In
Eine halbe Sache

Während in Aldersbach die Landesausstellung "Bier in Bayern" mit Rekordbesuch zu Ende ging, plätschert das einmalige Jubiläum "500 Jahre Reinheitsgebot" am Verkündungsort in Ingolstadt sang- und klanglos aus. Ein Meinungsbeitrag.

04.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:05 Uhr

Ingolstadt (DK) Während in Aldersbach die Landesausstellung „Bier in Bayern“ mit Rekordbesuch zu Ende ging, plätschert das einmalige Jubiläum „500 Jahre Reinheitsgebot“ am Verkündungsort in Ingolstadt sang- und klanglos aus. Ein Meinungsbeitrag.

In Aldersbach gibt es einen Edeka, einen Friseursalon, ein inhabergeführtes Elektrofachgeschäft, einen Warenhandel, mehrere Handwerksbetriebe, ein Gewerbegebiet mit dem Schwerpunkt Industrietechnik, ein Kloster, eine Brauerei, aber keinen Bahnhof. Dafür drei Bushäusl. Die Gemeinde ist mit ihren 4500 Einwohnern etwa so groß wie Wettstetten. Am vergangenen Sonntag endete in Aldersbach die Landesausstellung "Bier in Bayern." 170 000 Menschen haben sie gesehen. Dazu kamen 60 000 Besucher des Begleitprogramms. Macht zusammen 230 000 Gäste. 230 000 Besucher! In Aldersbach! Irgendwo in der Tiefe Niederbayerns; beeindruckend, wie sehr Bier bewegen kann.

Dieser Erfolg sei ihnen vergönnt. Gut, als gütige Schanzer sehen wir mal darüber hinweg, dass in der Landesausstellung - wie uns berichtet wird - die Stadt Ingolstadt, in der das Reinheitsgebot für Bier 1516 verordnet wurde (nicht verkündet, um es mal ganz nüchtern-korrekt zu sagen) mit keinem Wort erwähnt wird. Die Ingolstädter brauchen wirklich nicht (mehr) damit zu hadern, die historisch-kritische Biershow zum 500. Jubiläum des Reinheitsgebots nicht bekommen zu haben. Die Landesausstellung "Napoleon und Bayern" vor einem Jahr war mit 150 000 Besuchern auch ein immenser Erfolg, der Ingolstadts Bekanntheit gesteigert hat.

Aber das eine schließt das andere ja nicht aus. Es bedarf keiner staatlichen Landesausstellung, um ein aufsehenerregendes Bierspektakel aufzuziehen. Denn das hätten die Ingolstädter heuer zeigen können. Aber was dabei herausgekommen ist, hat - das muss man sagen - recht selten zu schäumender Begeisterung geführt. Was Aldersbach kann, zu dem müsste Ingolstadt doch eigentlich auch fähig sein. Zumal man sich auf Bierfesten nicht an trockenen Texttafeln entlanglesen muss, sondern gleich zur Sache kommen darf. Zum Ausschank.

Ingolstadt hätte in diesem einmaligen Jubiläumsjahr die Hauptstadt des Bieres werden können. Aber diese Chance wurde vertan. 230 000 Besucher! Allein in Aldersbach! Und das ohne Bahnhof.

Dem Ingolstädter Festreigen dagegen gebrach es an Krachern. Dafür musste das Kulturamt quasi jedes Bierfilzl aufführen, um das Jubiläumsprogramm opulent aussehen zu lassen. So schaffte es sogar eine Freilichtvorführung des Films "Wer früher stirbt, ist länger tot" auf den offiziellen Spielplan, wohl nur, weil da in der ersten Szene kurz ein Bierlaster vorkommt. Der Umzug zum zentralen Fest des Reinen Bieres im April dauerte keine zweieinhalb Minuten. Dann war die Schar der Mittelaltermimen im Schall des üblichen Schalmeien- und Dudelsackgetrötes schon wieder an den Zuschauern vorbeimarschiert. Trachtengruppen und Blaskapellen waren im Konzept nicht vorgesehen. Dabei hätte gerade ein effektvoll zelebrierter Kult um das Bier, verbunden mit dem geballten folkloristischen Repertoire, das Bilderbuchbayern hergibt, die Inszenierung eines rauschenden Festreigens ermöglicht, der die Massen begeistert und Ingolstadts Popularität weit über die Landesgrenzen hinaus nährt; ganz abgesehen davon ist es auch historisch unsinnig, die Verkündung des Reinheitsgebots 1516 als reines Mittelalterfest zu begehen, schließlich erzählt der Erlass dieses Lebensmittelgesetzes doch gerade vom Ende des Mittelalters, von der Ausformung eines regulierenden frühneuzeitlichen Verwaltungsstaats. Klar, ein Bierfest sollte kein akademisches Oberseminar sein. Aber wenn alle mitmachen dürfen, die gerne in Festgewändern defilieren, und nicht nur Mittelalterdarsteller, wird es einfach lustiger.

