Ingolstadt
Besucher aus Fernost

Junge Asiaten entdecken Ingolstadt als Schüler oder Au-pairs für sich – Sie brauchen nur Gastfamilien

27.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:56 Uhr

Problemlose Verständigung: Mit der dreijährigen Emilia versteht sich Yang Gao hervorragend. Die Chinesin arbeitet seit Oktober bei Emilias Familie als Au-pair. Momentan zieht es viele junge Asiaten nach Ingolstadt – die wie alle anderen auch Gastfamilien suchen. Weitere Infos gibt es bei der Mobilen Familie unter Telefon (08 41) 9 93 98 29-0 - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Junge Asiaten entdecken Deutschland für sich: Immer mehr Schüler und junge Erwachsene aus China zieht es während der Schulzeit oder kurz nach dem Abschluss in das einwohnerreichste Land Europas, einige davon auch nach Ingolstadt.

Sie arbeiten als Au-pair oder gehen hier zur Schule. Mingwei aus der Millionen-Einwohner-Stadt Chengdu lebt seit August bei einer Gastfamilie in Ingolstadt. Sie kam über ein Stipendium der Bonner Mercator-Stiftung nach Deutschland, in Ingolstadt besucht sie die zehnte Klasse eines Gymnasiums. Sie ist erst 15.

„Wir nehmen generell Gastschüler zwischen 15 und 18 Jahren an, aber nur sehr selten sind sie erst 15“, sagt Meike Schmidt vom Verein Experiment, der ebenfalls in Bonn sitzt und Mingweis Austausch organisiert hat. „Denn es ist immer eine Riesenumstellung, auch wenn Sie nur für ein Jahr von Deutschland nach Frankreich gehen“, sagt sie. Wer aber als Teenager in einen völlig anderen Sprach- und Kulturkreis will, für den ist das alles eine neue Dimension.

Sehr viele junge Chinesen kommen inzwischen nach Deutschland. Allein von den 120 Schülern aus der ganzen Welt, die der Verein Experiment im Sommer nach Deutschland vermittelt hat, waren es 15. Mingwei war die erste, die nach Ingolstadt wollte.

Vor ihrem Aufenthalt absolvierte die junge Chinesin einen Deutschkurs. In Deutschland angekommen, bekam sie in einem Vorbereitungsseminar vermittelt, was sie in den nächsten zwölf Monaten alles beachten muss. „Ganz einfache Sachen“, erklärt Meike Schmidt. „Zum Beispiel, dass in Deutschland der Müll getrennt wird, dass man im Zimmer das Licht ausmacht, wenn man es verlässt, oder wie man sich hier anspricht.“ In Ingolstadt betreut eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Vereins Mingwei. Dieser erzählte sie jetzt auch als Erster, dass es Schwierigkeiten gebe: Ihre Gastfamilie habe ihr erklärt, dass sie sie aus zeitlichen Gründen nicht bis zum geplanten Programmende im Juli 2015 beherbergen könne. Ihre Betreuerin verständigte Experiment, jetzt suchen sie so schnell wie möglich nach einer neuen Gastfamilie.

„Superschön wäre, wenn sie in Ingolstadt bleiben könnte“, sagt Meike Schmidt. „Sie hat hier schon Freunde gefunden und kennt die Schule.“ Gastfamilie könne jeder werden, Alleinerziehende, Paare mit und ohne Kinder oder Patchwork-Familien, aus Ingolstadt oder der Umgebung. „Es geht darum, sie aufzunehmen wie ein eigenes Kind, mit Abwaschmachen, Sonntagsspaziergang und Plätzchenbacken. Es geht nicht um ein touristisches Programm“, sagt Schmidt. Als Haushaltszuschuss gebe es 250 Euro für das halbe Jahr. Ansprechpartner in der Bonner Experiment-Geschäftsstelle ist Matthias Lichan, Telefon (02 28) 9 57 22-21, E-Mail: lichan@experiment-ev.de.

