Frau
"Wir müssen global unsere Stimme erheben"

Yeasmin Kohinoor von der Organisation "Tarango" kämpft für Frauenrechte und faire Löhne in Bangladesch

24.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:35 Uhr

Im Ingolstädter Weltladen gibt es faire Kleidung aus Bangladesch - zur Freude von Yeasmin Kohinoor von der Frauenrechtsorganisation "Tarango". - Foto: Hammer

Frau Kohinoor, beim Einsturz des Rana Plaza-Fabrikgebäudes kamen vor vier Jahren mehr als tausend Textilarbeiter ums Leben. Das hat auch in Deutschland viele Menschen wachgerüttelt. Die Textildiscounter sagen, seit Rana Plaza habe sich vieles zum Besseren gewandelt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Yeasmin Kohinoor: Grundsätzlich stimme ich zu. Das Bewusstsein ist gewachsen, und es werden Maßnahmen ergriffen. Das trifft auf ungefähr 600 bis 700 Fabriken zu, die registriert sind. Es gibt jedoch viele nicht registrierte Fabriken wie zum Beispiel früher Rana Plaza, da hört man von diesen Vereinbarungen überhaupt nichts.

 

Der Textildiscounter Primark erklärt, nur direkt mit Lieferanten zu arbeiten, die strengen Kontrollen unterliegen und alle Vorschriften einhalten. Das Unternehmen sagt, es tue mehr für die Textilarbeiterinnen als andere. Stimmen Sie dem zu?

Kohinoor: Es gibt natürlich Verbesserungen. Aber schauen Sie: Primark verkauft sehr billige Kleidung. So ein T-Shirt kostet zehn Euro. Nun rechnen Sie mal: Da sind die Materialkosten, die Produktionskosten und die Transportkosten. Wie erzielen sie da noch einen Gewinn? Es sind die Näherinnen mit ihren niedrigen Löhnen, die dafür bezahlen.

 

Mehr als 200 Unternehmen wie H&M, C&A, Aldi oder Kik haben das Accord-Abkommen unterzeichnet, das Kontrollen der Fabriken durch unabhängige Ingenieure vorsieht. Ist die Sicherheit der Arbeiterinnen dadurch besser geworden?

Kohinoor: Dieser Vertag ist ein gutes Beispiel, wie man die Sicherheit verbessern kann. Früher gab es in den Fabriken nur einen Ein- und Ausgang. Jetzt gibt es mehrere Notausgänge, die gut beleuchtet sind. Außerdem bekommen die Leute Sicherheitsschulungen.

Viele Deutsche sind dennoch verunsichert, ob sie Fast Fashion guten Gewissens tragen können. Wie sollen Kunden sich verhalten?

Kohinoor: Es ist gut, dass sich das Bewusstsein verändert hat. Trotzdem ist es wichtig, dass die Kunden noch achtsamer sind. Sie sollten fragen, wenn sie ein T-Shirt im Laden kaufen: Werden die Vorschriften eingehalten, sind die Produktionsbedingungen fair? Wenn einer im Laden nachfragt, dann noch einer und noch einer und immer wieder, dann wird der informelle Druck größer und die Läden werden die nächsten Schritte unternehmen.

Sagen Sie uns bitte kurz, wie viel eine Textilarbeiterin verdient, ob sie von ihrem Lohn leben kann, wie viele Stunden sie arbeiten muss, ob bei Urlaub oder Krankheit bezahlt wird?

Kohinoor: Die Unternehmen verfahren da sehr unterschiedlich. Der Mindestlohn liegt seit etwa fünf Jahren bei 65 Euro im Monat. Aber das ist zu wenig, denn die Lebenshaltungskosten sind seitdem gestiegen. Deshalb streiken die Menschen seit zwei Monaten. Die offizielle Arbeitszeit dauert von 8 bis 17 Uhr, aber die Frauen machen viele Überstunden. Gearbeitet wird an sechs Tagen pro Woche. An 14 gesetzlichen Feiertagen und an religiösen Festen ist frei. Im Krankheitsfall wird der Lohn weitergezahlt.

 

Wie hilft ihre Organisation "Tarango" den Frauen?

Kohinoor: Wir unterstützen rund 18 000 Frauen, und zwar meist direkt vor Ort bei ihnen daheim. An erster Stelle schulen wir ihre Fähigkeiten, damit sie Geld verdienen können. Bestenfalls zu Hause, damit sie gleichzeitig auf ihre Kinder aufpassen können. Wir erklären den Frauen auch, welche Rechte sie haben und ermutigen sie, dafür zu kämpfen. Auch für höhere Löhne. Wenn eine Frau zeigt, dass sie qualifiziert ist, hat sie die Möglichkeit, mehr zu verdienen.

In unseren eigenen Produktionsstätten, wo wir überwiegend Handarbeiten aus Jute herstellen, verdienen die Frauen 100 Euro pro Monat. Deshalb geht "Tarango" leer aus.

 

Wenn sich in Bangladesch vieles zum Guten wendet, so freut uns das. Es hat sich aber gezeigt, dass die Karawane oft weiterzieht und die Produzenten in andere Billiglohnländer ausweichen.

Kohinoor: Wir sollten nicht nur den Fokus auf Bangladesch richten. Wenn sie nun in Kambodscha, Laos oder Vietnam Menschen ausbeuten, dann müssen wir eben global für alle Menschen unsere Stimmen erheben - für eine bessere Gesellschaft und besseres Leben der Menschen, die in den Fabriken arbeiten.

 

Das Gespräch führte

Suzanne Schattenhofer.