Ingolstadt
"82 Millionen Deutsche werden nicht mehr pauschal verdächtigt"

03.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:13 Uhr

Ingolstadt (tbk) Am Dienstag kippte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in seiner jetzigen Form. Die gesammelten Kommunikations-Verbindungsdaten müssen nun wieder gelöscht werden. Der DK hat dazu Meinungen eingeholt.

Eine der schärfsten Kritikerinnen der bisherigen Gesetzeslage war die Piratenpartei. So ist es nicht verwunderlich, wenn Benedikt Schmidt (oben), der Vorsitzende des Ingolstädter Kreisverbands, das Urteil der Karlsruher Richter für die Bürger positiv sieht: "Der Richterspruch stellt zumindest vorerst sicher, dass 82 Millionen Deutsche nicht pauschal verdächtigt werden und als potenzielle Gefährdung ihres Landes gelten." Wenn aber bestimmte Parteien und Politiker das Urteil nicht anerkennen und weiterhin ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung anstreben, müsste man als Bürger "Verfassungsfeinde" und "Staatsfeinde" neu definieren, sagt Schmidt. Den Funktionär der Piratenpartei freut, dass das Gericht sich nicht scheue, der Politik zu widersprechen: "Ich danke dem Bundesverfassungsgericht, das in den letzten fünf Jahren 14 Urteile gegen das Grundgesetz abfangen konnte."

Auch Thomas Jakobi vom Bürgernetzverein bingo ist über die Karlsruher Entscheidung erfreut: "Ich bin vom Urteil nicht überrascht. Für mich war klar, dass das Gesetz verfassungswidrig ist." Sauer stößt ihm auf, dass das Bundesverfassungsgericht nur die Methode der Datenerhebung kritisiert, jedoch nicht, dass die Daten ohne konkreten Verdacht erfasst werden können. "Ich hätte erwartet, dass das Gericht zu dem Schluss kommt, dass eine verdachtsunabhängige Datenspeicherung grundsätzlich nicht mit unserer Verfassung vereinbar ist."

Das Karlsruher Urteil ist für Jakobi (links) eine Art "Bastelanleitung" für ein neues Gesetz, das verfassungskonform ist. "Meine große Hoffnung ist, dass die EU-Justizkommissarin Viviane Reding bei der von ihr angekündigten Überprüfung der EU-Richtlinie, die die Datenspeicherung vorschreibt, zu dem Ergebnis kommt, dass sie gegen die EU-Grundrechtecharta verstößt", sagt Jakobi.

Diese positiven Meinungen über das Urteil kann Hans Süßbauer, Kreisvorsitzender der Ingolstädter CSU und Kriminalbeamter, nicht nachvollziehen. "Das Urteil mag für einen überzogenen Datenschutz, wie ihn die Piratenpartei fordert, in Ordnung sein", so Süßbauer (rechts). Für die Sicherheit und die Verbrechensbekämpfung könne das Urteil seiner Meinung nach aber zum Problem werden, wenn nicht schnellstmöglich ein neues Gesetz komme, das die Vorgaben Karlsruhes berücksichtigt. "Es ist ja nicht das Speichern der Daten verboten worden, es muss der Zugriff genau geregelt werden. Als CSU- Kreisvorsitzender fürchte ich aber, dass die Bundesjustizministerin das so lange wie möglich hinauszieht", so Süßbauer.

Auch Peter Schall, der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), kann sich nicht über das Urteil freuen. "Ich bin als Polizeibeamter und als Staatsbürger entsetzt. Uns wurde ein wichtiges Ermittlungsinstrument entzogen." Vor allem in den Bereichen Internetkriminalität und internationale Bandenkriminalität werde die Aufklärung nahezu unmöglich gemacht, argumentiert der Gewerkschaftsvertreter. "Im Bereich der organisierten Kriminalität hatten wir einmal einen Fall, in dem eine Bande hochwertige Baumaschinen gestohlen und ins Ausland verschoben hat. Auf die Täter sind wir nur durch die Verbindungsdaten gekommen." Für den Polizisten bedeutet das Karlsruher Urteil einen Rückschritt in die Zeit vor 20 Jahren. Damals konnten derartige Verbrechen nur durch aufwendige Maßnahmen aufgeklärt werden, so Schall (unten). Mittlerweile sei aber die Verfolgung der internationalen organisierten Kriminalität durch die Öffnung der Grenzen noch viel schwieriger geworden. "Ich verstehe den Jubel der Justizministerin nicht. Wir brauchen dringend ein neues Gesetz, das die Vorgaben des Gerichts erfüllt, damit uns dieses wichtige Ermittlungsinstrument wieder zur Verfügung steht."