Gerhard
Kraft geben in der schwersten Stunde

26.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:23 Uhr

Foto: DK

Gerhard Koch wird oft gefragt, wie er denn auf die Idee gekommen sei, eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Hospizbegleiter zu machen. Das sei eine Spontanentscheidung gewesen, erzählt der 52-jährige Wettstettener. Er habe schon immer gedacht, dass ihm etwas fehle, dass er sich gerne noch irgendwo engagieren würde. Und als er 2015 das DK-Interview mit dem Vorsitzenden des Hospizvereins, Jens Böhm, gelesen habe, habe er spontan gedacht "Das ist es!" und einen Termin mit Böhm vereinbart.

"Ich habe dann den Grundkurs der Ausbildung in Neuburg nachgeholt und konnte so in den bereits laufenden Kurs beim Hospizverein Ingolstadt einsteigen. Als einziger Mann. Es ist anstrengend und noch viel intensiver, als ich gedacht hätte, aber es gibt mir so viel", sagt der dreifache Familienvater. Er war Personalleiter in internationalen Großkonzernen, jetzt arbeitet er selbstständig als Coach für Führungskräfte und Mediator für Unternehmen. "In meinem Leben hat in den letzten 25 Jahren nur Leistung gezählt. Jetzt bin ich einfach nur als Mensch da und halte einem anderen die Hand."

Vom Tod seines Vaters vor vier Jahren hat Koch in guter Erinnerung, dass nach über zehn Jahren Kampf gegen den Krebs alles vorbereitet und geregelt war. Das hat er sehr positiv erlebt, vor allem, dass er sich verabschieden konnte, Danke sagen für all das Gute, das er von seinem Vater mitbekommen hat. "Das hat was, wenn man Tschüss sagen kann", davon ist er überzeugt.

Acht Samstage, ein Wochená †end-Seminar, mehrere Abende verteilt über ein Jahr Vorbereitungszeit, dazu ein begleitendes Praktikum: So ist der Vorbereitungskurs für ehrenamtliche Hospizbegleiter strukturiert. "Schwerpunkt ist die lebensbereichernde Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Trauer und Tod. Besonderen Wert legen wir auf die Gesprächsführung zum Beispiel in Krisensituationen", so Adele Gibtner, die ehrenamtlich die Einsätze der Hospizbegleiter im Elisabeth Hospiz koordiniert und im Ausbildungsteam und im Vorstand des Vereins mitarbeitet.

Martin Alsheimer, der Leiter der Ausbildungskurse, spricht gerne vom "qualifizierten Da-Sein": die Situation erst mal aushalten zu können, ohne gleich Rezepte und Lösungen parat haben zu wollen. Der Sinn der Vorbereitungskurse sei, hier eine gewisse Stabilität zu entwickeln. "Viele der Teilnehmer bringen eigene Lebenserfahrung mit Trauer und Abschieden mit. Man blickt immer auch auf die eigene Lebensgeschichte", sagt der Pädagoge und Trauerberater, der auch die Hospiz-Akademie in Nürnberg leitet. Er ist überzeugt: "Sterbebegleitung kann man lernen. Aber damit aus guten Absichten auch tatsächlich hilfreiches Engagement werden kann, braucht es Vorbereitung." Das Ausbildungsjahr beginnt mit dem dreimonatigen Grundkurs: "Eine gute Gelegenheit zum Schnuppern, man bekommt einen Überblick über die Hospizidee und -praxis und kann auf jeden Fall für den eigenen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer etwas mitnehmen", erklärt Alsheimer. Die Themen des anschließenden Aufbaukurses sind vielfältig, es geht um eine intensive Vorbereitung auf viele Lebenslagen schwerkranker Menschen und ihrer Familien: Wie kann man auf wuchtige Klagen ("Warum gerade ich") einfühlsam reagieren? Wie demenzkranke Menschen besser verstehen und unterstützen? Wie Abschiede begleiten und gestalten? Aber auch seine eigenen Kraftquellen zu nutzen, sich vor überfordernden Selbstansprüchen zu schützen und mit oft berührenden Erlebnissen gut zurechtzukommen, muss erst erlernt und erarbeitet werden.

Claudia Rühle aus Ingolstadt fühlt sich durch den Kurs wie für eine Wanderung mit Schuhwerk, Rucksack und Landkarten ausgerüstet: "Man erfährt einiges über sich selbst, lernt auch die eigene Hilflosigkeit zu verstehen. Die Gruppe ist wirklich eine Bereicherung und eine tiefe Erfahrung; der Austausch und die neuen, kreativen Ansätze helfen sehr beim Umgang mit dem schwierigen Thema Tod", erzählt die 58-Jährige. Kursteilnehmerin Verena Rödel (57) aus Pfaffenhofen kommt aus dem Krankenhausbereich, hat unwürdiges Sterben erlebt und wünscht sich für sich selbst einen würdigen und ruhigen Abschied vom Leben mit Zeit und in guter Begleitung. Den möchte sie vorher gerne auch anderen ermöglichen. Besonders positiv hebt sie hervor, dass sie sich durch den Kurs nie alleine in der Begleitung Sterbender fühlt. "Es gibt immer jemanden, bei dem ich anrufen und nachfragen kann, wenn ich in einer Situation nicht weiter weiß", sagt sie. Das gibt ihr eine große Sicherheit. Überhaupt ist im Kurs ist eine ausgeprägte Herzlichkeit untereinander zu spüren: Gleichgesinnte sind zusammen unterwegs.

Adele Gibtner vom Hospizverein freut sich besonders, wenn auch Männer den Weg in die Hospizarbeit finden: "Männliche Begleiter werden dringend gebraucht, weil sterbende und trauernde Männer oft lieber mit ihren Geschlechtsgenossen reden oder über bestimmte Themen leichter mit anderen Männern sprechen können." Gibtner ist sich sicher, dass Männer ebenso die nötigen Fähigkeiten wie Sensibilität, Mitgefühl und Achtsamkeit zum Begleiten haben wie Frauen, sich vielleicht nur manchmal nicht trauen. Bei der Hospizarbeit käme es aber vor allem darauf an, dass sich die Ehrenamtlichen als Person und als der Mensch, der sie sind, einbringen, betont sie.

Nach drei Monaten Grundkurs und ihrem Einstieg in den Aufbaukurs haben die Teilnehmer parallel ihr Praktikum begonnen. Gerhard Koch besucht seitdem einmal in der Woche eine bettlägerige alte Dame im Alten- und Pflegeheim Bienengarten. "Wenn ich bei Frau Bechsteiner (Name geändert) sitze und eine Tasse Kaffee mit ihr trinke, tut mir das genau so gut wie ihr. Ich bin froh, dass ich mit ihr reden und für sie da sein kann. Und ich bin mal so komplett raus aus allem. Das erdet. Als sie mich dann zum ersten Mal wiedererkannt und "Schön, dass Sie wieder da sind!" gesagt hat, war das Freude pur."

 

Ein neuer Kurs für ehrenamtliche Hospizbegleiter (pro Jahr gibt es einen Kurs) startet am 15. September. Auskünfte und Anmeldung unter Telefon (0841) 171 11 im Hospizbüro, Lebzeltergasse 3 oder per E-Mail an info@hospizverein-in.de.