Ingolstadt
Lehmann muss vors Landgericht

Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen Alt-OB erhoben sagt aber noch nichts über konkrete Vorwürfe

23.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:46 Uhr

Schwere Zeiten für den Ingolstädter Altoberbürgermeister Alfred Lehmann: Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat nach DK-Informationen Anklage gegen ihn beim Landgericht Ingolstadt erhoben. Offiziell verbreitet wurde am Freitag allerdings nur die Fertigstellung der Abschlussverfügung. ‹ŒArch - foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat über die Causa Lehmann entschieden. Nach Informationen unserer Zeitung hat die Behörde gegen Altoberbürgermeister Alfred Lehmann Anklage vor dem Landgericht Ingolstadt erhoben. Bestätigt wurde bislang nur die Fertigstellung der Abschlussverfügung.

Die Nachricht, die die Staatsanwaltschaft Ingolstadt am Freitagvormittag über den Nachrichtendienst Twitter verbreitete, umfasst nur zwei Sätze: "Im Rahmen der durch die Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungen gegen den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Ingolstadt wurde eine Abschlussverfügung getroffen. Diese wird zunächst den Betroffenen bekannt gegeben." Eine solche Verfügung beinhaltet, ob und weshalb gegen einen Beschuldigten Anklage erhoben wird. Das Ergebnis soll im Laufe der nächsten Woche in einer Presseerklärung bekannt gegeben werden, sagte Oberstaatsanwalt Nicolas Kaczynski, Sprecher der Ingolstädter Staatsanwaltschaft, auf Nachfrage.

Zum Inhalt der Abschlussverfügung wollte sich die Strafverfolgungsbehörde am Freitag nicht äußern. Informationen unserer Zeitung zufolge ist jedoch gegen den Ingolstädter Altbürgermeister, gegen den wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt wurde, Anklage vor dem Landgericht Ingolstadt erhoben worden. Das Verfahren gegen Lehmann dürfte dann öffentlich vor der Großen Strafkammer verhandelt werden - wie es auch im Prozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer des Ingolstädter Klinikums, Heribert Fastenmeier, der Fall gewesen wäre, hätte sich dieser nicht während der Untersuchungshaft selbst gerichtet. Mit dem Freitod Fastenmeiers ist das Strafverfahren gegen den Krankenhausmanager, der wegen Untreue, Vorteilsannahme und Bestechlichkeit angeklagt war, automatisch beendet. Gegen seine Erben erhebt das Klinikum jedoch zivilrechtlich Schadenersatzanspruch.

Für Alfred Lehmann gilt wie für alle der Grundsatz: Bis zu seiner Verurteilung besteht die Unschuldsvermutung. Was die Anklage dem Altoberbürgermeister konkret vorwirft, ist noch nicht bekannt. Die Justiz hat monatelang gegen den früheren Rathauschef ermittelt. Unter anderem wegen des Verkaufs des alten städtischen Krankenhauses an einen Bauträger, jener Punkt, der sich, wie der Leiter der Ingolstädter Staatsanwaltschaft, Wolfram Herrle, unlängst dem DK sagte, mit dem Komplex Klinikum überschneide. Es geht darum, ob sich Lehmann, der damals Aufsichtsratsvorsitzender der Klinikums GmbH war und auf dem Areal später eine private Neubauwohnung erworben hat, durch den Verkauf Vorteile verschafft hat. Die Verantwortung für eine dem Klinikum entgangene Nachzahlung in Höhe von rund 657 000 Euro ist dem früheren Klinikumschef Fastenmeier angelastet worden. Die Umstände, die zum Verzicht auf diese Nachzahlung geführt haben, dürften auch bei den Ermittlungen gegen Lehmann eine Rolle gespielt haben. Nach DK-Informationen hat Fastenmeier diesbezüglich eine Lehmann belastende Aussage gemacht, die von dem zuständigen Ermittlungsbeamten als glaubhaft eingestuft worden sein soll. Wie berichtet, soll sich der damalige Aufsichtsratsvorsitzende überdies von Anfang an dafür eingesetzt haben, dass besagter Bauträger aus dem Landkreis Pfaffenhofen den Zuschlag für das entsprechende Baufeld bekommt. Doch damit nicht genug: Auf Lehmanns Bestreben hin soll bei der Vergabe nach außen hin ein Losentscheid vorgegeben worden sein, obwohl der Auftrag in Wirklichkeit freihändig an den Bauträger vergeben worden war (DK berichtete) - eine klare Manipulation.

