Ingolstadt
In der Welt des Schmerzes

Von gesundheitsfördernd bis gruselig: Medizinhistorisches Museum öffnet erstmals Depots für Besucher

21.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:16 Uhr
Besuch an einem sonst abgeschiedenen Ort: Alois Unterkircher (l.), Leiter der Sammlung des Deutschen Medizinhistorischen Museums, führte gestern erstmals durch das Depot im einstigen Autohaus Stock. Hier lagern historische medizinische Geräte en masse, darunter ein Pedoskop, mit dem man früher in Schuhgeschäften Röntgenbilder der Füße anfertigte. Auch Büsten bedeutender Ärzte ruhen in den Regalen. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Allein schon der Anblick tut weh: Die Bohrer haben den von Zahnschmerzen geplagten Vorkriegsgenerationen hart zugesetzt.

Ein Speibecken mit brauner Spülvorrichtung komplettiert das dentale Ensemble. Das Zahnarztpraxisinventar der Marke "Tri-Dent" stammt von der Firma Ritter Dental, die der Deutsche Frank Ritter 1897 in New York gegründet hat. Ringsum stehen weitere alte Behandlungsstühle, ebenfalls nicht sehr anheimelnd. Ein Relikt aus der schmerzensreichen Geschichte der Zahnmedizin, dessen Einsatz sich viele gleichwohl nur mit verzerrtem Gesicht vorstellen, ist in den Tiefen des Depots verborgen: Ein Tretbohrer, den der Arzt mit dem Fuß zum Rotieren bringen musste. "Den haben wir irgendwo da hinten", sagt Alois Unterkircher, Volkskundler im Dienst des Deutschen Medizinhistorischen Museums und Leiter der umfangreichen, beeindruckenden Sammlung des Hauses.

Aber was die Besucher im Depot des Museums an der Stauffenbergstraße (im ehemaligen Autohaus Stock) zu sehen bekommen, ist auch so schon gruselig genug. Hier lagern systematisch sortiert Krankenhaustechnik, betagtes Lehrmaterial und ärztliches Werkzeug aus mehr als 100 Jahren Medizingeschichte. Etwa rollbare Röntgengeräte aus den 1920ern bis 1950ern, ein metallenes Blutdruckmessgerät, das mit den dicken Schläuchen ehrfurchtgebietend anmutet, Eiserne Lungen zur Bekämpfung von Atemlähmung (eine für Erwachsene, eine für Kinder), Sterilisatoren aller Art, Softlaser aus der Steinzeit der Strahlentherapie, dazu hohe Regale voller Prothesen, Krücken, Mikroskope und weiteren medizinischen Geräten. Die Objekte erzählen viel von menschlichen Schicksalen. Von Schmerzen, Furcht und Hoffen, von Genesung und den Grenzen der ärztlichen Heilkunst. "Der Kontext der Stücke ist sehr wichtig", erklärt Unterkircher den rund 20 Teilnehmern der Premierenführung im Depot. Es war gestern erstmals für die Öffentlichkeit zugänglich. Es gehört zu den Aufgaben eines Kustoden (wie Sammlungsleiter im Fachjargon heißen), die Objekte nicht nur schonend zu konservieren, sondern auch für die Forschung zu erschließen. "Ich muss ein Ordnungssystem schaffen, das alle meine Nachfolger verstehen", sagt Unterkircher. Der Tiroler ist seit 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums und intensiv damit befasst, das Depot an der Stauffenbergstraße (eines von mehreren) neu zu ordnen. "Es ist viel Pflege notwendig, denn die Geräte sollen in 200 Jahren ja noch genauso aussehen wie heute. " Kustoden denken in besonders langen Zeiträumen.

In den Depots lagern 90 bis 95 Prozent des Museumsbestands. Nach der Sanierung der Alten Anatomie entsteht die neue Dauerausstellung. Museumsdirektorin Marion Ruisinger und ihr Team haben beschlossen, Führungen in den Depots anzubieten, um zu erklären, was dort alles geschieht und wie wichtig diese Arbeit ist. "Investitionen in Depots lohnen sich! ", betont Unterkircher. Denn hier schlage "das Herz des Museums". Unterkircher zeigt den Gästen auch zwei Geräte, die belegen, dass sich Gesundheitswesen und Geschäftswelt einst näherstanden, als man ahnt. Das Therapiegerät für "Reizstrombehandlung" bis 220 Volt wurde früher gern in Friseursalons zur Massage der Kunden eingesetzt. Und in Schuhgeschäften standen Pedoskope. Mit denen konnte man Röntgenbilder der Füße anfertigen - für perfekte Passgenauigkeit. "Heute wäre das wegen der Strahlenbelastung völlig undenkbar! "

Eines des jüngsten Objekte im Depot ist der erste OP-Roboter, der im Klinikum Ingolstadt zur Anwendung kam. Baujahr 2009. Und schon museumsreif. So schnell eilt sie also voran, die Geschichte der Forschung und der medizinischen Technik. Am heutigen Donnerstag, 22. August, führt Museumsleiterin Marion Ruisinger ab 15 Uhr durch das Depot an der Anatomiestraße 18. Anmeldungen an der Museumskasse, unter (0841) 305-2860 oder per E-Mail: dmm-kasse@ingolstadt. de.

Christian Silvester