Ingolstadt
Watschn für Ingolstädter Parteifreunde?

Seehofer-Äußerung zum örtlichen AfD-Ergebnis wird in Kommunalpolitik aber unterschiedlich gedeutet

26.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:26 Uhr
Der Pfeiffturm und das Münster in Ingolstadt. −Foto: Johannes Hauser

Ingolstadt (DK) Das Erstarken der AfD in Ingolstadt ein Resultat der Kommunalpolitik? Eine entsprechende Bemerkung von Ministerpräsident Horst Seehofer in einem Fernsehinterview hat Beobachter aufmerken lassen. Die örtliche CSU bezieht diese Aussage allerdings allein auf die besonderen Auswirkungen der Asylpolitik auf die Stadt.

Dass der CSU-Vorsitzende und Münchner Regierungschef nach der Bundestagswahl auch auf das auffallend gute Abschneiden der Rechtspopulisten in seiner Heimatstadt (mit 15,1 Prozent der Zweitstimmen noch vor der SPD zweitstärkste Kraft) angesprochen wird, darf weder ihn noch andere verwundern. Wie bereits gestern berichtet, interessieren sich auch etliche überregionale Medien für diesen Umstand.

Auch BR-Chefredakteur Christian Nitsche bohrte am Montagabend in diesem Zusammenhang nach, als er Horst Seehofer in der "Münchner Runde" des Bayerischen Fernsehens zu Gast hatte. Der Ministerpräsident daraufhin wörtlich: "Ich hätte mir gewünscht, wenn der Agenturjournalist, der darüber geschrieben hat, auch mal sich mit der Ingolstädter Situation der letzten Jahre beschäftigt hätte. Wir haben da eine Reihe anderer Probleme, die uns zugesetzt haben, der CSU, das hat mit der Kommunalpolitik zu tun."

Seehofer wollte dann offenbar noch etwas Erklärendes nachschieben, wurde aber durch eine erneute Frage des Moderators auf ein anderes Gleis geführt, so dass vor allem bei Zuschauern, denen der Einblick in die lokalen Gegebenheiten fehlt - bayernweit wohl die allermeisten -, der Eindruck entstehen konnte, hier sei womöglich ein besonderes Defizit in der Ingolstädter Stadtpolitik angedeutet worden.

Auf einige örtliche Beobachter wirkte die kurze Interviewsequenz sogar wie ein spontaner Rückfall des Ministerpräsidenten in eine inzwischen überwunden geglaubte Zeit auffälliger Distanz zur Ingolstädter Rathausspitze. Bekanntlich hatte Seehofer vor Jahr und Tag mehr oder minder verklausuliert zu erkennen gegeben, dass er die vormaligen Diskussionen im Stadtrat um von Opposition und manchen Bürgern so empfundene "abgehobene" Rathauspolitik aufmerksam und kritisch verfolgt hatte. Sogar über mögliche Machtworte des Vorsitzenden gegenüber seinen führenden Ingolstädter Parteifreunden war bereits spekuliert worden.

Sollte Seehofer, der seit Sonntagabend genug andere Baustellen in München und Berlin hat, da wirklich noch en passant der Ingolstädter CSU eine Watschn gegeben haben - noch dazu ausgerechnet im Zusammenhang mit der brisanten AfD-Problematik? In hiesigen Oppositionskreisen ist das nur zu gerne in diese Richtung interpretiert worden: ÖDP-Stadtrat Thomas Thöne, stets eifriger und meinungsfreudiger Nutzer sozialer Medien, setzte auf Facebook alsbald eine (kleine) Diskussion über die Interviewäußerung in Gang. "Not amused", also nicht amüsiert, so ließ sich ein Teilnehmer auf das Thema ein, seien angesichts einer solchen Äußerung wohl OB Christian Lösel und Bürgermeister Albert Wittmann. Agnes Krumwiede, bis Sonntag bekanntlich noch Bundestagskandidatin der örtlichen Grünen, ließ sich ebenfalls vernehmen: "Dass ich das noch erleben darf, einmal mit Seehofer einer Meinung zu sein."

Achim Werner, SPD-Fraktionschef und quasi auch Oppositionsführer im Stadtrat, hatte zwar nur auf Umwegen von dem BR-Fernsehinterview erfahren, sieht sich durch die bewusste Äußerung des CSU-Chefs aber auch in seiner Einschätzung bestätigt, dass die Politik der Stadtregierung nach wie vor nicht auf breiten Konsens in der Kommunalpolitik und in der Bevölkerung angelegt ist: "Was da jetzt als Bürgerbeteiligung ausgegeben wird, ist eine absolute Mogelpackung." Daraus speise sich Unzufriedenheit in der Stadt. Werner: "Der OB muss endlich versuchen, jeden einzelnen der 50 Stadträte und jede Initiative ernst zu nehmen."

Ganz und gar anders will man den Ministerpräsidenten bei führenden örtlichen CSU-Vertretern verstanden haben. Kreisvorsitzender Hans Süßbauer und auch OB Christian Lösel betonten jeweils auf DK-Nachfrage, dass es Horst Seehofer mit seiner Bemerkung wohl ausschließlich um die schwierige Situation in der Stadt angesichts des fraglos hohen Migrantenanteils und insbesondere der Probleme rund um das Abschiebelager in Oberstimm und seine Ingolstädter Außenstellen gegangen sein dürfte. Lösel nach Sichtung einer Aufzeichnung des Seehofer-Auftritts in der BR-Mediathek: "Ich bin froh, dass der Ministerpräsident dieses Thema angesprochen hat. Wir wären dem Freistaat dankbar, wenn er hier helfen könnte."

Der OB und auch CSU-Kreischef Süßbauer betonten unisono, dass die Angst vor Überfremdung bei nahezu all ihren Gesprächen mit Bürgern im zurückliegenden Bundestagswahlkampf das beherrschende Thema oder zumindest unterschwellig zu spüren gewesen sei. Es sei nun mal nicht wegzudiskutieren, dass Ingolstadt mit einem der beiden bayerischen Rückführungszentren für abgelehnte Asylbewerber an der Stadtgrenze eine besondere Last zu tragen habe.

Hans Süßbauer ("Zwischen mir, Christian Lösel und Horst Seehofer gibt es überhaupt keine Differenzen") geht davon aus, dass sich die örtlichen Parteigrößen in den nächsten Wochen mit dem Ministerpräsidenten zusammensetzen und dabei auch die Asylproblematik abermals erörtern werden. Vorerst müsse man aber akzeptieren, dass Seehofer in Berlin erst einmal genug andere Dinge zu regeln habe. Das stimmt fraglos. Auch für ein vom DK angefragtes kurzes Telefongespräch zu der bewussten Äußerung im Bayerischen Fernsehen hatte der CSU-Chef gestern offenbar keine Zeit.