Bei Yang Gao aus Jilin im nordöstlichen China, nur eine Autostunde entfernt vom Audi-Werk in Changchun, hat es auch gedauert, bis sie in Deutschland ihr Glück fand. Die 23-Jährige kam nach ihrem Forstwirtschaftsstudium im August nach Ingolstadt, wo sie in einer Familie als Au-pair arbeitete, in der sie sich lange Zeit allein um das sechsjährige Kind kümmern musste – was nicht zuletzt wegen ihrer anfänglichen Sprachschwierigkeiten schier unmöglich war. Seit Oktober ist sie in einer anderen Familie, wo sie nur selten länger allein mit der dreijährigen Tochter ist, und auch ihr Deutsch hat sich inzwischen verbessert. „Es ist sehr schön hier“, sagt Yang Gao. Sie hat sich schon mit anderen Au-pairs aus Ingolstadt angefreundet, versteht sich auch mit der Familie sehr gut: „Wir feiern zusammen Feste – St. Martin – das war sehr nett für mich.“ Und das kleine Mädchen? „Sie ist so süß!“ An Ingolstadt gefalle ihr vor allem die „superschöne Landschaft“. Das ganze Land mit seinen vielen Museen sei interessant, sagt sie. „Ich mag Deutschland.“

„Wir haben im Moment viele Anfragen aus Indonesien, Nepal, und sehr, sehr viele aus China“, sagt Birgit Breitmeier, die bei der Mobilen Familie Au-pairs vermittelt und betreut, unter anderem auch Yang Gao. „Es ist schon eine Statusverbesserung“, sagt die Sozialpädagogin. „Sie lernen in einem Jahr viel Deutsch und können das nutzen, wenn sie wieder zurück sind.“ Viele Firmen suchten schließlich Übersetzer oder Spezialisten für internationale Kontakte. Die Mädchen kämen aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen, auch wenn man denken könnte, nur junge Menschen aus wohlhabenderen Familien könnten den Aufenthalt finanzieren – schließlich müssen sie unter anderem An- und Abreise selbst zahlen, erzählt die Sozialpädagogin. „Ich habe ein Mädchen aus Nepal gefragt, wie sie sich das leisten konnte. Und da erzählte sie, dass die ganze Familie dafür gespart hat, und sie sich noch Geld vom Bruder geliehen hat“ – in der Hoffnung, dass sich der Aufenthalt bezahlt macht.

„Es ist schon ein Wagnis – für beide Seiten“, sagt Breitmeier. „Weil auch kein Probearbeiten möglich ist.“ Die Mädchen, die sich bei der einzigen Agentur in Ingolstadt melden, sind zwischen 18 und 26 Jahren und müssen Deutsch-Grundkenntnisse und Erfahrungen in der Kinderbetreuung nachweisen. „Am Anfang ist es ganz schwierig, die Mädchen sprechen kaum Deutsch, und einige Familien sind am Anfang enttäuscht. Da ist Geduld wichtig. Aber bisher haben wir das noch immer hingekriegt.“ Und nach vier bis acht Wochen hätten sich die Mädchen ohnehin eingelebt und seien eine echte Hilfe.

Nur auf eines seien sie nicht vorbereitet worden, sagt Breitmeier schmunzelnd: aufs Bairische. Beim jüngsten Treffen mit allen betreuten Au-pairs habe ein Mädchen erzählt, dass ihr die Oma der Familie während einer Feier zugerufen habe: „Hock di hi!“ Das waren Wörter, die sie im Deutschkurs nicht gelernt hatte. Und die anderen Mädchen berichteten grinsend von ähnlichen Erfahrungen aus ihren Familien.

Birgit Breitmeier beschäftigte vor 15 Jahren selbst ein Au-pair-Mädchen aus Litauen. Bis heute halten sie Kontakt, zuletzt hatte die Frau, die inzwischen in London lebt, sie vor rund drei Jahren in Deutschland besucht. Breitmeier ist von dem Modell entsprechend nicht nur aus beruflichen Gründen überzeugt. „Das ist eine Freundschaft fürs Leben, die da entstehen kann.“