Ingolstadt
Ein Manager bis zum bitteren Ende

02.01.2018 | Stand 02.12.2020, 17:00 Uhr

Das Ingolstädter Klinikum: Hier war Heribert Fastenmeier 14 Jahre als Geschäftsführer tätig, bevor er im vergangenen Jahr suspendiert wurde - nachdem bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft Ingolstadt gegen ihn ermittelt. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Heribert Fastenmeier hat seinen Tod vermutlich so konsequent geplant, wie er früher als Geschäftsführer am Klinikum Ingolstadt agierte. Er mimte den Starken, obwohl er am Ende war. Psychologen erkannten seine akute Selbstgefährdung trotz eines Hinweises aus der Justiz nicht.

Die Fassungslosigkeit ist auch eine Woche nach dem Freitod von Heribert Fastenmeier groß. Wäre sein trauriges Ende zu verhindern gewesen? In der Ingolstädter Justiz gab es zumindest jemanden mit der richtigen Antenne. Wenige Tage bevor der frühere Geschäftsführer des Ingolstädter Klinikums sich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Gablingen bei Augsburg am 27. Dezember das Leben nahm, hatte die Gefängnisleitung einen deutlichen Hinweis auf eine mögliche Selbstgefährdung erhalten.

Zwei Gefängnis-Psychologen untersuchten Fastenmeier umgehend, stuften ihn aber als stabil ein. Der Ex-Krankenhausmanager mimte bis zuletzt den Entschlossenen und Starken, obwohl sich tief in ihm bereits die Verzweiflung breit gemacht hatte. So konsequent, wie er sein Leben und die Geschäfte des Klinikums geführt hatte, so akribisch hat er vermutlich seinen eigenen Tod geplant. Alle Zeichen deuten darauf hin.

Zur Erinnerung: Der 63 Jahre alte Ex-Manager war seit 22. April wegen Verdachts der Untreue, Vorteilsannahme und Bestechlichkeit in Untersuchungshaft gesessen. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Ingolstadt bereits mehr als ein halbes Jahr gegen ihn ermittelt. Die Schadenssumme für das Klinikum soll "im niedrigen siebenstelligen Bereich" liegen, hatte die Ermittlungsbehörde erklärt. Im Juni legte Fastenmeier Haftbeschwerde ein. Haftprüfungsanträge seines Anwalts André Szesny blieben erfolglos - auf einigen hundert Seiten hatte der Jurist Argumente zusammengefasst, warum er den Freiheitsentzug für rechtswidrig hielt.

Warum wurde Fastenmeiers Vermögen kurz vor Weihnachten eingefroren? Lesen Sie hier die Argumentation des Klinikums nach. " domain="www.donaukurier.de" target="_blank"%>

Szesny drang damit aber weder beim Amtsgericht Ingolstadt noch bei der Beschwerdekammer am Landgericht Ingolstadt durch. Allein die Begründung des Landgerichts zählt 87 Seiten. Zuletzt hatte das Oberlandesgericht in München mit Beschluss vom 24. Oktober die Fortdauer der U-Haft angeordnet. Anders als durch den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft lasse sich der staatliche Strafanspruch nicht sichern, hieß es. Es bestehe dringender Tatverdacht, außerdem drohe dem Beschuldigten eine längere Freiheitsstrafe, was erfahrungsgemäß einen hohen Fluchtreiz auslöse, hieß es sinngemäß. Fluchtgefahr sei auch dadurch gegeben, dass Fastenmeier mit hohen Schadensersatzforderungen rechnen müsse, seinen Posten im Klinikum sowie sein gesellschaftliches Ansehen in Ingolstadt verloren habe. Ein fester Wohnsitz und familiäre Bindungen seien in solchen Fällen nicht mehr als "fluchthemmend" anzusehen. Daneben bestehe weiter Verdunklungsgefahr - wobei letztere nicht mehr im Detail erläutert ist. Kurzum: Die Untersuchungshaft sei verhältnismäßig und unverzichtbar.

Drei Instanzen hatten Fastenmeiers Wunsch auf Freilassung abgeschmettert, für ihn ein herber Rückschlag. Die Zeit hinter Gittern empfindet er als zunehmend quälender, was sich auch in Briefen an seine Angehörigen ausdrückt. Er spricht von "Isolierhaft", obwohl er die Zelle genauso oft verlassen darf wie andere Gefangene - rund vier Stunden am Tag. Aber er empfindet es so. Spätestens als die Staatsanwaltschaft am 25. Oktober Anklage gegen ihn erhebt, was sie neun Tage später bekannt gibt, dürfte er seinen Freitod geplant haben. Er verfasst einen Abschiedsbrief datiert vom 3. November an unsere Zeitung und bittet seinen Anwalt - Szesny kennt den Inhalt zunächst nicht - ihn weiterzuleiten, falls ihm etwas zustoße. Später folgen weitere Schreiben, die teilweise erst nach Fastenmeiers Tod die Adressaten erreichen. Darunter ist ein Brief an den Aufsichtsratsvorsitzenden des Klinikums Ingolstadt, Christian Lösel, der einer persönlichen Abrechnung gleichkommt.

Es geht darin auch um die Sperrung von Privatkonten Heribert Fastenmeiers, veranlasst durch seinen früheren Arbeitgeber in der Vorweihnachtszeit (siehe eigenen Bericht unten). Man wolle ihn wirtschaftlich ruinieren, mutmaßt der 63-Jährige. Er empfindet das als "finalen Dolchstoß". Ist es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt? Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt regt bei der zuständigen Strafkammer am Landgericht Ingolstadt - seit der Anklageerhebung die Herrin des Verfahrens - dringend an, die Justizvollzugsanstalt Gablingen auf die Situation mit der erfolgten Kontosperrung hinzuweisen und eine mögliche Selbstgefährdung Fastenmeiers überprüfen zu lassen.

Das Fax des zuständigen Richters geht am 19. Dezember an die JVA, noch am selben Tag untersuchen dort zwei Psychologen den Untersuchungshäftling. Fastenmeier berichtet tags darauf seiner Familie in einer Karte davon, das Ganze habe eineinhalb Stunden gedauert. Seine Schrift, sonst so akkurat, ist ungewohnt krakelig. "Die U-Haft ist inhaltlicher Schwachsinn", lässt er die beiden Psychologen wissen. In einer Aktennotiz heißt es später, Fastenmeier sei stabil und zuversichtlich, er wolle sich dem Prozess stellen. Suizidabsichten streitet er ab. Er täuscht auch seinen Anwalt, als der ihn am 22. Dezember das letzte Mal sieht.

Fünf Tage später nimmt Fastenmeier sich das Leben, nachdem er am Vormittag noch Besuch von seiner Frau und einem Sohn empfangen hatte. Ein Gürtel der Anstaltskleidung reicht ihm für sein Vorhaben. Seine Kraft sei nicht unendlich, hatte er der Familie einmal gesagt - jetzt war sie erschöpft. Zurück bleiben die Briefe als Vermächtnis des Heribert Fastenmeier. Er sieht darin auch andere in der Verantwortung. "Ich habe mich verabschiedet, weil ich die U-Haft und die Trennung von meiner Familie nicht mehr ertrage", schreibt er - nicht aus Furcht, sondern aus Resignation vor "diesem korrupten System".

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