Ingolstadt
Auf Wohnungssuche

Andrea Heger lebt mit ihrem Baby in Obdachlosenunterkunft Am Franziskanerwasser "besser als WG"

20.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr

−Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Vor nicht einmal vier Wochen hat Andrea Heger ein Baby bekommen. Sie lebt mit ihrem Kind und Katze Nicki in der Obdachlosenunterkunft Am Franziskanerwasser. Die 33-jährige Hartz-IV-Empfängerin sucht dringend eine Wohnung. Bis sie etwas gefunden hat, will sie in der Unterkunft bleiben.

"Çagri". So hat die Ingolstädterin ihren Buben getauft. Der Name ist türkisch und bedeutet "Ruf". Der Ruf der Obdachlosenunterkunft Am Franziskanerwasser ist alles andere als gut. Die Menschen, die hier untergebracht sind, stehen in der Regel nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Die Gründe, warum sie in diese Lage gekommen sind, sind vielfältig. Oft, freilich nicht immer, spielen Alkohol oder Drogen eine Rolle. Erst Anfang September ist die städtische Einrichtung überregional in die Schlagzeilen geraten. Eine junge Frau - mit 33 Jahren genau so alt wie Andrea Heger - ist im Haus nebenan tot in ihrem Zimmer aufgefunden worden. Die Polizei spricht von einem Tötungsdelikt, als dringend tatverdächtig gilt der Ex-Freund der Frau, der eigentlich in der Einrichtung Hausverbot hatte.

Ist die Unterkunft Am Franziskanerwasser ein passendes Umfeld für eine Mutter mit Baby? Eine Frau, die selbst zwei Jahre Am Franziskanerwasser lebte, hat den DK in einer Mail auf die Situation aufmerksam gemacht: auf die vergebliche Wohnungssuche der Ingolstädterin, die Situation Am Franziskanerwasser, aber auch auf die Alternativen, die Heger von der Stadt angeboten worden sind und keine echten Alternativen seien: ein Platz in einer Wohngemeinschaft, wo sie ein möbliertes Zimmer bekommen hätte und Bad und Küche mit den anderen Bewohnern teilen müsste. "Können Sie sich vorstellen, ein Neugeborenes zusammen mit Leuten, die Alkohol trinken." Man müsse der Mutter helfen, da rauszukommen, schreibt die Frau auch in Bezug auf das Obdachlosenheim Am Franziskanerwasser, wo Heger mit ihrem Freund, dem Vater ihres Kindes, seit fast zehn Jahren lebt. Derzeit wohnen Mutter und Kind allein. Der türkischstämmige Vater befindet sich in einer JVA, soll aber bald freikommen.

Andrea Heger hatte nach der Schule eine Ausbildung zur Konditorin begonnen, diese aber abgebrochen. Ein schwerer Fehler, wie sich später herausstellte. Weil sie selbst gekündigt hatte, war sie drei Monate gesperrt, rutschte in die Arbeitslosigkeit und letztlich in Hartz IV. Bis sie hochschwanger war, hatte Heger verschiedene Putzstellen. Das bisschen, was sie dabei verdiente, wurde auf ihre Bezüge angerechnet. Dennoch habe sie nicht auf der faulen Haut liegen, sondern etwas tun wollen. Derzeit fordert sie ihr Baby freilich ganztags.

Die Biografie lässt erahnen, dass es für die Frau nicht leicht ist, auf dem ohnehin extrem angespannten Wohnungsmarkt eine bezahlbare Bleibe zu finden. Sie hat einen Berechtigungsschein für eine sozial geförderte Wohnung mit einer Wohnfläche bis zu 75 Quadratmetern und drei Zimmern (bei drei Personen). Für zwei Personen stünden ihr 65 Quadratmeter und zwei Zimmer zu. Die Kosten von 739 beziehungsweise 679 Euro werden übernommen.

Infolge eines Stadtratsbeschlusses von 2014, nach dem Kinder in der Unterkunft Am Franziskanerwasser nur in "absoluten Ausnahmefällen" leben dürfen, habe das Sozialamt reagiert, sagte Stadtsprecher Michael Klarner auf Anfrage. Man habe der Frau einen Platz in verschiedenen Wohngemeinschaften angeboten: in der Münchener Straße, einem aus drei Wohnungen bestehenden, renovierten Haus, und in der Feldkirchener Straße. Beides habe sie abgelehnt.

