großem Personaleinsatz bereinigen. So mancher Security-Mann gehe deswegen nur noch mit Kollegen der eigenen Firma auf Streife. "Eigentlich müssten sich alle aufeinander verlassen können, stattdessen sind es Konkurrenten." In diesem Verhältnis sieht M. eine der Hauptursachen für die Probleme.
 

...den Alltag des Sicherheitsdienstes

Peter M. berichtet, dass die Sicherheitsleute im Zwei-Schicht-Betrieb jeweils von "sechs bis sechs" im Einsatz sind. Pro Zwölf-Stunden-Schicht seien etwa in der Kaserne Oberstimm bis zu 30 Mitarbeiter eingeteilt. Nach einer Stunde Dienst - meist Patrouillen in Zweiergruppen - folgen 30 Minuten Pause. Dafür gibt es einen eigenen Raum. "Eigentlich herrscht Handyverbot", doch das werde nicht sehr ernst genommen. Zum Alltag gehöre zudem ständiger Druck, der angefangen bei der Regierung von Oberbayern an den sogenannten Objektleiter - also den Hauptauftraggeber der anderen Sicherheitsfirmen - abgegeben werde. Der wiederum setze die Sub-Unternehmer unter Druck. "Der Schichtleiter gibt diesen Druck dann an seine Leute weiter."

Die Sicherheitsmitarbeiter seien "der Prellbock zwischen den Regierungsbeamten, die dort arbeiten, und den Asylbewerbern". Sie schritten aber auch bei Konflikten zwischen Bewohnern ein. Das erzeuge Spannungen. "Es gibt viele Asylbewerber, die uns Sicherheitsleute hassen." Die Drohungen, die sich M. während seiner Zeit als Security-Mann anhören musste, seien allerdings nie in die Tat umgesetzt worden.

...verschiedene Konfliktherde

Den Frust der Bewohner kann M. teilweise nachvollziehen. "Die Leute haben keine Unterhaltung. Die haben wirklich nichts zu tun. Da ist zwar ein Fernsehraum, aber da muss man sich zu zehnt reinsetzen." Außer wenn Fußball laufe, verstünden die Bewohner ohnehin nur wenig vom Programm. Streit, so der Ex-Security, gibt es dennoch häufig bei der Auswahl des Senders. Ab und zu spielen die Bewohner Tischtennis, doch sportliche Aktivitäten finden ihm zufolge nicht regelmäßig statt. Der Aufenthaltsraum diene gleichzeitig als Gebetsstätte und als eine Art Spielzimmer, "das ist ein einzelner Raum für alles", fasst M. zusammen. Auch die Kinder haben kein festes Programm, vor allem am Wochenende ist absolut nichts geboten: "Da ist einfach nur Langeweile."

Zwar bieten die festgeschriebenen Essenszeiten eine gewisse Routine, doch die Mahlzeiten - die Bewohner hatten sich zuletzt gegenüber unserer Zeitung vermehrt kritisch über das Essen geäußert - ließen tatsächlich zu wünschen übrig: "Das Essen schmeckt nach gar nichts." Außerdem habe es, kurz nachdem viele Afrikaner neu im Lager aufgenommen worden waren, teilweise nicht ausreichend Essen gegeben. Ständige Personen- und Taschenkontrollen, viele Bewohner auf engem Raum und Hygienebedingungen, die außerhalb der Transitzentren als unwürdig gelten, heizen die Stimmung ebenso an wie kaum Privatsphäre und schlecht beheizte Räume: "Die Leute werden alle verrückt", beschreibt der ehemalige Sicherheitsmitarbeiter die Situation. Diese gilt, so wird im Gespräch deutlich, sowohl für Sicherheitsmitarbeiter als auch für die Bewohner der Abschiebeeinrichtungen. "Mein Job war es, den Frust im Zaum zu halten", stellt M. ernüchtert fest. Manchmal werde deswegen von den Sicherheitsleuten auch ein Auge zugedrückt, etwa in Sachen Alkoholverbot. "Wir haben manchmal gesagt: Wenn sie trinken wollen, dann sollen sie trinken - solange sie ruhig sind."

