Ingolstadt
Leicht entflammbar

Eine Ermittlungsgruppe der Polizei soll klären, wie es zum Tumult im Transitzentrum kommen konnte

30.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:08 Uhr

Ingolstadt (DK) Nach dem Großeinsatz im Transitzentrum in Manching am Mittwoch hat die Polizei jetzt eine Ermittlungsgruppe eingesetzt. Noch ist unklar, warum es bei der Ausgabe des Taschengeldes zu der Revolte kam. Aber es gibt durchaus einige Hinweise. Frust spielt dabei eine große Rolle.

Wie berichtet, mussten sich Mitarbeiter des Landratsamtes Pfaffenhofen und der Security vor rund 100 aufgebrachten Asylbewerbern in Sicherheit bringen, die versuchten, die Türe zur Ausgabestelle aufzubrechen.17 Polizeistreifen rückten aus, um die Lage zu beruhigen. Dabei halfen acht Hundeführer mit ihren Tieren, die rein zufällig am Auwaldsee auf Fortbildung waren und kurzerhand ebenfalls zum Einsatzort gerufen wurden, berichtet Peter Heigl, der Leiter der Polizeiinspektion Ingolstadt (PI).

Was wäre passiert, wenn die Polizei nicht rechtzeitig gekommen wäre? Diese Frage lässt sich ebenso wenig klären wie die Frage, ob die Situation auch eskaliert wäre, wenn die Mitarbeiterinnen des Landratsamtes die Türen zum Büro nicht zugesperrt hätten. Wie aus dem Umfeld des Landratsamtes in Pfaffenhofen zu erfahren war, waren drei Frauen mit der Ausgabe des Taschengeldes, es handelt sich um einen Betrag von etwa 140 Euro im Monat für Erwachsene, betraut. Sie empfingen die Asylbewerber wie sonst auch in einem normalen Büro, da aber, wie jemand aus dem Umfeld der Behörde erzählt, zuletzt immer wieder "ein bisserl Gift drin" gewesen sei, wachte Sicherheitspersonal über die Ausgabe. Die wartenden Asylbewerber hätten dann immer renitenter reagiert. Respekt vor Frauen fehle vielen der Bewohner, das könne durchaus Angst einflößend sein. "Und dann haben die gesagt: ,Wir sperren zu.'" Danach habe sich die Situation aufgeschaukelt. In der Behörde vermutet man, dass sich Asylbewerber über zu wenig Geld beklagten, was gepaart mit einer generellen Unzufriedenheit mit den Umständen im Lager zur plötzlichen Eskalation geführt habe.

"Das liegt an der Aussichtslosigkeit und der Unterbringungsform", sagt Gabriele Störkle von der Caritas. Es sei kein Zufall, dass es fast gleichzeitig in einer Einrichtung in Fürstenfeldbruck zu einer ähnlichen Eskalation gekommen sei. "Auf engem Raum viele Leute, das ist ganz offensichtlich leicht entflammbar."

Für die Polizei stehen jetzt Dutzende Vernehmungen von Mitarbeitern und Sicherheitsbeamten sowie Bewohnern des Lagers, die freilich kaum Deutsch sprechen, an. PI-Chef Heigl will das Gespräch mit der Regierung von Oberbayern und dem Kreis Pfaffenhofen suchen, ob die Taschengeldausgabe im Transitzentrum eventuell anders organisiert werden sollte. Eine Überweisung des Geldes, wie es etwa bei einem Teil der Asylbewerber üblich ist, die in dezentralen Unterkünften leben, ist nicht möglich. Asylbewerber mit geringer oder keiner Bleibeperspektive können kein Konto eröffnen. In den städtischen Dependancen des Transitzentrums gebe es derzeit "wöchentlich eine kleine und monatlich eine große Auszahlung", erklärt Michael Klarner, Sprecher der Stadt Ingolstadt. Für eine Verbesserung des Verfahrens sei man grundsätzlich offen, Voraussetzung sei freilich, zu wissen, wie es in der Manchinger Kaserne zu dem gewalttätigen Tumult gekommen ist. Das interessiert auch die Regierung von Oberbayern. "Vorfälle wie diese sind immer Anlass, die Sicherheitsvorkehrungen auch zusammen mit der Polizei lagegerecht anzupassen", heißt es dazu auf DK-Anfrage. Es gehe jedoch nicht darum, "die grundsätzliche Struktur des Transitzentrums infrage zu stellen".

