Ingolstadt
Leben in Containern

07.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:32 Uhr

Mehrere Bewohner des Transitzentrums an der Neuburger Straße protestieren gegen eine stärkere Belegung der Asyl-Einrichtung. - Foto: privat

Ingolstadt (DK) Die Asylbewerber, die am Audi-Kreisel leben, waren schockiert, als ihnen mitgeteilt wurde, dass in ihrer Einrichtung künftig bis zu acht Personen in zwei kleinen Zimmern mit einem gemeinsamen Bad wohnen sollen. Einige von ihnen traten jetzt in den Hungerstreik.

In engen Räumen wohnen die Asylbewerber schon jetzt in der Unterkunft an der Neuburger Straße zusammen, ohne Geschlechtertrennung, ohne Anspruch auf Privatsphäre. Die Wohneinheiten in den Containern sind jeweils rund 24 Quadratmeter groß und bestehen aus zwei Räumen und einem Badezimmer. "Um einigermaßen atmen zu können, müssen wir ununterbrochen lüften", sagt der 24-jährige Michail, der ursprünglich aus der Stadt Bakhmut im Osten der Ukraine kommt. Er wohnt bis jetzt mit nur einem Mitbewohner zusammen, ahnt aber, dass das auf Dauer wohl nicht so bleiben wird. Denn seit vergangener Woche wissen Michail und die anderen Asylbewerber, dass mehr Menschen kommen sollen.

Hintergrund ist die Umwandlung der Aufnahme- und Rückführungseinrichtung (ARE) Manching/Ingolstadt in ein bayerisches Transitzentrum (siehe Infokasten). Zuständig für diese Maßnahme ist die Regierung von Oberbayern. In der Einrichtung an der Neuburger Straße können bis zu 320 Bewohner untergebracht werden, erklärte die Behörde auf Anfrage des DONAUKURIER. Derzeit lebten dort aber nur rund 180 Personen.

Dass es Plätze, oder besser gesagt freie Schlafmöglichkeiten gibt, bestätigen die Bewohner. Es gebe zweistöckige Betten. Bei voller Besetzung der Einrichtung müssten sich dann allerdings auf einer Fläche von 24 Quadratmetern bis zu acht Menschen zwei Zimmer und ein gemeinsames Bad teilen.

Für einige Familien ist das schon jetzt Realität. Sie leben mit wildfremden Menschen zusammen. "Ich habe eine fünfjährige Tochter und einen zehnjährigen Sohn. Morgens dauert es ewig, bis sich mein Großer für die Schule fertigmachen kann", erzählt eine junge Ukrainerin, die ihren Namen nicht verraten will. "Wir haben einen Boiler mit nur 30 Liter Wasser, was für acht Menschen viel zu wenig ist", meint sie.

Die Mitarbeiter der Caritas-Asylsozialberatungsstelle, die mit den Bewohnern in regelmäßigem Kontakt stehen, haben ebenfalls Bedenken, wenn auf so engem Raum mehrere fremde Menschen zusammenleben müssen. Das könne schnell zu Konflikten im Alltag führen, die alleine dadurch entstünden, dass acht Menschen sich ein gemeinsames Bad teilen müssen. Dabei mache die unsichere Lebensperspektive viele Betroffene psychisch weniger belastbar, wodurch das Konfliktpotenzial steige, sagen die Mitarbeiter der Caritas.

 

LÄNGERER AUFENTHALT

Kurze Unannehmlichkeiten mögen erträglich sein. Allerdings dauert für viele Asylbewerber der Aufenthalt in einem Lager oft mehrere Monate. So wartet Michail schon fast eineinhalb Jahre auf die Entscheidung. Sein Nachbar Alexey aus der ostukrainischen Stadt Slowjansk wohnt noch länger in Deutschland. Bald werden es zwei Jahre, seitdem er in Ingolstadt angekommen ist.

Die Wohnbedingungen in den Einrichtungen sind immer wieder Bestandteil von Kritik. So wurden etwa im März dieses Jahres Aktionswochen in Ingolstadt veranstaltet, bei denen sich die Flüchtlinge Gehör verschaffen konnten. Die Veranstaltungen wurden im Rahmen der Initiative "Infobus" organisiert, die vom bayerischen Flüchtlingsrat, dem Netzwerk Karawane und weiteren Organisationen betrieben wird.

