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Wenn Kinder mitbestimmen dürfen

13.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:49 Uhr

Die Schüler wünschten sich eine "Silberdrachenwelt": metallene Sitzbänke und Leuchtelemente in der Erika-Mann-Grundschule in Berlin. - Foto: Die Baupiloten

Kinder sollen mitreden, mitgestalten dürfen, wenn es um ihre Belange geht. Was muss eine Schule bieten, was ein Spielplatz - und wo besteht Nachholbedarf? Ein Gespräch mit dem Architekten Nils Ruf, der den Workshop zur Ingolstädter Kinderstadt geleitet hat.

Herr Ruf, was macht eine kindgerechte Stadt aus?

Nils Ruf: Eine kindgerechte Stadt bedeutet, dass Kinder sich die Stadt aneignen können, Teilhabe bekommen. Es geht um die Frage, was kann das Kind in seiner Umgebung sehen, lesen, welche Piktogramme versteht es. Und ist alles Wichtige auf Augenhöhe? Kann ein Kind zum Beispiel einen Bus benutzen, erkennt es, in welche Richtung er fährt? Teilhabe heißt allerdings auch, dass Kinder mitgestalten sollen und dürfen. Da stellt sich dann die spannende Frage, wie das funktionieren kann, und was vom Gesetzgeber überhaupt vorgesehen ist.

 

Was ist denn in Deutschland möglich?

Ruf: Eigentlich relativ wenig. Am häufigsten werden Kinder in die Planung einbezogen, wenn es um eine Spielplatzgestaltung geht. Mit viel Glück, Eigeninitiative und Druck von vielen Seiten ist es vielleicht möglich, einen kleinen partizipatorischen Prozess zu starten und Kinder zu befragen: Was wünscht ihr euch, was braucht ihr? Um dann tatsächlich auch die öffentlichen Gelder zu bekommen und das umsetzen zu können. Wenn dies funktioniert, ist es ein Glücksfall, denn das Recht auf eine Beteiligung von Kindern ist in dieser Form nicht gesetzlich verankert.

 

Erwachsene und Kinder haben sicher eine unterschiedliche Ansicht davon, was kindgerecht ist. Wie werden Kinder denn miteinbezogen?

Ruf: Für die Umsetzung einer Idee ist es wahnsinnig wichtig, die Nutzer an Bord zu holen, also das Projekt gemeinsam mit den Kindern zu entwickeln. Denn wir sprechen von Atmosphären, von Raumqualitäten, von Wunschorten. Wir müssen fragen, wie sich die Kinder den Raum vorstellen. Soll er hoch oder niedrig sein, soll es Rückzugs- und Entspannungsbereiche geben, soll es dort kühl oder warm sein? Daraus entwickeln wir in Workshops mit den Kindern Modelle, die dann in unsere Planung miteinfließen. Wir schaffen so eine gemeinsame Grundlage.

 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ruf: Ja, wir haben zum Beispiel mit deutschen und ägyptischen Studierenden sowie Kindern einer öffentlichen Grundschule und einer Privatschule einen Spielplatz in Kairo gestaltet. Die Kinder haben Collagen auf Basis ihrer Traumwelt gebaut, die Studierenden haben den Input der Kinder zu einem architektonischen Entwurf verdichtet, beziehungsweise übersetzt.

 

Wie groß ist die Diskrepanz zwischen dem, was die Kinder sich wünschen, und dem, was Sie dann verwirklichen können?

Ruf: Eigentlich nicht sehr groß. Ich bin selbst immer wieder überrascht. Bei dem Spielplatz zum Beispiel sollten sie sich eine Welt ausdenken - egal wo, auch im Weltraum, auf einer Insel oder unter Wasser. Ein Raum, in dem jede Menge los ist, wo man spielen, sich mit Freunden treffen, sich aber auch zurückziehen kann. Die Kinder sollten ein Modell auf Grundlage ihrer Traumwelt erschaffen. Die Ergebnisse, also ihre Geschichten, haben sie uns dann präsentiert.

 

Wie sah der Spielplatz letztlich aus?

