Gaimersheim
Die Nacht der Worte

Gymnasiasten setzen literarische Werke an verschiedenen Schauplätzen in Gaimersheim um

18.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr
Köstlich: Seminarschüler Quirin Gerstberger als Bäckermeister und "Max-und-Moritz"-Erzähler Vinzenz Medl verteilen in der Backstube frischgebackene Lausbuben-Kekse. Die Bäckerei Knabl war einer der Schauplätze der Nacht der Worte, die Gaimersheimer Gymnasiasten auf die Beine gestellt hatten. −Foto: Gülich

Gaimersheim (DK) Ein Projektseminar, ein Lehrer mit einer guten Idee, 14 motivierte Gymnasiasten. Ein Dreivierteljahr Vorarbeit, am Sonntagabend das große Finale: die Nacht der Worte in Gaimersheim.

Das Konzept ist so einfach wie charmant: An verschiedenen Orten werden von den Schülern des Seminars unterschiedliche Texte gelesen oder dargestellt. Die Teilnehmer der Nacht der Worte ziehen im Lauf des Abends in Gruppen von Station zu Station und erleben Literatur auf höchst unterschiedliche Weise. Und - besonders reizvoll - auch an Orten, die der Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich sind.

"Wir haben von Anfang an versucht, eigene Ideen zu entwickeln, interessante Orte zu finden und dazu dann auch die passende Lektüre zu möglichst verschiedenen Themen. Und mit unterschiedlichen Darbietungsformen", erzählt Seminarteilnehmer Tobias Bihr (17). Eingerahmt werden die so entstandenen vier Stationen von einem Sektempfang auf dem Gaimersheimer Marktplatz zum Auftakt und einem Lagerfeuerausklang hinter dem Marktmuseum zum Schluss.

"Die Texte waren wirklich abwechslungsreich."

Karin Gerstberger, Besucherin aus Wettstetten

80 Karten haben die Gaimersheimer Gymnasiasten vergeben. Und alle Lehrer, offiziellen Persönlichkeiten sowie den Schuldirektor mal lieber in einer der vier Gruppen zusammengefasst. Deren erste Station: die Bücherei. 27 642 Bücher befinden sich über den Köpfen der Zuschauer, die im engen Büchereikeller auf den Stufen hocken und auf eine Hacke und ein blutbespritztes Leintuch blicken. Nach einer kurzen Einführung geht das Licht aus und Maximilian Liebold und Lukas Kipfelsberger lesen im Kerzenschein aus "Der Mordfall Hinterkaifeck" von Peter Leuschner. Fesselnd und unheimlich.

In der Bäckerei Knabl sind die Zuschauer zunächst Kunden, erleben ein normales Verkaufsgespräch mit - bis Seminarteilnehmer Vinzenz Medl seine Lieblingsstellen der "Max-und-Moritz"-Geschichte in tiefstem Bairisch frei erzählt: wie die beiden Lausbuben die Hendl der Witwe Bolte an die Angel "o'ghängt" haben und vom Schneider Böck, der doch "vorm Retzbach glei sei Schneiderei hod" und "sauber rumplärrt", als die Brücke unter ihm zusammenbricht, die Max und Moritz vorher angesägt haben. Eine sehr besondere und herausfordernde Idee, neben Schauspiel und Lesung die Kunst des freien Erzählens neu zu beleben - und großartig gelungen. Als dann beim Hineinschauen in die Backstube (wann durfte man je schon mal in einer Bäckerei um den Verkaufstresen herum nach hinten gehen?) Max und Moritz persönlich durch den Schlot kommen, dabei Lehrerin Heidrun Bösl heftig erschrecken und schließlich noch frischgebackene Lausbuben-Kekse verteilen, ist die Stimmung perfekt.

Dass in der - zu dieser Abendstunde ganz ruhigen und nur spärlich beleuchteten katholischen Kirche ausgerechnet ein Drei-Mann-Stück über das Leben des Reformators Martin Luther auf die Bühne kommt, hat besonderen Reiz, genau wie das regionale Ambiente des Marktmuseums, das Kulisse für eine lokale Geschichte wird: Drei Seminarteilnehmerinnen erzählen und spielen "Die Irrglocke", eine Begebenheit aus dem Dreißigjährigen Krieg, die sich direkt vor den Toren Gaimersheims ereignete.

Die Projektseminare seien etwas anderes als normaler Schulalltag und sehr praxisnah, weil sich die Schüler externe Partner und Sponsoren suchen müssen, erklärt der Schulleiter des Gaimersheimer Gymnasiums, Manfred Ruckdäschel, der bei der ersten Nacht der Worte seiner Schule natürlich anwesend war. "Das ist für uns ja auch erst der zweite Jahrgang, in dem wir überhaupt Projektseminare anbieten. Als wir vergangenes Jahr begonnen haben, hatte kein einziger Lehrer der Schule schon mal ein P-Seminar gegeben. Diese Situation war und ist also nicht nur für die Schüler neu und spannend", so Ruckdäschel.

"Froh, stolz und begeistert" zeigte sich der verantwortliche Lehrer des Projekts, Lorenz Kemethmüller. "Mir hat es selbst richtig Spaß gemacht. Die Idee der Nacht der Worte stammt von einer Lehrerin in der Oberpfalz, mit der die Schüler im Zuge des Seminars telefoniert haben, um sich Anregungen zu holen. Meine Vorgabe war eigentlich nur Abwechslung. Alles andere haben die Jugendlichen eigenständig entwickelt", berichtet der Deutschlehrer. Auch er selbst habe noch viel gelernt, vor allem, mehr Vertrauen in seine Schüler zu haben. Wirklich jeder habe sich bestmöglich beteiligt.

Annika (11) und Emma (8) waren als jüngste Besucherinnen bei allen Stationen dabei. Besonders gut hat ihnen "Max und Moritz" gefallen. "Wegen der Streiche", sagen sie lachend. Auch Karin Gerstberger, Mutter des Ersatz-Bäckermeisters aus Knabls Backstube, hat den Abend genossen: "Ich fand es sehr ansprechend, dass die Schüler nach ihren Lesungen die Besuchergruppe bis zum nächsten Übergabepunkt begleitet haben, wo sie von einem Mitglied der nächsten Station in Empfang genommen wurden. Und die Texte und Darbietungen waren wirklich abwechslungsreich, von lustig bis tragisch, und historisch interessant", hält die Wettstettenerin fest.

Literatur in verschiedenen Formen an sehr besonderen Orten und auf ganz vielseitige Art "ans Publikum gebracht" - ein tolles Projekt und ein klasse Abend.