Angesichts des Trümmerfeldes

24.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:23 Uhr
Wie bestellt: Die aktuelle Plakatkampagne der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (hier an der Theodor-Heuss-Straße) hat nichts mit der Debatte um die Eselbastei zu tun, passt aber gut dazu. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Eigentlich ist Napoleon schuld: Im Jahr 1800 gab der spätere Kaiser der Franzosen den Befehl, die im 16. und 17. Jahrhundert errichtete Ingolstädter Festung zu schleifen; die ihm unterlegenen Bayern mussten gehorchen. Und so sank auch die Eselbastei nahe dem Neuen Schloss dahin.

In den 1820er-Jahren schenkte der bayerische König Ludwig I. den Ingolstädtern – grad zum Trotz – eine neue Festung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zogen die Schanzenbauer auf der Ruine der Eselbastei eine weitere Bastion hoch, die später auch den Weg alles Irdischen ging – genau genommen sogar zweimal, denn nach der Wiederentdeckung der Mauerreste im Zuge der Bauarbeiten auf dem Gießereigelände machte am 2. August dieses Jahres ein Bagger kraft Stadtratsbeschluss vom 28. Juli die Relikte aus dem 19. Jahrhundert für immer platt. Ob das rechtmäßig war und wie mit dem Rest der Eselbastei umzugehen sei, wenn sie freigelegt ist – darüber stritt gestern zwei Stunden lang der Ferienausschuss des Stadtrats.

Manche der zahlreichen Zuschauer mögen sich vorgekommen sein wie im Felde, denn der Ton dieser Auseinandersetzung legt martialische Metaphorik nahe. Offensive Stadträte zeterten, als wetteiferten sie um die Große Nahkampfspange. Petra Kleine (Grüne) kartätschte (wie man im 19. Jahrhundert gesagt hätte) mit der geballten Feuerkraft aus 32 Jahren Stadtratserfahrung, immer wieder donnerte sie: „So ein Vorgehen habe ich noch nie erlebt!“ Und es war ihr sehr, sehr ernst. Achim Werner (SPD) und Christian Lange (BGI) gaben wie gewohnt kräftig Zunder, und selbst der sonst so sonnige Konrad Ettl (CSU) entdeckte gestern plötzlich den unbekannten Soldaten in sich und ließ sich krachend auf ein Scharmützel mit Lange ein. Der Ausschussvorsitzende, Bürgermeister und Oberstleutnant a.D. Albert Wittmann (CSU), angriffslustig wie immer, erkannte das militärische Potenzial dieser Sitzung. Ihm tue die Protokollführerin leid, sagte er nach gut einer Stunde. „Dieses Protokoll wird sich lesen wie ein Kriegstagebuch!“

Etwas ziviler ausgedrückt ließe sich sagen: Der Ferienausschuss debattierte im Geiste der Präambel der Bayerischen Verfassung aus dem Jahr 1946; die beginnt mit den Worten „Angesichts des Trümmerfeldes“. Es ging auch um Fakten. Die waren juristisch sehr komplex. Die Frage lautete: War der Antrag, die Mauerreste über der Eselbastei abzureißen, den der FW-Fraktionsvorsitzende Peter Springl im Stadtrat mündlich gestellt und mit der CSU/FW-Mehrheit durchgebracht hat, rechtens? Nein, findet die Opposition. Doch, es war alles korrekt, sagte Rechtsreferent Helmut Chase. Dringlichkeitsanträge müssen schriftlich vorliegen, „einfache Anträge“ können auch mündlich vorgetragen werden, wenn der Stadtrat komplett ist und niemand widerspricht – wie am 28. Juli geschehen. Von einem einfachen Antrag spreche man, „wenn es allen Stadträten möglich ist, das Ziel des Antrags sofort zu erkennen, und jeder weiß, worüber er abstimmt“. Über die Frage, ob das alles zutrifft, stritt man gut eine Stunde. Die Opposition blieb dabei: Hier herrschen „Chaos und Konfusion“.

Springl, der mit seinem Abrissantrag die Steine zum Rollen gebracht hat, wagte gestern doch etwas Denkmalpflege, indem er beantragte, „Teile der abzubrechenden Eselbastei-Frontmauer“ für die „Wiederverwertung“ zu sichern. Er möchte mindestens die Frontmauer der Eselbastei an anderer Stelle „darstellen“. Irritation bei der Opposition: Welche Mauer meint Springl genau? Der Antrag ging trotzdem durch.

Bürgermeister Wittmann untermauerte immer wieder: „Wir müssen klarstellen, über was wir hier reden!“ Abgerissen wurden Festungsreste aus dem 19. Jahrhundert, nicht die ältere Eselbastei, denn die liegt darunter. „Wir sind bei Bodendenkmälern ganz sensibel geworden! Bei der Eselbastei wird alles genau untersucht und dokumentiert!“ Die Grabungsfirma ProArch sei damit schon beauftragt. „Wir tun keinen Schritt ohne ProArch!“, ergänzte Norbert Forster, Chef der IFG, die den Tiefgaragenbau ausführt. Jetzt müsse es unbedingt zügig weitergehen, um die Basisarbeiten abzuschließen, bevor der Frost kommt. Und so ebnete die CSU/FW-Mehrheit den Weg. Sie stimmte gegen den Gemeinschaftsantrag der Opposition, den Abriss aller Festungsrelikte sofort zu beenden.

Das sei ja wieder typisch, hatte Petra Kleine zuvor gesagt: Ein „touristisches Kleinod“ wie ein historisches Bastionsensemble „wird bei uns traditionell nicht als Ressource gesehen, sondern als Hindernis“.