Eine öffentlichkeitswirksame Präsentation als Hauptstadt des Bieres - und dabei darf man gerne dick auftragen, denn es geht ja um Unterhaltung - hätte die Schanz auf die ganz große Bühne der Aufmerksamkeit katapultiert. Und so freute man sich schon darüber, dass mal das ZDF aus Ingolstadt sendete, was aber eher dem Besuch der Kanzlerin geschuldet war, die auf Einladung der Brauerlobby hier weilte. Hier wurde die ökonomisch überaus lohnenswerte Chance vertan, Ingolstadt im Städtetourismus dauerhaft auf einen höheren Level zu heben. Ein kleines Extrastandbein schadet nie, gerade, wenn der Automobilfuß zittert; doch dieser Zusammenhang hat sich der Stadtführung vielleicht immer noch nicht erschlossen, man denke nur an den traurigen Etat der städtischen Tourismusgesellschaft, die trotzdem tut, was sie kann.

Was kam heuer noch? Das anfangs verregnete Zam-Fest zwischen Kreuztor und Schloss im Juni. Ein Mini-Bürgerfest, nett, aber schon recht sparsam. Immerhin kann man dem Kulturamt kaum vorwerfen, nicht auch mal Kühnes wagen zu wollen. Doch aus der ursprünglich angekündigten längsten Biertischgarnitur in der Fußgängerzone wurde als Glanzlicht des Zam-Fests ein komödiantisch bespielter WC-Bus.

Der sehenswerte, aus Anlass des Jubiläums verlängerte Festzug zum Herbstvolksfest hat aber gezeigt, zu welcher Prachtentfaltung die Vereine fähig sind. Man muss sie nur lassen. Man denke sogar an 2006 zurück, als ganz Ingolstadt zum Stadtjubiläum einen beeindruckenden und live im Fernsehen gesendeten Festzug auf die Beine stellte. Heuer aber blieb die Mattscheibe dunkel.

Und nach dem (Standard-) Herbstfest perlte jetzt fast nichts mehr, das irgendwie mit dem Jubiläum zu tun hat. Von einer Stadt, deren Geschichte mit dem Reinheitsgebot gesegnet ist, einem Marketingwunder, nach dem sich andere Städte die Finger abschlecken würden, weil es von Bierfreunden in aller Welt geradezu verklärt wird, müsste man eigentlich mehr erwarten. Wie sagt Ehrenbürger Hermann Regensburger immer so beharrlich, wenn mal wieder jemand an Ingolstädter Freizeitattraktionen herummäkelt? "Besser als nix!" - Doch darf "nix" für eine gesegnete Stadt wie Ingolstadt wirklich der Maßstab sein?

Hier ergeht kein Ruf nach mehr staatlich subventionierter Spaßkultur. Heuer ging es um das fast unbezahlbare Potenzial des Kults um das Reinheitsgebot und eine einmalige Chance. Wirte und Veranstalter könnten damit eine Menge Geld verdienen. Doch die Initiative der Ingolstädter insgesamt blieb im Jubiläumsjahr dürftig. Da kann sich auch die Privatwirtschaft nicht ausklammern lassen. Gerade so, als hätten alle sauer Bier anpreisen müssen. Gäbe es nicht die unermüdlichen Reinheitsgebots-Verkünder Oswin Dotzauer (Herzog Wilhelm), Michael Klarner und Nick Gohlke (die ihre Auftritte gewerbsmäßig betreiben), die Würdigung des weltberühmten Gesetzes in der Stadt seines Ursprungs hätte einen ähnlichen Charme entwickelt wie ein Volksfest, auf dem das Bier ausgeht. Und auch hier zeigte sich: ein Umhang, eine Papierrolle und etwas Schauspielerei - über Wochen waren die Herren überall ausgebucht. Gedanken daran fördern die Frage: Was wäre hier alles möglich gewesen?

Denn was war noch? Der Bierbrunnen am Georgianum. Man darf ihn auch spießig finden, wie er mit seinen sich fröhlich zuprostenden Zechern altdeutscher Gemütlichkeit huldigt. Hermann Regensburger würde wohl sagen: "Besser als nix." Man könnte aber auch schließen: Ganz Ingolstadt hat die historische Chance vertan.