Ingolstadt
Die letzte Chance: Grabungen in der industriellen Keimzelle

16.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:56 Uhr

Ingolstadt (hl) Es ist ein Fleck, an dem die Stadtgeschichte gebündelt wurde, wie kaum anderswo: Auf dem Gießereigelände östlich des Neuen Schlosses liegen Teile der alten Befestigungsanlagen aus dem 16. und 17. Jahrhundert unter solchen der neuen Landesfestung aus dem 19. Jahrhundert - und zugleich war hier vor rund 150 Jahren die Wiege der Ingolstädter Industrie. Mit den damals entstandenen Rüstungsbetrieben kam nicht nur Know-how zur Metallbearbeitung in die Garnisonsstadt, sondern es wurden auch Strukturen und Gebäude geschaffen, die viel später, nach dem Zweiten Weltkrieg, dann von der aus Mitteldeutschland übergesiedelten Auto Union genutzt wurden.

Bald wird mit dem Boden der Gießereihalle an der Esplanade, der für das neue Kunstmuseum bis zu sieben Meter tief ausgeschachtet werden muss, wieder ein Stück dieser industriellen Keimzelle der Stadt verschwinden - unwiederbringlich. Die Archäologen, die hier bereits seit geraumer Zeit den Untergrund vor der Halle sondiert haben und nunmehr den Hallenboden selbst unter die Lupe nehmen, haben nur diese eine Chance, ein wichtiges Stück Stadtgeschichte zu explorieren. "Wir werden viel erfahren", sagt Stadtarchäologe Gerd Riedel - "und danach wird alles weg sein."

Riedel spricht von Ziegelstrukturen, die schon nach wenigen Stichen im Boden der Halle sichtbar geworden sind, von Kanälen und Gängen, die die Versorgungsebene der damaligen Geschützgießerei ausgemacht haben. Das sei eben "keine langweilige Betonplatte" wie in vielen moderneren Industriebauten. Im Boden dieses zentralen bayerischen Rüstungsbetriebs sei damals eben schon eine gewisse Technik eingebaut worden, die heute noch in Rudimenten zu finden sei.

Leider, so Gerd Riedel, können sich die Wissenschaftler bei ihren Grabungen nicht an sicher mal vorhandenem Planmaterial orientieren. Das liege möglicherweise irgendwo im bayerischen Kriegsarchiv, vielleicht auch völlig vergessen im Archiv der Firma Rieter (letzter Nachfolgebetrieb der einstigen Despag, die später auf dem Gießereigelände heimisch wurde). Niemand wisse das so genau. Was in den nächsten Monaten in der Halle freigelegt und dokumentiert werde, bleibe womöglich für alle Zeiten das Letzte, was zu diesem Thema gesichert werden könne.

Grabungsleiter Stefan Dembinski erläutert, dass bereits Kleinwerkzeug aus der Zeit der Geschützgießerei aufgenommen werden konnte. Auch Geschossteile wie etwa Zündplättchen habe man gefunden. Vor der Halle waren die Archäologen bereits vor rund einem Jahr auf einen Bunker gestoßen, der allerdings viel jüngeren Datums war und inzwischen verschwunden ist. Es hatte sich, wie auch seinerzeit berichtet, offensichtlich um einen Schutzraum aus Weltkriegstagen gehandelt.