Mit vereinten Kräften

Einsätze im Transitzentrum und seinen Dependancen gehören längst zum Tagesgeschäft der Ingolstädter Polizei und ihrer Kollegen aus den umliegenden Dienststellen. Die Polizei hat sich für solche Einsätze intern „konzeptionell umgestellt“, sagt Peter Heigl, Leiter der Polizeiinspektion Ingolstadt (PI), ohne ins Detail gehen zu wollen. Abläufe und Zuständigkeiten während des Einsatzes sind klar definiert, um den Kollegen „Handlungssicherheit“ zu geben. „Es ist ein neues Phänomen, auf das wir uns eingestellt haben.“ Vor allem aber sei es wichtig, in angespannten Lagen Präsenz zu zeigen.

Deswegen seien am Mittwochvormittag „alle draußen gewesen, die verfügbar waren“, so Heigl. Auch, weil bei einer Alarmierung oft nicht sicher sei, was die Polizisten erwarte. „Es geht darum, möglichst schnell eine Lage zu beruhigen und Gefahren abzuwenden. Eine Streife reicht da nicht.“ Szenen wie im September sollen sich nicht wiederholen. Damals war ein einzelner Streifenwagen im Containerdorf an der Manchinger Straße von einer wütenden Menge umstellt und traktiert worden. Die angegangenen Polizisten waren gekommen, um einen Streit zu schlichten. Als sie einen der Kontrahenten in Gewahrsam nehmen wollten, eskalierte die Situation. Die Polizisten mussten sich mit Pfefferspray wehren und forderten Verstärkung an. 18 Streifen rückten aus und retteten die Kollegen aus der bedrohlichen Situation.

Eine Konsequenz dieser personalintensiven Einsätze ist, dass bei einem solchen Großeinsatz kaum mehr Polizisten für andere Aufgaben zur Verfügung stehen. Kommen etwa die Streifenkollegen aus Geisenfeld nach Manching oder Ingolstadt geeilt, sind dort keine Beamten mehr auf der Straße unterwegs. Anderenorts ist es ähnlich. Solche Situationen auszugleichen – vor allem, wenn es gleichzeitig mehrere Alarmierungen gibt – ist die Aufgabe der Einsatzzentrale. Die koordiniert die Streifen, und kann aus der Gesamtübersicht entscheiden, ob etwa Kollegen von einem Großeinsatz abgezogen werden und zu einem anderen Einsatz ausrücken können. Schließlich könnten einige Kollegen, wenn die unmittelbare Gefahr abgewendet ist, wieder abrücken, während sich die anderen um die Nacharbeit des Geschehenen kümmern, erklärt Heigl. „Wenn aber einer nach einem Verkehrsunfall bei dem es nur um einen Blechschaden geht, bei der Polizei anruft, kann er schon mal gesagt bekommen, dass es jetzt etwas dauert, bis eine Streife da ist.“

Im Frühjahr sind der PI 20 neue Stellen zugeschrieben worden. „Das war auch bitter nötig“, erklärt Heigl. Schließlich seien die Aufgaben der Polizei mit der Ankunft der Asylbewerber immens gestiegen. Nicht nur wegen der Einsätze in den Transitzentren. Heigl erinnert an die Abschiebehaftanstalt in Eichstätt. Bekommt einer der Insassen gesundheitliche Probleme und muss ins Krankenhaus, muss er dort von zwei Polizisten bewacht werden. „Die Polizeiinspektion Eichstätt schafft das alleine nicht. Wir helfen deswegen gegenseitig immer wieder aus.“ Unterstützung kommt unter anderem auch von zehn Kollegen vom Münchener Flughafen, der Bereitschaftspolizei und dem Einsatzzug des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord. „Das hilft enorm, aber wir hoffen dennoch, dass es in Sachen Personalzuwachs bei uns noch weitergeht.“