Im Land, wo die Kanonen blitzen

06.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:42 Uhr

So kamen sie einst daher, die Pappenheimer Kürassiere. Florian und Julia Regler aus Ingolstadt können die düsteren Harnische nicht mehr erschrecken.

Ingolstadt (DK) „24 Stunden in Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute ist von 9 bis 10 Uhr das Armeemuseum dran.

Die Harnische der Pappenheimer Kürassiere stehen in der Mitte wie eine kleine Terrakottaarmee, nur aus Blech. Unwirklich, fast unheimlich. Die Hellebarden an der Wand, die Kanone, die Lanzen gewinnen im Zwielicht an Bedrohung. Die Farbe des Raumes, in dem sich die Geschichte ballt, erscheint grau – in unendlichen Schattierungen.

Das Armeemuseum im Neuen Schloss ist an diesem Vormittag in den Ferien einer der ruhigsten Orte der Stadt. Wer einsam unter den mächtigen Gewölben wandelt, einzig vom Knarzen der Dielen begleitet, kann eine meditative Reise in die Historie erleben. Eine Welt, in der Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen. Ein Ort, an dem die Zeit still steht.

Nach und nach wird es licht. In den Schaukästen springen die Strahler an. Elisabeth Dotzauer schiebt die Vorhänge zur Seite und reißt die Fenster auf. Der weiße Stoff beginnt zu flattern. Saal für Saal, Kammer für Kammer, Kemenate für Kemenate schalten die Aufseher die Lampen an. Der stilisierte Halbmond über dem Türkenzelt im Tanzhaus schimmert matt. Die Sonne rückt in die Gewölbe vor. In der Silberkammer leuchten nur die Vitrinen voller Steinschlosspistolen. Mit einer schoss Johann Jacob Kuchenreuter aus Regensburg Mitte des 18. Jahrhunderts.

Sie sind meist zu fünft, erzählt Elisabeth Dotzauer vom Aufsichtsteam. Plus Kasse. Mit dem Wischmob fährt sie über die Vitrine, die das Modell einer königlich-bayerischen Geschützgießerei birgt. Sie hat ein paar Tapper auf dem Glas entdeckt. "Bei so was bessern wir immer nach." Sonst hält sich die Arbeit in Grenzen. Noch eine Woche zuvor, als Heerscharen von Schülern durchs Haus preschten, hätten die Aufseher ganz schön wachsam sein müssen, erzählt Elisabeth Dotzauer. "Manche Kinder sind ein bisschen unvernünftig."

Ihr Lieblingsexponat ist das Gemälde mit König Ludwig II., der in Öl neben seinem Opa hängt: Ludwig I. Beide schmücken das Treppenhaus zwischen Erdgeschoss und erstem Stock. Bis halb zehn defilieren zwei Besucher an den Bayernkönigen vorbei: eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter.

In der unteren Kapelle flüstern sie andächtig, obwohl sie allein sind. Die Partisanen genannten Lanzen aus Würzburg, Erstschliff 1729, samt "Umkleidung für Trauerfeierlichkeiten", wie ein kleines Schild verrät, irritiert sie. "Hast Recht, so was passt eigentlich in keine Kirche", raunt die Mutter. Sie schlendern davon. Vorbei an einer posamentenbesetzten Kinderuniform samt fast echtem, bajonettbestücktem Spielzeuggewehr. Damit wurde Otto, der zweite Sohn Ludwigs I. und spätere König Griechenlands, für das Regentenleben gedrillt. In der Oberen Tafelstube reiht sich Waffenrock an Waffenrock. Die beiden Damen durchmessen die Gefechtsmodenschau im Sturmschritt. Auch die mit der Gala-Uniform eines königlich-bayerischen Leibgardisten und hüfthohen Stiefeln gewandete Schaufensterpuppe lassen sie links stehen.

Die folgenden Besucher gehen gemächlicher. Konrad Regler schlendert nicht, er schreitet. Der Altlandrat von Eichstätt, dem Kritiker einst einen ausgeprägten Hang zum Herrschaftlichen nachsagten, begleitet seine Enkelkinder Julia (6) und Florian (8). Den Fahnensaal kennt er noch gut. Hier hat er in offizieller Funktion manchen Festakt erlebt. "Meistens was mit der Bundeswehr."

Das Eichstätter Pendant zu dem spätmittelalterlichen Saal, den Spiegelsaal der Residenz, findet Regler freilich prunkvoller. "Barock ist freudiger, macht mehr Stimmung!" Während die Enkel Rüstungen bewundern, zückt der 77-Jährige den Ferienpass des Stadtjugendrings Ingolstadt und geht sein weiteres Programm durch.

An der Kasse begrüßen Martin Brandl und Hermine Pieldner gut gelaunt die Besucher. Vor und hinter ihnen liegen Militaria aller Art. Die Kiste mit der Schallplatte "Historische Armee-Märsche, Folge 50" ist fast voll. "Heute hat ja kaum einer mehr einen Plattenspieler", erzählt Brandl. "Aber die Zinnfiguren gehen gut. Die sind ja auch wunderschön."

Nostalgiker erleben hier eine Zeitreise. Seit den 60er Jahren hat sich im Museum nicht viel verändert. Die Beschriftungen sehen aus wie mit der Maschine getippt. Die Hinweise "Bitte nichts berühren" sind überall auf die Wand gemalt, wirken, als habe sie einst der Baumeister eigenhändig aufgetragen.

Kindern gefällt es dennoch. Von einem selbst erzeugten Blitzlichtgewitter begleitet, läuft kurz vor zehn ein Dutzend Buben und Mädchen herum – Ministranten aus Freising. In der Unteren Tafelstube dämmert ihre Betreuerin fast ein. Der großformatige Kurfürst Ferdinand Maria blickt hochmütig über sie hinweg. Nebenan, wo einst Ingolstadts Herzog nächtigte, tippen drei Ministranten munter SMS. Das altehrwürdige Neue Schloss prunkt mit prächtigem Mobilfunkempfang. Wer hätte das gedacht.