Für Andrea Heger ist ein Platz in einer WG keine Alternative, sagt sie. "Da wohnen Alkoholkranke drin, außerdem darf ich meine Möbel nicht mitnehmen." In ihrer 24 Quadratmeter großen Unterkunft Am Franziskanerwasser habe sie dagegen eine eigene, kleine Küche, eine Waschmaschine, ein eigenes Bad. "Hier schließe ich ab und lasse, wenn ich nicht will, niemanden rein. Hier habe ich meine Ruhe." Und: Mit dem Kinderwagen ist sie sofort im Grünen. Auf ihrer Mini-Terrasse hat sie sogar Tomaten angepflanzt. Mit ihren Nachbarn kommt sie aus, auch einige Freundschaften seien entstanden. Das Zimmer in der von der Stadt angebotenen WG, sagt sie, wäre noch kleiner, das Umfeld für ihr Baby keinesfalls besser als Am Franziskanerwasser. Um dies zu untermauern, zeigt sie wenig einladende Fotos von den ihr angebotenen Wohngemeinschaften.

Diese seien viel schlimmer als die Unterkunft Am Franziskanerwasser, findet Heger. Freilich: Dass ihre jetzige Bleibe auf Dauer viel zu klein ist, sieht der Besucher auf den ersten Blick. Selbst der letzte Winkel wird ausgenutzt, aber es ist sauber und aufgeräumt - soweit dies angesichts der vielen Gebrauchsgegenstände, die in der Kleinstwohnung untergebracht sind, möglich ist. Was im Leben Andrea Hegers derzeit den größten Stellenwert einnimmt, ist ihr Kleiner. Die Mutter wird von einer Familienhebamme betreut. "Sie hat gesagt, sie ist sehr zufrieden damit, wie ich mit meinem Kind umgehe." Beim Besuch des DK hält die 33-Jährige ihr Baby liebevoll im Arm, unterbricht das Gespräch sofort, als sie merkt, dass ihr Baby Hunger hat. "Ich muss kurz stillen. Können Sie draußen warten"

Als sie schwanger war, habe sie sich bei der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft und beim Gundekarwerk für eine Wohnung beworben, erzählt Heger. Sie steht dort mit dem Vermerk "dringlich" auf der Warteliste. Beim Gundekarwerk sind laut Thomas Mühlbauer, Sachgebietsleiter Mietwohnungsverwaltung Süd - Ingolstadt, derzeit rund 2000 Wohnungssuchende gemeldet. Die Vergabe erfolge durch das Wohnungsamt der Stadt. Aufgrund der momentanen Wohnungssituation in Ingolstadt könne es "durchaus zu Wartezeiten von ein bis zwei Jahren kommen".

Seit vergangenem Jahr liege das Prozedere in den Händen des Wohnungsamts, bestätigt auch Bianca Stein, Sprecherin der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GWG). Nach entsprechenden Vorschlägen durchs Wohnungsamt werde nach Dringlichkeitsstufen entschieden. Bei der GWG stehen derzeit rund 1200 Wohnungssuchende mit Berechtigungsschein auf der Liste. "Und die Fluktuation ist leider sehr niedrig."

Neben den großen Wohnungsbaugesellschaften haben auch einige private Vermieter sozial geförderte Wohnungen für Mieter mit Berechtigungsschein. Über die Dringlichkeit entscheide ein Punktekatalog, erklärt Stadtsprecher Klarner. "Wenn bekannt wird, dass eine Wohnung frei wird, werden dem Vermieter mindestens fünf Personen, die dafür infrage kommen, vorgeschlagen." Die Entscheidung treffe dann der Vermieter.

Auch Andrea Heger ist laut Klarner bereits zweimal Vermietern vom Wohnungsamt vorgeschlagen worden. Sie kam nicht zum Zug. Der Stadt ist die Dringlichkeit bekannt. "Wir werden versuchen, ihr weitere Alternativen anzubieten."