Ingolstadt
"Sie sind Fremdkörper"

Die Sozialpädagogin Gabriele Störkle über ihre tägliche Arbeit mit Asylbewerbern in den Transitzentren

24.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:09 Uhr

Gabriele Störkle berät Flüchtlinge in Transitzentren. - Foto: Privat

Ingolstadt (DK) Gabriele Störkle vom Caritas-Zentrum Pfaffenhofen berät täglich gemeinsam mit ihren Kolleginnen Flüchtlinge in den Transitzentren in und um Ingolstadt. Hier sind vor allem bereits abgelehnte Asylbewerber oder solche mit geringen Bleibeperspektiven untergebracht. Die Polizei musste in den vergangen Wochen aufgrund von Gewalt vermehrt in die Unterkünfte ausrücken. Deshalb wurde die Präsenz dort zumindest vorübergehend erhöht. Im Gespräch gibt die Diplom-Sozialpädagogin Einblick in ihre Erfahrungen in den Abschiebelagern und erklärt, wo aus ihrer Sicht die Probleme liegen.

Frau Störkle, wie sieht Ihre Arbeit mit den Bewohnern der Transitzentren aus?

Gabriele Störkle: Unsere Arbeit dort läuft unter dem Caritas-Verband München-Freising, wir sind Beraterinnen vom Caritas-Verband Pfaffenhofen. Wir haben im Moment vier Vollzeitstellen von sechs Beraterinnen besetzt und beraten in jeder Dependance und in der Kaserne. Unsere Angebote sind offene Sprechstunden und persönliche Termine. Wir beraten bei allen Themen, die auftauchen können, angefangen mit dem dem persönlichen Befinden, denn oft sind die Bewohner stark durch ihre Lebenssituation und Perspektivlosigkeit psychisch belastet. Wir versuchen auch Perspektiven zu eröffnen, wir geben Informationen zum Asylverfahren, vermitteln Ärzte und versuchen die Bewohner an Psychiater anzubinden - die ganze Bandbreite.

 

Wie ist die Betreuung der Asylbewerber durch den Caritas-Verband organisiert?

Störkle: Es geht immer über den Landes-Caritasverband, die Arbeit in den Unterkünften ist gefördert vom Freistaat Bayern. Die Regierung von Oberbayern betreibt die Unterkünfte, hat aber organisatorisch nichts mit unserer Beratung zu tun. Über eine Antragsstellung wird der Förderbescheid für jeweils ein Jahr genehmigt. Das ist gängige Asylberatungspraxis, unabhängig vom Transitzentrum.

 

In letzter Zeit ist vermehrt zu hören, dass es Konflikte in den Unterkünften gibt und die Polizei häufig dorthin ausrücken muss. Wie nehmen Sie die Situation wahr?

Störkle: Konflikte gibt es in den großen Einrichtungen meistens. Die gibt es in den dezentralen Einrichtungen auch, aber in kleinen eher weniger. Das ist mit Sicherheit auch auf die Lebensbedingungen und Wohnverhältnisse dort zurückzuführen. Es ist dort sehr beengt, die Menschen sind zu mehreren in einem Zimmer. Wir gehen nicht in die Zimmer, aber es sind im Normalfall mindestens vier Personen, meistens gleicher Nationalität. Gleiche Nationalität heißt jedoch nicht gleich, gut Freund zu sein. Die Lebensbedingungen führen zu Aggressionen und Streitereien. Diese drehen sich, wie Gespräche mit Leuten vor Ort zeigen, oft ums Essen. Aber: Sie haben keine Perspektive, sie dürfen nicht arbeiten, auch Deutschkurse müssen sie sich von dem wenigen Taschengeld selbst finanzieren. Die Kinder dürfen die ersten sechs Monate nicht in die Schule gehen - die Familien sitzen immer aufeinander. Unter diesen Bedingungen finde ich es nachvollziehbar, dass es zu Aggressionen innerhalb der Einrichtungen kommt.

 

Hat sich diese Situation verändert, seit vermehrt Nigerianer in den Transitzentren untergebracht sind?

Störkle: Das kann ich nicht beurteilen, wir sind nicht rund um die Uhr vor Ort. Viele Vorfälle sind abends und in der Nacht, es wird uns nur erzählt. Es gibt in der Bevölkerung anscheinend die Befürchtung, dass dunkelhäutige Menschen gefährlicher sind als andere, doch das halte ich für diskriminierend. Das Aussehen allein sagt noch nichts über das Verhalten aus.

 

Fühlen die Beraterinnen sich während ihrer Arbeit bedroht? Wie ist das Arbeitsklima?

Störkle: Das Arbeitsklima ist insofern schwierig, als die Situation der Menschen extrem schwierig ist, die mit einer Aussichtslosigkeit konfrontiert sind. Die Mentalität der Nigerianer spüren wir jedoch auch, die oft sehr fordernd auftreten. Das ist nichts Neues, das weiß man überall. Das sagen auch andere Afrikaner. Das ist eine reine Feststellung und nichts Diskriminierendes, das kann man erleben. Das bedeutet aber nicht, dass diese Menschen gefährlich wären. Sie haben - kulturell geprägt - eine sehr aufbrausende Art, die wir in der Arbeit erlebt haben. Wenn wir ihnen erklären, dass man hier beispielsweise größeren körperlichen Abstand hält, dann führt das sehr schnell zu einer Verhaltensänderung.

 

Was liegt Ihnen bei dem Thema am Herzen?

Störkle: Die Art der Unterbringung in einem Transitzentrum, in dem die Menschen nicht die Möglichkeit haben, an die hiesige Bevölkerung anzuknüpfen, wird genau diese Gefühle (Ängste vor Flüchtlingen, speziell vor dunkelhäutigen Menschen, Anm. d. Redaktion) verstärken. Ängste baut man nur ab, wenn man die Möglichkeit hat, in Austausch zu treten, und wenn man kulturelle Missverständnisse in Verständnis umwandeln kann. Das geht zum Beispiel über Kindergarten, Arbeit und Deutschkurse. Das dürfen diese Menschen nicht, weil es die Einrichtungsform so festlegt und die Gesetze es so regeln. Sie sind Fremdkörper, das wird verstärkt durch diese Form der Unterbringung. So werden sie auch Fremdkörper bleiben. Das wird auch die Ängste verstärken und nicht abbauen.

 

Das Gespräch führte

Julian Bird.