Das Verfahren gegen den 67-jährigen Alt-OB ist ein eigenes - abgekoppelt vom großen Komplex Klinikum, der rund ein Dutzend Beschuldigte umfasst. Wohl auch deshalb, weil ein weiterer, nicht unwesentlicher Punkt den Kauf von Studentenwohnungen auf dem Gelände der ehemaligen Pionierkaserne durch Lehmann betrifft. Wie berichtet, hatte dieser 2012 in einem Gebäude, für das er als OB und Verwaltungsratsvorsitzender der Stadttochter IFG von Amts wegen zuständig war, privat zwölf Wohnungen gekauft. Vier weitere gingen an seinen mittlerweile verstorbenen Vater. Die jeweils knapp 30 Quadratmeter großen Apartments wurden auf Kosten des Eigentümers saniert und als Studentenwohnungen genutzt. Der Verkauf des Gebäudes - ein ehemaliges Kasernengebäude - an ein in im Landkreis Eichstätt ansässiges privates Unternehmerehepaar war nicht ohne Brisanz. Nach einem der Redaktion vorliegenden Schriftstück hatte der damals zuständige IFG-Beamte ihn erst auf Dienstanweisung Lehmanns hin beurkundet.

Alfred Lehmann war von 2002 bis 2014 Rathauschef in Ingolstadt und hatte sich in dieser Zeit große Verdienste um die Stadt erworben. Nach seinem Rückzug aus dem Rathaus saß er noch für die CSU im Stadtrat und gehörte in dieser Funktion auch weiterhin dem Aufsichtsrat des Klinikums an. Nach zunehmender Kritik an seiner privaten Beratertätigkeit - unter anderem für den Headhunter Labbé - legte Lehmann am 1. Dezember 2016 sein Stadtratsmandat nieder. Sein Ziehsohn und Nachfolger, Oberbürgermeister Christian Lösel, wird die Geschehnisse um Lehmann genau beobachten. Der bevorstehende öffentliche Prozess gegen den CSU-Altoberbürgermeister dürfte angesichts der Mitte Oktober anstehenden Landtagswahlen in Bayern auch innerhalb der Ingolstädter CSU hohe Wellen schlagen.

Zur Twittermeldung der Staatsanwaltschaft ließ Lösel am Freitag durch seinen Pressesprecher Michael Klarner eine Stellungnahme verbreiten: "Das Rathaus hat die heute von der Staatsanwaltschaft per Twitter versandte Mitteilung über den Abschluss der Ermittlungen gegen den ehemaligen Oberbürgermeister zur Kenntnis genommen. Der Inhalt der hierin genannten Abschlussverfügung ist uns derzeit nicht bekannt. Über die Anwälte wurde heute bei Gericht Akteneinsicht beantragt, die in aller Regel innerhalb von 14 Tagen auch erteilt werden wird. Sobald diese erfolgt ist, werden die zuständigen Gremien und der Stadtrat über die Erkenntnisse hieraus informiert werden."

Alfred Lehmanns Rechtsanwalt Jörg Gragert wollte sich auf DK-Anfrage am Freitag nicht zu der Sache äußern.

 

Kommentar

Wie immer an dieser Stelle muss man natürlich vorwegschicken, dass die Unschuldsvermutung selbstverständlich auch für Alfred Lehmann gilt, bis das Gegenteil durch ein Gericht oder eine eigene Einlassung des Beschuldigten festgestellt ist. Und ihre konkreten Vorwürfe hat die Staatsanwaltschaft auch noch nicht vorgelegt, sodass eine Bewertung aussteht. Aber alleine schon, dass die Strafverfolger den früheren Rathauschef nun anklagen und vor das höchste Gericht der Region bringen wollen, ist ein unerreichtes politisches Erdbeben. So etwas hat es in der Geschichte Ingolstadts noch nicht gegeben.

Über viele Monate hatte sich die Wahrnehmung nur auf Ex-Klinikumschef Heribert Fastenmeier konzentriert, da dieser in Untersuchungshaft saß. Doch als gegen diesen die Anklage vorlag, stürzte sich die Staatsanwaltschaft wieder in die Arbeit und ermittelte gegen die weiteren Beschuldigten im Klinikum-Komplex. Am Ende steht gegen Lehmann kein einfacher Strafbefehl, schon gar keine Einstellung des Ver fahrens. Aus Sicht der Anklagebehörde haben sich offenbar massive Vorwürfe bestätigt. Alfred Lehmann, der bis zum unfreiwilligen Abschied aus dem Stadtrat auf dem Weg zum Ehrenbürger dieser Stadt war, sieht sich nun mit der Drohung einer mehrjährigen Gefängnisstrafe konfrontiert – sonst würde sich die Sache nicht am Landgericht abspielen. Was für ein Fall – im doppelten Sinn.

Aber genau damit beweist die Staatsanwaltschaft auch, dass sie ohne Ansehen der Person und Position vorgeht. Wer daran gezweifelt hatte, dürfte nun eines Besseren belehrt sein. Christian Rehberger