Ingolstadt
Unter Rettern

Ein Tag bei der Berufsfeuerwehr: Als ungeübter Besucher kann man nur versuchen, nicht im Weg zu stehen

17.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr

Foto: Johannes Hauser

Ingolstadt (DK) Weit über 2000 Einsätze im Jahr: Ingolstadts Feuerwehrleute - berufsmäßige und freiwillige - leisten einen ganz erheblichen Beitrag zur Sicherheit in der Stadt. Ein Tag bei der Berufsfeuerwehr lässt erahnen, welcher Aufwand betrieben wird, damit Hilfe in der Not schnell zur Stelle ist - rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr.

Einmal bei der Feuerwehr mitzumachen, möglichst mal mit Blaulicht durch die Stadt zu fahren - ein Traum vieler Buben. Ich habe mir mit der Verwirklichung dieses Wunsches etwas Zeit gelassen. Wohl etwas zu viel, denn mit meinen inzwischen 60 Jahren habe ich bereits das Pensionsalter für Berufsfeuerwehrleute erreicht. Schwindelfrei bin ich auch längst nicht mehr - das sind ja nicht gerade ideale Voraussetzungen für einen Alltagseinsatz in der Feuerwache. Dass man mich dort trotzdem einen ganzen Tag lang zuschauen und sogar ein wenig mitmachen lässt, wird wohl unter der Rubrik Öffentlichkeitsarbeit verbucht - eine echte Hilfe bin ich sicher nicht . . .

6.50 Uhr: Ich schelle kurz vor Schichtwechsel am Eingang zur Wache an der Dreizehnerstraße, werde von Thomas Schimmer vom Inspektionsdienst abgeholt und sogleich Zugführer Eberhard Leschke vorgestellt. Er ist heute Chef im Ring, wird die 19 Mann starke Truppe bis zum nächsten Morgen leiten, den Dienstplan überwachen und mögliche größere Einsätze selber anführen. Zum Dienstwechsel um 7 Uhr weist er die Männer am Rande der großen Fahrzeughalle ein: Wer ist für was eingeplant, welche Besonderheiten sind heute zu beachten? Auch die Info, dass das Amt für Verkehrsmanagement aktuell 18 Straßensperrungen in der Stadt auflistet, geht an alle. Besser, wenn jeder weiß, wo es heute auch mit Martinshorn nicht mehr weitergeht.

Eigentlich stünde jetzt auch die offizielle Übergabe durch die vorausgehende Schicht an, doch diese Männer sind seit 5 Uhr bei einem Lkw-Brand in Friedrichshofen. Da erst mal kein neuer Alarm eingeht, hat Eberhard Leschke Zeit, mir "den Laden" zu zeigen - angefangen mit der Kleiderkammer, wo ich Hose, Jacke, Helm und Sicherheitsstiefel erhalte. Wenn ich zu irgendeinem Einsatz mitfahren sollte, dann nur in dieser Montur, und nur, wenn ich sie auch schnell genug anlegen kann: "Wir haben eine Frist von 60 Sekunden bis zum Ausrücken", belehrt mich der Zugführer. Dass ich als Ungeübter einen Bonus hätte, brauche ich mir nicht einzubilden. Leschke sagt es freundlich, aber bestimmt: "Wir warten auf keinen."

Weil es im Ernstfall so pressiert, gibt es hier wie in allen mehrstöckigen Feuerwachen die berühmten Rutschstangen. Ich darf nach kurzer Einweisung gleich mal eine ausprobieren. Sechs Meter sind es nach unten, mit der Augenhöhe bereits fast acht. Das sieht verdammt noch mal nicht einfach aus von hier oben. Doch ich kann mit den Stiefeln gut bremsen, komme fast sanft auf dem Federteller am Fuß der Stange an. Note 4? "Fast schon eine 3", ermuntert mich mein Aufpasser. Mutprobe bestanden.

8.55 Uhr: Die Männer der vorausgehenden Schicht kehren aus Friedrichshofen zurück. Zugführer Ingo Stöhr schildert ein paar Eindrücke von einem vertrackten Einsatz, bei dem das Führerhaus des Lastwagens fast völlig zerlegt werden musste. Das ist einer der Gründe dafür, warum die Berufswehr nur Leute mit Erfahrung in praktischen Berufen einstellt. Etliche Kfz-Mechaniker sind darunter, Elektriker, Schlosser. Leute, die schon von Haus aus fachgerecht anzupacken wissen.

Weil es ein beschaulicher Vormittag ist, hat der Zugführer genügend Zeit, mir auch die Werkstätten zu zeigen. Hier fällt jeden Tag Arbeit an den eigenen Gerätschaften an, werden selbst die Fahrzeuge bis auf die ganz komplizierten Motor- und Getriebearbeiten selber gewartet. Es ist ein kleines Handwerkerzentrum. Und die Facharbeiter sind jede Minute bereit, in ihre Feuermonturen zu schlüpfen und auszurücken.

Doch es bleibt ruhig. Noch. Ich werde über Mittag einem Ausbildungstrupp auf dem Dach der Wache zugeteilt, der mit frisch in die Berufswehr eingetretenen jungen Kollegen das Sichern in großer Höhe einübt. Bergsteigerausrüstung wird angelegt, Seile werden geknotet, Karabinerhaken eingeklinkt. Schon hängt ein Mann, mehrfach gesichert, am Dachgeländer über der Fassade. Ich verzichte lieber auf diese Übung - und sogleich zeigt sich, dass ich damit richtig liege.

