Ingolstadt
An der Haftstrafe führte nichts vorbei

Manipulierter Einsatzbericht: Polizist kommt mit Bewährung davon, muss aber Disziplinarverfahren fürchten

27.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:15 Uhr

Ort des Geschehens: Auf und am Fuße dieser Treppe zur Bahnsteigunterführung am Hauptbahnhof spielte sich die Konfrontation zwischen einem Polizeibeamten und einem Bamberger Fußballfan ab, die nun bereits zwei Gerichtsinstanzen beschäftigt hat. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und Verfolgung Unschuldiger ist ein 39-jähriger Polizist der Ingolstädter Inspektion gestern von der Berufungskammer des Landgerichts zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.

Er kam damit besser weg als in der Erstinstanz, muss aber weiterhin mit disziplinarrechtlichen Folgen rechnen.

Der Polizeihauptmeister, der seinen Beruf seit 1993 ausübt und von Vorgesetzten stets gut beurteilt wurde, war im vergangenen Herbst vom Schöffengericht noch zu einer Bewährungsstrafe von 16 Monaten verurteilt worden. Da Beamte bei Haftstrafen ab einem Jahr zwangsläufig aus dem Dienst entfernt werden müssen, hätte dieses Urteil die Existenz des Mannes erheblich angegriffen.

Allerdings war nicht nur der Polizist in die Berufung gegangen, sondern auch Staatsanwaltschaft und Nebenkläger hatten eine Neuauflage des Verfahrens vor dem Landgericht angestrebt. Das Urteil der Erstinstanz hatte zudem für erhebliches Aufsehen in Polizeikreisen gesorgt, da es in dem Prozess auch generell um die Bewertung von polizeilicher Gewalt bei Fankrawallen im Umfeld von Fußballspielen ging (DK berichtete).

Auch das neue Urteil ist noch nicht rechtskräftig; der Beamte kann noch eine Revision beim Oberlandesgericht beantragen. Er beteuerte in seinem Schlusswort nochmals seine Unschuld. „Ich wollte nie jemanden zu Unrecht verfolgen“, betonte der 39-Jährige, der mitsamt seiner Familie unter der öffentlichen Beobachtung des Falles offenbar sehr gelitten hat. Konrad Kliegl, Vorsitzender der Berufungskammer, sprach gestern in seiner Urteilsbegründung davon, dass das Verfahren die Öffentlichkeit besonders „bewegt“ habe.

Wie mehrfach ausführlich berichtet, war es am 26. Juli 2013 am Hauptbahnhof zu Konfrontationen zwischen angetrunkenen Bamberger Fußballanhängern und eilig zusammengezogenen Polizisten mehrerer Dienststellen gekommen. In seinem Einsatzbericht nach eigenem Schlagstockgebrauch behauptete der angeklagte Polizist, von seinem jungen Kontrahenten sowohl einen Tritt in den Rücken erhalten zu haben als auch mit dem abgebrochenen Hals einer Bierflasche bedroht worden zu sein. Gegen den jungen Mann war deshalb ein Verfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung eingeleitet worden. Ein später aufgetauchtes Handyvideo zeigte aber lediglich einen heftigen Schubser des Verdächtigten in den Rücken des Polizisten und dann den relativ harten Schlagstockgebrauch.

In ihren jeweils einstündigen Plädoyers gingen Verteidiger und Staatsanwalt gestern ausführlich auf die Einzelheiten aus Zeugenaussagen und Videoaufzeichnung ein. Für Rechtsanwalt Andreas Mariassy (München) steht fest, dass es seinerzeit für alle Beteiligten nur subjektive, ausschnittartige Wahrnehmungen der Abläufe gab. Sein Mandant habe bei Abfassung seines Einsatzberichtes lediglich die unter großer Aufregung abgespeicherten Erinnerungen durcheinadergebracht.

Doch so einfach kann es laut Ankläger Ingo Christ nicht gewesen sein. Er warf dem Angeklagten vor, sich sehr bewusst über die angebliche Bedrohung mit dem Flaschenhals ausgelassen zu haben, um seinen überzogenen Schlagstockgebrauch zu rechtfertigen. Durch den durch eine Lüge aufgebauschten Einsatzbericht sei ein Unschuldiger in Gefahr geraten, von der Justiz hart belangt zu werden. Ein solches Verhalten sei bei einem Polizisten untragbar, da es auch das Vertrauensverhältnis zwischen Justiz und Polizei zerstöre. Christ sprach angesichts der Tragweite des Vorfalls und der für ihn als unvermeidlich angesehenen Verurteilung von einer „schwarzen Stunde für die Ingolstädter Polizei- und Justizgeschichte“.

Die Kammer hat letztlich bei beiden Anklagepunkten minderschwere Fälle erkannt. Die ersten beiden Schläge mit dem Stock, so hieß es in der mündlichen Begründung, seien noch durch Gefahrenabwehr zu rechtfertigen gewesen, die späteren beiden und ein Stich in die Rippen des Fußballfans aber nicht mehr. Die Strafanzeige des Beamten gegen seinen Kontrahenten sei grundsätzlich wegen des Stoßes in den Rücken begründet gewesen. Der Flaschenangriff hat nach Auffassung des Gerichts aber nie stattgefunden. Kliegl: „Die Tat wurde schlimmer dargestellt als sie tatsächlich war.“

Der verurteilte Polizist muss trotz des jetzt milderen Urteils weiterhin mit disziplinarrechtlichen Konsequenzen rechnen, auf die natürlich auch viele seiner Kollegen gespannt sind. Vorsitzender Kliegl machte aber klar, dass sich die Kammer aus einer solchen Bewertung des Falles bewusst herausgehalten hat: „Es ist nicht Aufgabe der Strafjustiz, über die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst zu entscheiden.“