Ingolstadt
37 Minuten gegen den Hass

Angesichts der Demagogie im Internet ruft OB Christian Lösel zu Vernunft und Zusammenhalt auf

01.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

Klare Worte über "Hetz-Kampagnen" und "geistige Brandstifter" im Internet: OB Christian Lösel (r., neben Bürgermeister Albert Wittmann) forderte gestern mehr Vernunft im politischen Diskurs. - Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) In diesen aufgewühlten Zeiten Ruhe bewahren, zusammenhalten und dem Hass im Internet Fakten und Vernunft entgegensetzen - so lautete die Kernbotschaft der Haushaltsrede von OB Christian Lösel (CSU) gestern in der Stadtrats-Vollversammlung.

In den frühen Tagen der sozialen Netzwerke war Christian Lösel ganz vorn dabei. Ein Power-User, wie man im Fachjargon sagt. Um (fast) kein Posting verlegen, vom Geist der modernen Zeit beseelt. Das hat sich deutlich geändert. Der Oberbürgermeister nutzt die sogenannten sozialen Medien im Netz zwar immer noch - maßvoll -, aber seine Euphorie ist längst offline. Der über Facebook und Twitter gnaden- wie hemmungslos in die Welt gejagte Hass, das verhängnisvolle Halbwissen, die kalkulierten Lügen - all diese Nachtseiten der grenzenlosen Kommunikationsgesellschaft und die fatalen Konsequenzen für die Meinungsbildung im politischen Diskurs lassen (nicht nur) Lösel frösteln. Und deshalb stellte er gestern eine wortgewaltige Abrechnung mit allen InternetDemagogen ins Zentrum seiner Haushaltsrede.

Einen düsteren Stimmungshintergrund malte er mit Zitaten von Wolfgang Schäuble: "Demagogischer Populismus ist nicht nur ein Problem Amerikas. Auch anderswo sind die politischen Debatten in einem besorgniserregenden Zustand", so der Bundesfinanzminister. Lösel stellte klar, "dass damit nicht die Debatten in unserem Stadtrat gemeint sind", obwohl sich "auch der Ton in Ingolstadt verschärft hat". Denn die "lauten und gelegentlich auch aggressiven Aussagen auch hier in diesem Plenum waren nicht immer ein Aushängeschild für ,unser Parlament'". Lösel hob aber ausdrücklich hervor, "dass wir uns in der überwiegenden Zahl aller Fragen, wie wir unsere Stadt voranbringen, einig sind". Auf diesem vernunftorientierten Grundkonsens - wider alle Lügen und Gemeinheiten im Internet - müsse man aufbauen. Darauf zielt der Titel der 37-minütigen (von Karl Ettinger gestoppten) Rede: "Zusammenhalt der Bürgerschaft".

Lösel zitierte erneut Schäuble, der von "neuen Meinungsblasen" im Netz sprach, "die oft genug abgekoppelt sind von der Wirklichkeit" und "für Demagogen Nährboden und Spielwiese sind". Es sei völlig egal, "ob Behauptungen wahr sind - Hauptsache, der Empörungsgrad stimmt". Die Feststellung des Ministers sollte auch "alle hier in Ingolstadt nachdenklich stimmen", so der OB. "Auch in unserem Umfeld gab es Aussagen, Anfeindungen, Unterstellungen, Rügen oder Schlimmeres." Wiederholt habe er "Hetz-Kampagnen" in sozialen Medien angeprangert. Es schade dem Zusammenhalt der Bürger, wenn "das eine gegen das andere ausgespielt wird", und Leute auf Facebook sagen: "Wie könnt ihr nur ein Theater sanieren, denn wir brauchen doch kostenlose Kitas!" So löse man keine Probleme.

Lösel weiter: "Ganz perfide ist - und damit bin ich bei den schäbigsten Aussagen in Facebook -, wenn jemand sagt: ,Ein Flüchtlingskind bekommt x Euro im Monat, ein deutsches Kind bekommt aber nur y Euro' - und dabei falsche Zahlen nennt. Das sind geistige Brandstifter! So argumentieren nur Leute, die nur Schwarz oder Weiß kennen", donnerte Lösel. "Das sind Leute, die das eine gegen das andere ausspielen und sich am Schluss wundern, warum die Gesellschaft holpert und es in solch einem Umfeld schließlich nicht gelingt, weder das eine noch das andere zu verwirklichen." Da gab es den ersten Zwischenapplaus - initiiert von Oppositionsseite.

Schlüsselbegriffe wie "Ruhe, Vernunft, Verantwortung, Souveränität und Zusammenhalt" in diesen aufgewühlten Zeiten zogen sich wie ein roter Faden durch Lösels Rede. Ingolstadt habe die Flüchtlingskrise "besser, ruhiger und souveräner bewältigt als andere Städte - wir haben ein Beispiel gegeben, wie man in aller Sachlichkeit, im Respekt für die Würde des Menschen eine Herausforderung meistert". In Ingolstadt habe es "gottlob keine Brandanschläge gegeben".

Unter dem Eindruck der VW-Krise nun Panik zu verbreiten, sei völlig unangemessen und kontraproduktiv. "Die ruhige und kräftige Hand ist das Symbol, das hier am besten passt!" Vergleiche mit der heruntergekommenen Ex-Autometropole Detroit seien "nur Angstmacherei". Trotz der "erheblichen städtischen Haushaltsprobleme" gab es in Ingolstadt "keine Bäderschließungen oder Wiederbesetzungssperren" für Stellen. Er denke auch gar nicht daran, die kommunalen Steuern zu erhöhen, betonte Lösel.

Ingolstadt sei eine sehr soziale Stadt mit großzügigem Kita-Angebot (samt zufriedenen Eltern), einem kraftvollen kommunalen Wohnungsbau und starker kultureller Substanz, so Lösel. "Das Bemühen um die bestmögliche Entwicklung unserer Heimatstadt ist jede noch so intensive, jede noch so kontroverse Diskussion wert - aber bitte ohne Schärfe!"

Mit diesen Worten schloss der Oberbürgermeister. Die Debatte war eröffnet. Und sie verlief tatsächlich friedlicher als sonst.