€‡ Die Wohnverhältnisse seien vor allem am Audi-Kreisel, an der Marie-Curie-Straße und im so genannten P3 "bedrückend und einengend". Er berichtet etwa von Albanern und Ukrainern, die sich zu acht ein Zimmer teilen mussten. "Da war es egal, ob es zum Beispiel zwei Familien sind." Auch das Kasernengelände in Oberstimm sei zwar riesig, doch ein Großteil der Fläche und der leer stehenden Gebäude werde nicht genutzt: "Da werden 400 Leute in sechs Häuser gesteckt." Zwar dürften die Bewohner das Gelände betreten und verlassen, wann sie möchten, doch der provisorische Ausweis werde stets kontrolliert. Zudem würden sie jedes Mal nach verbotenen Gegenständen durchsucht. Dieses vorgeschriebene Prozedere sorge verständlicherweise unter den Bewohnern für großen Unmut.

... die Eskalationen

Dieser Frust entlädt sich regelmäßig, das "Pulverfass", wie der Ex-Security es nennt, geht schnell hoch. Gibt es unter den Bewohnern Streit und es kommt zu Handgreiflichkeiten, schreitet der Sicherheitsdienst ein. "Zunächst verbal", doch wenn das nichts helfe, würden die Streithähne "fixiert". Das alles laufe unter dem Stichwort Notwehr, wie M. den rechtlichen Rahmen erklärt: "Wir haben die gleichen Rechte wie jeder andere Bürger auch", und Notwehr - gegebenenfalls auch als Nothilfe im Einsatz für Dritte - gehöre dazu. Das zumindest lerne man in der kurzen Ausbildung.

Die Betreuer, zuständig für soziale Fragen und angestellt bei einer anderen Firma, rufen dann die Polizei, schildert M. den Ablauf. Zu den Polizeibeamten habe die Security aber ein "gespaltenes Verhältnis", da diese mittlerweile "keine Lust mehr" hätten, "ständig in die Asylheime zu fahren, um irgendwelche Kleinigkeiten zu regeln". Fast täglich seien die Polizisten vor Ort. Einmal habe ihm ein Beamter sogar angeraten, solche kleinen Konflikte "selbst zu regeln". Dafür habe er jedoch Verständnis, denn die Polizei sei schlichtweg auch schon "am Maximum".

Ein zusätzlicher Faktor sei die Mentalität einiger Bewohner. Seit Mai sind es in Manching und den städtischen Dependancen vermehrt Asylsuchende aus Nigeria: "Ich möchte nichts gegen die Schwarzafrikaner an sich sagen, aber von der Mentalität her sind sie schwierig. Albaner und Ukrainer haben dagegen eine ähnliche Mentalität wie wir. Bei den Afrikanern merkt man es nicht, wenn es sich hochschaukelt. Da explodiert die Situation von einer Sekunde auf die andere." Die Fäuste flögen dort schnell, das hat M. in seiner Zeit in den Unterkünften beobachtet - und das ohne große Vorwarnung. Zudem, so sagt er, bilden sich in den Lagern Gruppen "wie im Knast", jede hat einen Anführer, der sich für die Sicherheitsmitarbeiter herauskristallisiert. "Zwischen diesen Gruppen gibt es öfter Reibereien."

Er sieht da auch die Regierung in der Verantwortung. Die bringe alle Schwarzafrikaner gemeinsam unter, doch dass es auch innerhalb der Volksgruppen Konflikte gibt, das scheinen sie zu vergessen.

Das Schlimmste stehe jedoch noch bevor, fürchtet M.: "Irgendwann wird es einen großen Knall geben", prognostiziert er. Auch deshalb habe er seinen Job in der Sicherheitsbranche aufgegeben.