Am Sonntag trafen sich die Flüchtlinge erneut mit den Aktivisten. Sie wollten wissen, ob es in Deutschland Vorschriften für Asylunterkünfte gebe. "Ich kann mir gut vorstellen, dass ein bestimmtes Gesetz regelt, welche Minimalfläche pro Person in einer Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung stehen muss", meint Alexey, der in der Ukraine bei einer Umweltbehörde arbeitete.

Lisa Beimler von "Infobus" kam nach einer Recherche zum Ergebnis, dass Alexey teilweise recht hat. Die "Leitlinien zu Art, Größe und Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber" gebe es tatsächlich. Sie wurden nämlich im April 2010 vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, verfasst. Gemäß diesem Dokument soll eine durchschnittliche Wohn- und Schlafraumfläche von sieben Quadratmetern pro Person nicht regelmäßig unterschritten werden. Dabei sollen die Bewohner nach Geschlechtern getrennt untergebracht werden, wenn es sich nicht um eine Familie handelt. Zur Grundausstattung gehören ein Tisch mit Sitzgelegenheit und ein abschließbarer Schrank oder Schrankanteil für jeden Bewohner. Sanitäre Einrichtungen sollen für männliche und weibliche Bewohner getrennt eingerichtet werden.

 

RECHTLICH NICHT BINDEND

In der Neuburger Straße sei vieles davon vernachlässigt, meinen die Bewohner. Allerdings seien diese Leitlinien nicht gesetzlich verankert, sondern lediglich eine Empfehlung. Von daher kann man sie einhalten, muss man aber nicht, meint Lisa Beimler. Trotzdem ist sie davon überzeugt, dass die Wohnbedingungen in der Unterkunft beim Audi-Kreisel nicht akzeptabel sind. "Als ich am Freitag von den Asylbewerbern erfahren habe, dass bis zu acht Menschen pro Einheit untergebracht werden sollen, war ich schockiert", erzählt die Ehrenamtliche. "Ich persönlich finde solche Bedingungen unwürdig. Ich sehe aber auch, dass trotz der dauerhaften demütigenden Lebensbedingungen viele Asylsuchende ihre Menschenwürde bewahren und dafür kämpfen".

Jeder Bewohner der Einrichtung an der Neuburger Straße bekam von "Infobus" schließlich Leitlinien, um seine eigene Position vor der Verwaltung darlegen zu können, sollten neue Bewohner einziehen. Außerdem traten einige in den Hungerstreik. Am Montag seien dann tatsächlich neue Menschen aus anderen Asylunterkünften angekommen, erzählen die Asylbewerber. Für einige wurden Zimmer gefunden. Eine neue Familie blieb aber vor dem Wohnheim stehen - keiner habe sie in seine kleine Wohnung lassen wollen. "Die Administration drohte mit der Polizei", erzählt Alexey. Die Polizei sei dann doch nicht verständigt worden, die Familie wurde stattdessen zurück in ihre alte Einrichtung geschickt. Daraus schöpfen die Bewohner die Hoffnung, dass sie mit ihrer Argumentation doch etwas erreichen können.

 

KRITIK ZURÜCKGEWIESEN

Eine rechtliche Handhabe gebe es allerdings nicht, wie die Regierung von Oberbayern in einer schriftlichen Mitteilung an den DONAUKURIER betont: "Die Räumlichkeiten waren von Anfang an sowohl hinsichtlich der einzuhaltenden Hygienestandards als auch der Brandschutzvorgaben für die genannten Kapazitäten ausgelegt."

Die "Infobus"-Aktivisten überlegen sich ungeachtet dessen weitere Schritte. "Ich hoffe immer, dass es Menschen in der Öffentlichkeit gibt, denen das Wohl aller Bewohner Bayerns am Herzen liegt", sagt Lisa Beimler. "Solche Menschen können sich nicht vorstellen, dass jemand in ihrer Nähe als Mensch zweiter Klasse in einem Lager wohnt", betont die Ehrenamtliche.

Transitzentrum

Nachdem in Bayern immer weniger Menschen aus Balkanländern Zuflucht gesucht hatten, beschloss die Staatsregierung die Umwandlung der Aufnahme- und Rückführungseinrichtung Ingolstadt/Manching in eines von drei Transitzentren für Menschen mit keiner oder geringer Bleibeperspektive, die aus anderen Einrichtungen zusammengezogen werden sollen. Anfang September sind in der Immelmann-Kaserne sowie den Dependancen P 3 an der Manchinger Straße, der Marie-Curie-Straße und der Neuburger Straße insgesamt 1020 Personen vor allem aus Afghanistan, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Nigeria, Serbien und der Ukraine untergebracht.