14.02 Uhr: Einsatzalarm. Erst ein Gong, dann eine Durchsage, die in jedem Raum der Wache aus den Lautsprechern kommt, hier auf dem Dach aber unverständlich bleibt. Ich haste das Treppenhaus hinunter, eile durch die Fahrzeughalle und schmeiße die dicke Jacke über. Gut, dass ich Hose und Stiefel vorsichtshalber schon angelegt hatte. Eberhard Leschke hat schon den Helm auf, weist auf einen Rücksitz im Leitfahrzeug. Die Rolltore sind bereits offen, Blaulichter blinken: Rauchmeldung aus dem Altersheim "Katharinengarten". Das kann etwas Großes sein - der komplette Löschzug rückt aus.

Nur drei Minuten braucht es bis zur Nürnberger Straße, wo Hausmeister und einige Pflegerinnen die Feuerwehr bereits erwarten. Hastig geht es die Treppen zum zweiten Stock hinauf. Ich darf mich einreihen und gerate bei fast 30 Grad schon nach wenigen Stufen in Schweiß. So also ist Einsatz. Aber wo ist der Rauch?

Es gibt keinen Rauch. Eberhard Leschke steht im fraglichen Korridor unter einem Deckensensor und winkt ab: Fehlalarm! Eigentlich die beste aller Möglichkeiten. Nicht ganz so für den Heimbetreiber: Weil Fehlmeldungen übersensibler oder schlecht gewarteter Alarmanlagen zugenommen haben, verlangt das Amt für Brand- und Katastrophenschutz für solche unnötigen Einsätze inzwischen pauschal 500 Euro von den Verursachern - ein finanzielles Druckmittel, damit Alarmanlagen in Schuss gehalten werden.

14.45 Uhr: Eine Geschicklichkeitsübung mit der Drehleiter steht auf dem Dienstplan. Junge Kollegen, die die Leiter noch nicht so häufig gesteuert haben, müssen auf dem Hof der Wache mit dem Rettungskorb einen Parcours abfahren und dabei einen fast randvoll gefüllten Wassereimer am Haken mitschleppen. Kein Tropfen darf verschüttet werden. Alle fünf Kandidaten bestehen die Prüfung mit Bravour. Dann darf ich mal an die Steuerhebel. Nach wenigen Metern habe ich die erste Wasserpfütze verursacht. Das war also nichts . . .

Gleich zur Strafe (ich empfinde es zumindest so) werde ich von einem erfahrenen Begleiter mit dem Korb steil in die Höhe gefahren. "Schwindelfrei", hat er noch gefragt. Ich will mir keine Blöße geben. Jetzt geht es 30 Meter hinauf, die Leichtmetallkonstruktion vibriert, meine Nerven ebenfalls. Als es auch noch in die Drehbewegung geht, krampfen sich meine Hände ums Geländer. Auch wenn ich am Korb eingehakt bin - meine Knie werden weich. "Einfach nicht nach unten, sondern in die Ferne sehen", rät mein Korbführer. Ich bin ganz froh, als ich wieder unten bin und aussteigen kann.

Es wird später Nachmittag. Zwei Männer fahren zu einem Tiereinsatz in Hollerstauden. Eine Katze ist von einem Auto angefahren worden, ist sichtlich schwer verletzt. Als die Helfer abends zurückkehren, berichten sie von einer Odyssee zwischen Unfallort, Tierheim und Tierarztpraxis. Letztlich aber vergeblich. Die Katze ist tot.

Das Abendessen: Der komplette Löschzug sitzt im Aufenthaltsraum um den achteckigen Tisch mit der Floriansfigur. Wie die Ritter der Tafelrunde. Ein Ritual, das Gemeinsamkeit ausdrückt. Gekocht wird immer selber, heute haben zwei Kollegen Putengeschnetzeltes zubereitet. Gerade habe ich gefragt, wie oft die Runde es schafft, ohne Störung durch einen Alarm zu Ende zu essen, da ertönt auch schon der Gong.

Kurz nach 18 Uhr: Wohnungsöffnung an der Waldeysenstraße; möglicherweise eine hilflose Person. Ein technischer Einsatz, wie mir sofort hätte klar sein müssen. "Fahren Sie mit!", ruft der Zugführer mir zu, und wie ein geölter Blitz sause ich die Stange hinunter, bin selber überrascht von meinem Wagemut. Unten stehe ich allerdings allein vor dem kleinen Einsatzleitfahrzeug, mit dem ich mittags unterwegs war, während weiter hinten in der Halle der Motor des Rüstwagens aufdröhnt. Schon ist er weg. Da hatte ich wohl aufs falsche Pferd gesetzt. "Ich müsste noch viel lernen", gebe ich zu, während ich oben wieder am Esstisch Platz nehme. Allgemeines Schmunzeln in der Runde.

Jetzt ist der eigentliche Arbeitstag der Männer vorbei, der Rest des Abends und die Nacht gelten als Bereitschaft, in der jeder seine Zeit selber einteilen kann - mit Sport im Kraftraum, mit Kickern, Lesen oder Fernsehen, später dann auch mit Rückzug in die Einzelbettkammern. Da werde ich mich dann ausklinken. Thomas Schimmer nimmt mich im Kommandowagen noch mit zum Haunwöhrer Gerätehaus, wo die Freiwillige Feuerwehr eine Einweisung in ihr künftiges Löschfahrzeug erhält.

Solche Kontaktpflege und die Organisation im Hintergrund sind die klassischen Aufgaben des Inspektionsdienstes. Auf der Tour begutachtet Schimmer gleich noch eine Baustellenabsperrung auf der Berliner Straße. Die muss er bei einem etwaigen Einsatz in diesem Viertel sogleich im Hinterkopf haben, sonst droht womöglich ein blamabler Stau unter Blaulicht. "Nichts ist so peinlich wie einen Löschzug zu versenken", erklärt er. Das glaube ich ihm unbesehen.