Ruf: Die Geschichten aus Kairo waren ähnlich wie Geschichten aus Berlin oder Wolfsburg. Es war für uns sehr faszinierend zu sehen, dass unsere Methode auch in einem anderen kulturellen Kontext funktioniert. Rausgekommen ist - mit sehr einfachen Materialien - ein Spielplatz mit Möglichkeiten zum Hüpfen, Kriechen, Klettern, Verstecken, ein Ort mit Versammlungsplätzen und Höhenunterschieden. Ein Spielplatz mit differenziertem Raumerleben eben. Wir haben ihn innerhalb von zehn Tagen geplant und gebaut - und es ist toll, wie gut er angenommen wurde.

 

Hätte das in Deutschland auch so funktioniert?

Ruf: In Deutschland haben wir bislang noch keinen Außenraum einer Schule gemacht, aber bei den Ideen und Wünschen der Kinder bestehen wenige Unterschiede. Und häufig gibt es bei Projekten in Deutschland ähnliche Vorstellungen und auch Fördermittel. Doch die Vergabekriterien sind kompliziert und sehr zeitaufwendig. Das macht es bisweilen mühsam.

 

Was sind denn die typischen Anforderungen in Deutschland?

Ruf: Ich war gerade in einer Mittelschule. Da ging es darum, mehr zu haben als nur Klassenzimmer. Die Flure sollten ins Raumkonzept eingebunden werden, es sollte wohnlicher werden und mehr Licht bekommen. Das sind so die typischen Anforderungen.

 

In welchen Bereichen unterscheiden sich die Wünsche von Kindern von denen eines Erwachsenen?

Ruf: Kinder haben eine Idee und brauchen Unterstützung von Experten. Doch die Umsetzung muss bei ihnen ziemlich schnell erfolgen, denn sonst ist es schwierig, da schon die nächste Idee da ist. Ich plädiere für Spontanität.

 

Wie ist es denn bei Kindolstadt, der Ingolstädter Kinderstadt, gelaufen?

Ruf: Bei der Kinderstadt ist es bislang wunderbar gelaufen. Es gab einen transparenten und demokratischen Prozess, es gab die Möglichkeit, in den Ferien Workshops zu besuchen, das Theater hat das toll mitgetragen. Es sind Menschen am Werk, denen das Thema sehr am Herzen liegt.

 

Werden Kinder ernst genug genommen?

Ruf: Ich würde sagen, ja, denn es ändert sich was. Partizipation ist seit einiger Zeit ein wichtiges Thema. Allerdings sehe ich gerade bei Schulen Handlungsbedarf. Es gibt viele alte Bestandsgebäude, die den Anforderungen einer modernen Pädagogik nicht genügen. Da würde ich mir mehr Rückhalt in der Organisation wünschen. Zum Beispiel sollte man nach der Sinnhaftigkeit bei Brandschutzbestimmungen fragen und nicht panikartig das Argument Sicherheit bemühen. Das nämlich ist ein großer Hemmschuh in der Praxis.

 

Was wäre Ihr Wunsch?

Ruf: Grundsätzlich würde ich mir eine Kultur des Miteinandersprechens und Miteinanderentscheidens wünschen. Und ausreichend Förderprogramme - im günstigsten Falle in Finanzautonomie der einzelnen Schulen.

 

Was muss eine kindgerechte Umgebung bieten?

Ruf: Das ist schwierig zu beantworten. Denn da gelangen wir schnell zu der Frage: Wie wollen wir künftig leben? Für Kinder stelle ich es mir zum Beispiel schön vor, in einer generationenübergreifenden Nachbarschaft zu wohnen. So ist immer jemand da, wenn das Kind von der Schule kommt. Aber man muss auch sehen, dass die Schule inzwischen zum zweiten Lebensmittelpunkt für die Kleinen geworden ist, da sie viele, viele Stunden dort verbringen. Von daher ist Schule wahnsinnig wichtig geworden.

 

Was muss also eine Schule bieten?

Ruf: Eine Schule braucht viele unterschiedliche Bereiche. Neben den Klassenzimmern braucht sie Rückzugsbereiche, aber auch ausreichend Platz für Bewegung - also Schaukeln, Fußballflächen und so weiter. Da gibt es noch viel Arbeit.

 

Das Interview führte

Sandra Mönius.